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Rubrik: ETH-Debatte
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Publiziert: 11.12.2006 06:00

ETH-Debatte: Drittmittel kontra Grundfinanzierung durch den Bund
„Zuviel Wettbewerbsdruck korrumpiert die Wissenschaft“

Sollte die stabile ETH-Sockelfinanzierung durch den Bund reduziert werden, ginge dies ans Lebendige der Grundlagenforschung, sagt Jürg Fröhlich, Professor für theoretische Physik und Leiter des Departements Physik. Längerfristige und risikoreiche Projekte, so der Physiker, würden durch den Trend zur kompetitiven Mittelvergabe unter die Räder kommen.

Norbert Staub

Die ETH konnte bisher darauf bauen, dass ein hoher Anteil ihres Budgets durch den Finanzierungsbeitrag des Bundes abgedeckt wird. Rund 90 Prozent ihres Aufwandes werden durch den alljährlich zur Verfügung stehenden Betrag, der momentan eine knappe Milliarde beträgt, bestritten.

Der Entwurf zum neuen Leistungsauftrag 2008-2011 tendiert nun dahin, diese stabile Sockelfinanzierung zugunsten sogenannt leistungsbezogener Finanzierungskomponenten aufzuweichen. Zur Diskussion steht etwa der Vorschlag, nur noch 60 Prozent des benötigten Budgets über den Grundauftrag zu sichern. Die restlichen 40 Prozent wären dann zunehmend so genannte leistungsabhängige Mittel.


ETH-Debatte
In der "ETH Life"-Spezialrubrik "ETH-Debatte" thematisieren wir in den kommenden Wochen zentrale hochschulpolitische Fragen. Zur Rubrik gelangen Sie hier: www.ethlife.ethz.ch/articles/ETHdebatte/


Von erwarteten Resultaten getrieben

Für Jürg Fröhlich, Professor für theoretische Physik an der ETH, ist dies eine gefährliche Entwicklung. „Lassen Sie mich das mit einer Anekdote illustrieren“, so Fröhlich. „Der berühmte Harvard-Mathematiker George Mackey hat sich immer geweigert, auch nur einen Dollar Drittmittel anzunehmen, trotz der Tatsache, dass an US-Universitäten in der Regel nur neun Monatssaläre ausbezahlt werden. - Die vorlesungsfreie Zeit muss mit Drittmitteln überbrückt werden.“ Weshalb diese Haltung? „Mackey war überzeugt, dass der Zwang, bei Stiftungen Geld einzuwerben, seine wissenschaftliche Arbeit korrumpieren würde“, erzählt Fröhlich. Solche Förderungen seien zu stark an die erwarteten Resultate gebunden, pflichtet Fröhlich seinem Kollegen bei: „Wenn überlegt werden muss, worauf ein Projekt hinauslaufen soll, ist langfristiges, visionäres Forschen nicht möglich, und die Qualität der Arbeit wird schlechter.“

Ein weiteres Beispiel sei der britische Mathematiker Andrew Wiles. Als junger Mann habe dieser den Entschluss gefasst, Fermats letzten Satz zu beweisen, eines der grossen Probleme der Mathematik. Erzählt habe Wiles niemandem davon. „Während rund acht Jahren war nichts Interessantes mehr von diesem brillanten Kopf zu hören“, sagt Fröhlich, und die Fachwelt habe begonnen sich darüber zu wundern. Dann kündigte Wiles in einem Vortrag an, er habe den Beweis gefunden. Kurz darauf wurde er auf eine entscheidende Lücke aufmerksam gemacht und ging, unterstützt vom Zahlentheoretiker Richard Taylor, noch einmal für zwei Jahre in Klausur. Nach gut zehn Jahren Arbeit, im Jahr 1994, war es dann soweit, der Satz war bewiesen. „Wiles hat mit dieser erstaunlichen Leistung über die Grenzen seines Fachs hinaus Berühmtheit erlangt.“

Qualität braucht langen Atem

Solch grundlegende Projekte hätten mit kompetitiver Forschungsförderung keine Chance, meint Jürg Fröhlich. „Der Atem der Wissenschaft wird immer kürzer, wenn zu viele Zweit- und Drittmittel im System sind. Sie beschneiden die Risikofreude, den Mut, Projekte anzupacken, von denen man nicht weiss, wo man ankommt.“ Mit Drittmitteln finanzierte Projekte verlangten praktisch ein Forschungsdesign, das innerhalb der Projektlaufzeit zu Resultaten führt.


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Wenn Forschende substanziell mehr Drittmittel beschaffen müssen, tangiert dies die Qualität der Forschung, findet Physikprofessor Jürg Fröhlich, Vorsteher des ETH-Departements Physik. gross

Ist es denn nicht legitim, die ETH vermehrt dem sich ohnehin verschärfenden Wettbewerb auszusetzen? Die ETH-Forschenden stünden ihr ganzes Berufsleben lang im wissenschaftlichen Wettbewerb, entgegnet der Physiker. „Aber dieser Wettbewerb spielt sich nicht innerhalb der Grenzen der Schweiz ab, sondern weltweit. Wer dazu nicht bereit ist, ist fehl am Platz.“ Gerade junge Forscher in einer hoch kreativen Karrierephase dürften nicht gefährdet werden durch den Zwang, Drittmittel-konform zu arbeiten. Die grosszügige Sockelfinanzierung sei ausserdem immer ein Standortvorteil der ETH gewesen; und dies gelte auch für die Forschungsförderung über die internen TH-Projekte. Damit habe man zahlreiche Top-Forschende nach Zürich holen können.

Hingegen könnte bei älteren Professoren ein höherer Drittmittel-Anteil als Steuerungselement durchaus sinnvoll sein. „Bei Leuten ab 55 ist wirkliche Originalität selten, und sie müssen sich überlegen, ihre Professur allmählich zurückzubauen. Ihre Forschung wird also kurzfristiger.“

Schädlicher nationaler Verteilkampf

Zudem: „Wenn der Druck, Drittmittel zu mobilisieren, steigt, müsste die ETH national weit aggressiver auftreten - mit absehbar negativen Folgen für die regionalen Universitäten der Schweiz. Und das kann nicht die Absicht sein“, so Fröhlich. Besondere Sorgen macht ihm die Aussicht, dass ein härterer Verteilkampf das Verhältnis zwischen den beiden nationalen Hochschulen nachhaltig schädigen könnte. „Wir müssen mit der fragwürdigen Konstruktion zweier gleich ausgerichteter Institutionen, ETH und EPF, auf kleinem Raum leben. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass sich beide auf rationale und faire Weise auf eine Verteilung von Mitteln und Kompetenzen einigen. Alles andere können wir uns finanziell schlicht nicht leisten.“ Überdies sei die volkswirtschaftlich entscheidende wissenschaftlich-technische Elite in der Schweiz auf einen funktionierenden universitären Rückhalt und auf Zusammenhalt dringend angewiesen.

„Es heisst immer, die Hochschulen müssten den Steuerzahlern dankbar sein, dass sie sie so grosszügig alimentieren. Dabei haben sich diese Investitionen in der Vergangenheit vielfach ausbezahlt“, meint Fröhlich abschliessend. Technik, Physik und Chemie hätten ganz fundamental zum Wohlstand dieses Landes beigetragen - „und das wird so bleiben. Nehmen wir nur die Energiefrage: Fortschritte in der Erzeugung und Speicherung von Energie in der nachfossilen Ära können nur über physikalische Forschung erzielt werden. Die ETH hat hier viel zu bieten.“


Literaturhinweise:
Zu weiteren Beiträgen der ETH-Debatte in "ETH Life": www.ethlife.ethz.ch/articles/ETHdebatte/



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