ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
Print-Version Drucken
Publiziert: 04.04.2002 06:00

Neue Wege für wissenschaftliche Publikationen
Transparenz in den Review-Prozess

Die Nachvollziehbarkeit ist eine zentrale Eigenschaft der Wissenschaften. Doch bei den Peer-Reviews greift dieses Prinzip noch nicht richtig. Dies zu ändern, ist aber die Absicht mehrerer Wissenschaftler, auch an der ETH.

Von Christoph Meier

Eine wissenschaftliche Publikation hat eine Geschichte. Doch von dieser bleiben dem Lesenden viele Phasen verborgen - so zum Beispiel der Review-Prozess. Die Begutachtung durch Fachleute stellt teilweise ein Pièce de résistance dar, manchmal ist sie aber seltsam durchlässig. Dazu kommt, dass Reviewer ihre Position missbrauchen können, indem sie die Information weiterleiten oder sie für ihre eigene Forschung verwenden (1). Der ETH-Atmosphärenchemiker Thomas Koop dazu:"Ich denke, dass der Peer-Review-Prozess im Prinzip eine wichtige Komponente des Publikationswesens ist. Trotzdem fragt man sich des öfteren, wie es zur Publikation eines bestimmten Papers kommen konnte." In einem kürzlich erschienenen Artikel im Wissenschaftsmagazin "Science" fand Koop eine entscheidende, jedoch falsche Annahme in einer Fussnote. Den Reviewern entging dies aber. Was tun? Einen Kommentar schreiben? Das erwog Koop. Doch dann sah er davon ab, da Kommentare in "Science" in Anhängen der Online-Ausgabe "versteckt" werden.

Thomas Koop
Engagiert sich für einen offenen Peer-Review-Prozess: der ETH-Atmosphärenchemiker Thomas Koop. gross

Offene Diskussion

"Wir haben uns jetzt entschieden, einen Artikel zu der falschen Annahme beim Journal "ACP" einzureichen, um dann die Autoren des 'Science'-Artikels zu einer Diskussion einzuladen", erläutert der Forscher das weitere Vorgehen von ihm und seinen Kollegen. ACP steht für Atmospheric Chemistry and Physics (2) und ist im Herbst 2001 erstmals erschienen. Der Grund, wieso Koop an "ACP" gelang, liegt nicht darin, dass Koop zum 60 Personen starken Editorial Board des Journals gehört, sondern dass "ACP" beim Peer-Review-Prozess neue Wege beschreitet. Ein eingereichtes Paper wird zuerst von einem Redaktor und zwei anonymen Gutachtern auf seine generelle Eignung und technische Korrektheit überprüft. Erfüllt der Artikel die elementaren Standards, kommt er auf die Website von "ACP". Danach steht es allen registrierten Forschenden offen, die Arbeit zu kommentieren. Nach acht Wochen, in denen auch die Peer-Reviewer anonym Kommentare abgeben sollen, überarbeiten die Autoren den Artikel und reichen ihn für eine abschliessende klassische Entscheidung durch den Redaktor ein. Fällt diese positiv aus, erscheint das Paper auf der ACP-Website und ist direkt verlinkt mit dem Original und der Diskussion dazu.


weitermehr

ACP
Eine Publikation, die den Peer-Review-Prozess offen legt: Atmospheric Chemistry and Physics. gross

"Eigentlich sollten Kommentare etwas Gutes sein. Dies ist im heutigen Wissenschaftsbetrieb aber leider nicht der Fall", antwortet Koop auf die Frage, weshalb der Peer-Review offengelegt werden sollte. Damit die Kommentare auch konstruktiv sind, wird bei "ACP" eine Registrierung verlangt. "Die Registrierung ist leider im heutigen Zeitalter notwendig, damit niemand unter dem Namen eines anderen Kommentare abgeben kann." Um auch nicht durch wirtschaftliche Interessen eingeschränkt zu werden, arbeiten die Editoren bei "ACP" ehrenamtlich. Auch die Trägervereinigung, die European Geophysical Society, schlägt keinen Profit daraus.

Kommentar nicht nur durch Auserwählte

Doch sind die Wissenschaftler nicht zu überlastet, als dass sie ohne Verpflichtung, aus blossem aus Idealismus noch Reviews schreiben? Das möge vielleicht zum Teil zutreffen, befindet Koop. "Aber ist es dann die richtige Antwort, sich zu beklagen, die Hände in den Schoss zu legen und nichts zu tun?", schliesst der Wissenschaftler an. Ausserdem glaubt er, dass es immer wieder Forschende gebe, denen der spezifische Sachverhalt eines Artikels sehr am Herzen liegt. Entsprechend würden sie ein grosses Interesse daran haben, dass in ihrem direkten Umfeld kein Unsinn publiziert wird.

Zu beachten gilt es auch, dass sich mit der Kommentarmöglichkeit auch weniger Etablierten oder Doktorierenden die Chance eröffnet, etwas beizutragen und ihre Meinung zu äussern. Dies trifft insbesondere auch auf Hochschulangehörige aus ärmeren Ländern zu. In diesen Kreisen wird aber wahrscheinlich neben der Kommentarmöglichkeit auch vor allem der freie Zugang geschätzt werden - etwas, das vermehrt in Wissenschafskreisen eingefordert wird (3). Auch für Thomas Koop ist dieser Aspekt bei "ACP" essentiell. Der freie Zugang kann aber auch für Autoren attraktiv sein, denn die Zitationshäufigkeit von frei zugänglichen Artikeln ist schon jetzt teilweise höher als von vergleichbaren Print-Artikeln.

Mässige Resonanz

Die bis jetzt geringe Kommentarhäufigkeit in "ACP" - sie bewegt sich zwischen null und drei - , ist für Koop einfach eine Anfangsschwierigkeit. "Es braucht eine gewisse Zeit, sich an das neue System zu gewöhnen und dann auch zu kommentieren." Jetzt gelte es "ACP", und damit auch das Konzept, salonfähig zu machen und zu etablieren. Ein gewisser Erfolg dabei kann verzeichnet werden, als das Wissenschaftsmagazin "Nature" breit über Journals mit offenem "Peer-Review", insbesondere über ACP berichtete (4). Im "Nature"-Artikel erfährt man, dass es auch in anderen Bereichen Anstrengungen für offene Peer-Reviews gibt: Bei der Künstlichen Intelligenz ist dies "Electronic Transactions on Artificial Intelligence" (ETAI)(5) oder in der Medizin "The Medical Journal of Australia" (MJA)(6). Als Grund für die Zurückhaltung bei den vielen anderen Journals wird angeführt, dass ein offener Peer-Review-Prozess Plagiate begünstigt. Dies überzeugt nicht, da erstens die offengelegte Begutachtung bereits eine Publikation darstellt und zweitens auch anonyme Reviews Missbräuche nicht haben verhindern können.

Trotzdem - die sogenannt Grossen wie "Nature" und "Science" scheinen keine Änderungen zu wollen. Fragt man bei ihnen nach diesbezüglichen Plänen, verweist "Nature" auf seine Publikationskriterien. Dabei wird klar, "Nature" behält nicht nur den Peer-Review-Prozess unter Kontrolle und Verschluss, sondern nimmt sich "nature-lich" auch die Freiheit heraus, die Meinung der Reviewer zu ignorieren. Das sagt man dann selbstbewusst, aber mit britischem Understatement so: "Although Nature's editors regard it as essential that any technical failings noted by referees are addressed, they are not so strictly bound by referees' opinions as to whether a particular paper belongs in Nature."


Fussnoten:
(1) Vgl. "Peers under pressure", Nature, 413, 13 September 2001, 102-104
(2) Atmospheric Chemistry and Physics: www.copernicus.org/EGS/acp/index.htm
(3) Vgl. ETH-Life-Artikel "Leere Drohung?"
(4) Vgl. "Peer review, unmasked", Nature, 416, 21 März 2002, 258-260
(5) Electronic Transactions on Artificial Intelligence: www.ida.liu.se/ext/etai/
(6) The Medical Journal of Australia: www.mja.com.au/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!