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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.03.2004 06:00

"Arbeit + Gesundheit in effizienten Arbeitssystemen"
Praxis hinkt Wissenschaft nach

Stress, Informationsverarbeitung, Lärm oder die psychische Belastung zum Beispiel haben zugenommen, traditionelle Berufskrankheiten verlieren hingegen eher an Bedeutung. Kann die Arbeitsphysiologie überhaupt noch einen innovativen Beitrag zum Thema 'Arbeit + (plus) Gesundheit' leisten? Dieser und anderen Fragestellungen wurde im Rahmen eines dreitägigen Kongresses nachgegangen. Rund 300 Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutierten an der ETH unter dem Titel "Arbeit + Gesundheit in effizienten Arbeitssystemen" die aktuelle Forschung, die in der Praxis Nachholbedarf hat.

Von Regina Schwendener

An der ETH Zürich findet seit vergangenem Mittwoch der 50. Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA), der Schweizerischen Gesellschaft für Ergonomie, der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitshygiene und der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin statt. Die Tagung mit mehr als 125 verschiedenen Workshops, Posterpräsentationen und Vorträgen wurde von Helmut Krueger, seit über 20 Jahren Professor am Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie der ETH Zürich (1), organisiert. Im Hinblick auf seine Emeritierung wurden Professor Krueger und sein Wirken - als Brückenbauer zwischen Physik und Medizin, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft - gestern Donnerstag im Rahmen der Veranstaltungen gewürdigt.

Im Zentrum der Fachtagung standen jedoch die ergonomische Systemanalyse, physiologische Arbeitsgestaltung, betriebliche Gesundheitsförderung sowie computergestützte Kooperation und Umweltergonomie, Themen, auf deren Bedeutung und Entwicklung Helmut Krueger in seinem Referat einging.

Veränderung Rechnung tragen

Professor Krueger ging auf Begriffe, die in den verschiedenen kleineren Veranstaltungen der Tagung eine Rolle spielten ein: "Arbeit + Gesundheit" ist ein Gebiet transdisziplinärer (2) Zusammenarbeit verschiedener Fachgebiete mit sehr unterschiedlichen Arbeitsparadigmen. Die Ergonomie - Wissenschaft von den Leistungsmöglichkeiten und Leistungsgrenzen des arbeitenden Menschen sowie der besten wechselseitigen Anpassung zwischen dem Menschen und seinen Arbeitsbedingungen - versteht er als Drehscheibe, als vermittelnde Institution zwischen diesen Paradigmen. Krueger: "Die Arbeitsphysiologie ist als eine dem naturwissenschaftlichen Paradigma der Empirie - Erfahrungswissen - verpflichtete Wissenschaft eine der Grundlagen der Ergonomie. Diese Aufgabe kann sie allerdings nur erfüllen, wenn sie der Veränderung der Probleme in der modernen Arbeitswelt Rechnung trägt."

Neue Lösungsansätze suchen

Im Bereich moderner Arbeitsplätze werden zum Beispiel physiologische Parameter als Indikatoren vor allem physischer Beanspruchungsreaktionen weiterhin ihre Bedeutung behalten, räumte der Wissenschaftler ein und weist auf Veränderungen hin. Er stellte fest, dass mentale Prozesse mit der Entwicklung der Informatik physische ersetzen. Für die Fachleute stelle sich damit heute die Frage, wieweit sich Beanspruchungen durch mentale Prozesse, durch Informationsverarbeitung auf physiologische Prozesse abbilden und überhaupt mit physiologischen Methoden erfassen liessen.

Die Verschiebungen hin zu mentalen Anforderungen würden sich indirekt in Erhebungen zu arbeitsbedingten Beanspruchungsreaktionen widerspiegeln. Krueger stellt fest, dass Schmerzzustände des Muskel/Skelett-Systems, Stressreaktionen und Stressfolgen quantitativ in der öffentlichen Wahrnehmung heute an erster Stelle ständen und nicht mehr die Berufskrankheiten. Zeitdruck werde als bedeutender Faktor wahrgenommen. Bezüglich der Arbeitsumgebung seien es beispielsweise nicht mehr die Schädigungen des Ohrs, sondern die Belästigung durch Lärm, der einem täglich bewusst werde.

"Arbeit und Gesundheit"?...

"Kann die Arbeitsphysiologie überhaupt noch einen innovativen Beitrag zum Thema 'Arbeit + Gesundheit' leisten?", fragt Helmut Krueger und gibt sich überzeugt: "Die aktive Gestaltung der Informationsgesellschaft hat die Arbeitswissenschaft weitgehend links liegen gelassen."


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Klaus Scheuch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (links) würdigte, wie auch Mariano Menozzi, das Wirken von Helmut Krueger (rechts), zu dessen Ehren der Kongress an der ETH abgehalten wurde. gross

"Arbeit und Gesundheit" werde meist schwergewichtig als Einheit mit dem Ziel Gesundheit gesehen, habe aber nicht allein den Aspekt der Gesundheit. Arbeit ist laut Krueger sogar eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit. Er denkt zudem in Hinblick darauf, dass es immer mehr ältere Menschen gibt, dass die Frage der Entwicklung der Arbeitsfähigkeit im Laufe eines Lebens und damit einhergehende Fragen einer altersgerechten Gestaltung der Arbeit sowie einer geeigneten Weiterbildung die öffentliche Diskussion werde bestimmen müssen.

...oder "Arbeit + Gesundheit"?

Eine aktive Gestaltung von Arbeitssystemen müsse neben den sozialmedizinischen Aspekten als eigener Wert in einem Begriff "Arbeit + Gesundheit" gesehen werden, fordert der Wissenschaftler. Die Ergonomie sei - zumindest vom Begriff her - die Disziplin, die vor allem die Gestaltung im System "Arbeit + Gesundheit" zum Ziel habe. Sie stehe zwischen einer naturwissenschaftlich orientierten Forschung und einer ingenieurwissenschaftlich orientierten Gestaltung und Entwicklung. Damit ist sie weder eine reine Naturwissenschaft noch eine reine Ingenieurwissenschaft.

Professor Krueger betont: "Das Feld 'Arbeit + Gesundheit' ist nur transdisziplinär zu bestellen." Naturwissenschaftliche Erkenntnisse für die Lösung von Aufgabenstellungen würden vor allem die Arbeitspsychologie, die Physiologie, die Medizin, die Physik, die Chemie und auch die Arbeitshygiene liefern.

Aktuelle Forschungsfelder

"Aktuelle Probleme der Arbeitwissenschaft betreffen mentale Prozesse im weitesten Sinne. Hier entstehen die neuen Arbeitsfelder", kommt Krueger auf die Entwicklung in der Arbeitsphysiologie zu sprechen.

Die Bedeutung der Information als Thema der arbeitsphysiologischen Grundlagenforschung für die Ergonomie beleuchtet Krueger anhand von Beispielen, zu denen auch Tagungsbeiträge auf dem Programm stehen: der Einfluss von Licht auf die biologische Rhythmik. Es gebe Hinweise auf spezielle blauempfindliche "Sensoren" in der Netzhaut, womit sich neue Ansätze unter anderem für die Gestaltung von Nachtarbeit ergeben würden. Dynamisch gestaltetes Licht beeinflusse aber auch die Aufmerksamkeit während der normalen Büroarbeit, anderes könne einschläfernd wirken.

"Arbeit + Gesundheit" führe transdisziplinär verschiedene Arbeitsparadigmen zusammen. Krueger: "In diesem Sinne ist in der Schweiz die Weiterbildung der Spezialisten für Arbeitswissenschaften nicht in den Monospezialitäten angesiedelt, sondern als integrierendes Nachdiplomstudium für 'Arbeit + Gesundheit' (3)." Das Wichtigste könne nicht die Vermittlung von speziellem, explizitem Faktenwissen sein, wie einer genauen Kenntnis von einzelnen Berufskrankheiten oder von Messmethoden für die Erfassung bestimmter belastender Umgebungsfaktoren, sondern müsse transdiziplinäres Handeln trainieren. Professor Krueger fordert: "Die Grenze - hier Ergonomie, dort Arbeitspsychologie - muss fallen. Eine geeignete Unterrichtsdidaktik wäre beispielsweise projektorientiertes Lernen und Lehren."


Fussnoten:
(1) Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie: www.iha.bepr.ethz.ch/default.htm
(2) Transdisziplinär ist eine Forschung, "die sich aus ihren disziplinären Grenzen löst, die ihre Probleme disziplinunabhängig definiert und disziplinunabhängig löst" (Mittelstrass 1998:44).
(3) Das Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie (IHA) der ETH Zürich und das Institut Universitaire Romand de Santé au Travail de Lausanne (IST) bieten das Nachdiplomstudium Arbeit + Gesundheit seit 1993 gemeinsam an (www.ndsag.ethz.ch/)



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