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Rubrik: ETH-Debatte “ETH Debatte” – Impulsbeitrag zum Thema Governance Wie viel Governance, wie viel Autonomie? |
Published: 15.01.2007 06:00 Modified: 14.01.2007 23:19 |
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Wenn in Deutschland die Wissenschaftskommission Hochschulen zu Elite-Universitäten erkürt und ihnen dadurch zusätzliche Fördermittel in Milliardenhöhe zuspricht, wenn die Universität von Oxford ein Reformpaket ablehnt, das den Einbezug externer Mitglieder in die Entscheidungsgremien der Hochschule mit sich gebracht hätte, aber auch wenn die Schweizer Hochschulen aus dem Dreiländer-Ranking aussteigen, dann geht es immer um die Fragen von Lenkung, Einflussnahme und Kontrolle von aussen. Auch die Diskussion um die BFI-Botschaft spielt sich in diesem Zusammenhang ab und berührt Aspekte, die man unter dem Begriff 'Governance' zusammenfassen kann. Von Verena Schmid Bagdasarjanz Weil „die Wissenschaft und ihr Betrieb stets auf einen nicht durch sie selber, sondern durch Politik und Zivilsinn gestifteten und geschützten Spielraum angewiesen bleiben“(1) , geht es über die tagespolitische Aktualität hinaus immer wieder um die kontroversen Fragen des Zusammenspiels dieser beiden Sphären, um Einflussnahme von aussen und wissenschaftliche Autonomie. Dabei soll die Kontroverse den sich ständig verändernden Umweltbedingungen Rechnung tragen, neue Sichtweisen eröffnen, Pauschalisierung vermeiden und letztlich versuchen, gemeinsame Schnittmengen herauszuarbeiten, in denen sich unterschiedliche Sichtweisen treffen können. Unter welchen Bedingungen kommen Lehre und Forschung als primäre Leistungen für die Gesellschaft am besten zur Entfaltung und wie soll eine entsprechende Governance ausgestaltet sein? Ökonomisierung der UmweltDass der Begriff 'Governance' überhaupt Anwendung auf den Hochschulbereich gefunden hat, ist nicht zuletzt eine Folge der seit den Siebzigerjahren dramatischen wirtschaftlichen Veränderungen, die durch beschleunigte Innovationszyklen und zunehmenden globalen Wettbewerb gekennzeichnet sind. An den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit orientierte Denkweisen durchdringen verstärkt sämtliche gesellschaftlichen Bereiche und berühren auch das Selbstverständnis der Universität als relativ autonomer und „rechtlich garantierter Ort freier Wissenschaft, der vom Staat zwar ermöglicht wird, zugleich aber unabhängig bleibt von den Zugriffen externer, staatlicher oder privater Macht, die weder Einfluss auf den inneren Bezirk der Forschung noch auf den der Lehre hat.“ (2) New Public Management ist eine der Errungenschaften der Siebziger Jahre und auch die Bestrebungen, unter dem Titel der 'Governance' die traditionellen Selbstverwaltungsmodelle der Universitäten durch Managementmodelle abzulösen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Wiewohl es sich um weltweite Entwicklungen handelt, waren die konkreten Auswirkungen aufgrund unterschiedlicher historischer Hintergründe von Land zu Land doch sehr unterschiedlich. In den USA, die häufig als Vergleich herangezogen werden, haben Selbstverwaltungsmodelle nie eine bedeutende Rolle gespielt. Starken Leitungen stehen verhältnismässig schwache Selbstverwaltungen gegenüber, auch wenn das Votum der Professoren und Fachbereiche informell durchaus berücksichtigt wird. Die amerikanischen Hochschulen, auch die staatlichen, waren schon immer relativ wenig reguliert, eine starke staatliche Aussensteuerung fehlt. Jedoch ist die Finanzierung durch private Mittel sehr wesentlich und Forschung und Lehre sind durch starken Konkurrenzdruck geprägt. Während in Ländern wie Deutschland, Österreich und auch der Schweiz schon lange eine Kombination von akademischer Selbstverwaltung und staatlicher Regulierung dominiert, führte in England die konservative Regierung unter Margaret Thatcher innerhalb weniger Jahre einen tiefgreifenden Wandel des Governance-Musters des britischen Hochschulsystems durch, um sicherzustellen, dass an den Hochschulen das geschah, was staatlicherseits gewollt wurde. Die Trennung zwischen den alten Eliteuniversitäten Oxford, Cambridge und London auf der einen und den neuen Hochschulen auf der anderen Seite wurde aufgehoben. Die Regierung übte auf die alten Universitäten, die sich eine Organisation mit einer klaren Vorherrschaft der akademischen Selbstverwaltung und einer grossen Autonomie der einzelnen Professoren hatten bewahren können, erheblichen Druck aus, sich den Erfordernissen einer 'good Governance' anzupassen. Neu war auch der Konkurrenzdruck innerhalb der und zwischen den Hochschulen. Wesentlicher Hebel hierfür war die Einführung einer an Leistungskriterien orientierten Mittelvergabe durch die Higher Education Funding Councils England. Immer schon konkurrenzgeprägt war die Vergabe der Drittmittel für die Forschung durch die Research Councils. Die Hochschulen stellten sich nun als Organisationen und nicht mehr fragmentiert als einzelne Professoren oder Forschergruppen der Konkurrenz. Starke Leitungen auf zentraler Ebene (Vice Chancellors) als auch auf Ebene der Dekane wurden etabliert, die in Verbindung mit den Councils die 'Power of the Dons’ brachen.(3) Welches sind nun kontroverse Fragen? Dazu einige Beispiele: Was bedeutet eine stärkere Betonung ausserwissenschaftlicher Relevanzkriterien? Wurde von den alten Universitäten der Aspekt 'Nützlichkeit’ von Forschung vernachlässigt? Oder hat das Pendel bereits ins andere Extrem ausgeschlagen? Ist eine zu starke Instrumentalisierung der Hochschulforschung für kurzfristige Anwendungsinteressen auszumachen? Gibt es Alarmsignale, die rechtzeitig warnen? Sollen die Produkte der Forschung marktfähig sein? (4) Und wenn ja, was bedeutet dies für die Forschung? War die Zusammenarbeit mit der Industrie für ETH Zürich nicht immer schon von grosser Bedeutung und beruht sie nicht auf langjährigen und engsten Kontakten? Trifft es wirklich zu, dass der Annäherungsprozess „immer noch durch die Kultur der Universitäten und ihre Funktionsregeln allzu stark gebremst“ wird? (5)
Steht staatliche Lenkung im Widerspruch zur Freiheit der Forschung, die sich „weder strikte planen noch nach Kriterien der Effizienz und der Brauchbarkeit steuern lässt“ (6) Wie müssten „rationalisierte Universitätsverwaltungen“ und effizientes Management gestaltet sein, damit „die akademische Kreativität“ nicht erstickt wird? In welchem Ausmass machen „quantifizierbare Outputkriterien“ (6) allenfalls Sinn und wo verhindern sie unorthodoxe Forschungsperspektiven und ebnen Forschung zum Mainstream ein? Kann Kreativität gemanagt werden? (7) Können Visionen nur dann eine Rolle spielen, „wenn sie vom Forschungszusammenhang selbst generiert werden und damit den Erkenntnisprozess als einen ergebnisoffenen und perspektivenreichen Vorgang stützen“? (8) Muss man Forschung gegen aussen verkaufen? Oder führt ein öffentlichkeitswirksames Marketing zu Oberflächlichkeit? War es nicht schon immer so, dass die Hochschule die tonangebenden Kreise von der Relevanz ihrer Forschung hat überzeugen müssen? Führt eine Mittelzuteilung aufgrund von als gut eingestufter Forschung zur Verbesserung der innerwissenschaftlichen Güte? Führt die indikatorgestützte Mittelzuweisung dazu, dass sich Forschungstätigkeit zunehmend an solchen Indikatoren orientiert statt an Qualitätsstandards? Wie kann der Zeitaufwand für Akquisitions- und Selbstdarstellungsaktivitäten der Forschenden auf ein Mass reduziert werden, das nicht zu Lasten der eigentlichen Forschungstätigkeiten geht? Wird das Einwerben staatlicher Drittmittel zum Selbstzweck und schafft es einen Anreiz, sich eher auf die durch Drittmittel geförderte anstelle der eigenen Überzeugung entsprechende Forschungstätigkeit zu konzentrieren? „Nicht zentrale Regulierung und Homogenisierung erklären die Geschichte und success story der europäischen Universität der Moderne, sondern ein autonom geführter Wettbewerb der Strukturen, der, bei aller evolutionär geschehenen Angleichung der institutionellen Organisationsmerkmale, dezentrale und lokale Neuerungen, Abweichungen und Offenheit für situationsgemässe Lehr- und Forschungsprofile gestattete.“ (9) Was heisst das konkret? Die Debatte in OxfordDie über anderthalb Jahre geführte Debatte an der Universität von Oxford über die 'White Paper’-Reformen wurde zwar am 19. Dezember mit der Ablehnung des Pakets durch die 'Congregation’ vorerst beendet. Doch ging sie ohnehin weit über die vordergründigen Organisationsfragen hinaus und widmete sich genau den hier aufgeworfenen Fragen. Die streckenweise geistreich und pointiert geführte Debatte kann auf der Website der Universität nachgelesen werden, aber auch im „The Guardian Digital Edition“, wo der Veröffentlichung eines Beitrags des Historikers Timothy Garton Ash eine mittlerweile seitenlange Diskussion folgte. Ash sah die Debatte von Anfang an in einem weiteren Zusammenhang: „The particular organisational issues at stake are intricate, but the larger question hanging over Oxford’s debate is simple. It is whether Europe will have any world-class research universities at all in 20 years’ time”. Der Beitrag schliesst mit der Aufforderung: “So let Europe at least, like Oxford, have a great debate and make a conscious choice”!
References:
Footnotes:
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