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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 31.01.2006 06:00

Adolf Muschg mit seiner Schmerzperspektive
Schmerz und Kunst

„Das Recht auf Schmerz“ hiess der Titel des Vortrages von Adolf Muschg, den er am Dienstagabend an der ETH hielt. In der Reihe „Schmerz – Perspektiven auf eine menschliche Grunderfahrung“ des Collegium Helveticum zeigte der Schriftsteller auf, wie in der Literatur nach einem Ausdruck für dieses Gefühl gerungen wird und plädierte dabei für eine kompromisslose Vieldeutigkeit der Kunst (1).

Christoph Meier

Schmerzklinik – vor zwei Jahrzehnten sei er auf diesen Begriff gestossen. So begann Adolf Muschg seinen Vortrag. Sein erster Impuls dabei: Erleichterung. Denn endlich habe die Medizin eine Konzession an den „unansehnlichen“ Teil des Krankengutes gemacht, dem sie teilweise das Recht auf Gesundheit abgesprochen habe. Muschg erkannte in diesem Umstand, dass mittlerweile eine Akzeptanz für die Äusserung von Schmerz entstanden ist. Insofern könne man von einem Recht auf Schmerz sprechen, auch wenn der Begriff an sich ein Unding sei.

Die Gnade, allgemeiner zu formulieren

Doch wie soll man Schmerz als individuelles, sehr plastisches Phänomen zur Sprache bringen? Obwohl eine Insuffizienz der Sprache bestehe, besitzen gemäss dem Schriftsteller einige die Gnade die Not allgemeiner zu formulieren. Als ein Beispiel nannte er Goethe. Beim deutschen Dichterfürsten erläuterte Muschg, wie er sich zuerst mit dem „Wie“ des Schmerzes und später mit dem „Was“ auseinandersetzte. Entsprechend ändert sich im Satz „Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide“ von Tasso das „wie“ in ein „was“ in der Marienbader Elegie.

Doch nicht alle gelangten zum Benennen der Ursachen des Schmerzes wie beispielsweise dem körperlichen Zerfall. Muschg erwähnte in seinem literarischen Schmerzensstreifzug als nächsten Rainer Maria Rilke. Dieser formulierte in seinem letzten Gedicht „Komm du, du letzter, den ich anerkenne, heilloser Schmerz im leiblichen Geweb.“ Obwohl dieses extreme Gedicht eher schwach sei, zeigt es für den Schweizer Schriftsteller eine wichtige Eigenschaft auf: Es ist zweideutig. Es bleibt offen, ob Rilke den Schmerz anerkennt oder sich ultimativ dagegen wehrt.

Trauerrituale auch in banalisierten Gesellschaften

Ausgehend von dieser faszinierend schillernden Aussage plädierte Muschg allgemein für eine kompromisslose Vieldeutigkeit der Kunst. Denn Kunst, wisse nicht, was wahr ist, doch weiss sie, was unwahr ist, nämlich die Eindeutigkeit. Der Schriftsteller attestierte der Kunst nicht nur einen speziellen Wahrheitszugang, sondern spricht ihr noch eine vitale Funktion zu. Sie erlaube es uns Menschen, die Natur zu ertragen. Denn diese weiss nichts von Idylle oder Erhabenheit. Darum sei Kultur nötig.


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Plädierte für eine kompromisslose Vieldeutigkeit der Kunst: Adolf Muschg bei seinem Vortrag "Das Recht auf Schmerz". gross

Das Leiden an der Natur findet eine Zuspitzung im Tod. Hier, so Muschg, zeige sich in allen Kulturen, dass ein Recht auf Schmerz vorhanden sei. Obwohl Schmerz kein Konsumprodukt darstelle, hätten auch banalisierte Gesellschaften ein Bedürfnis nach Trauerritualen. Der Schmerz sei auch die Gestalt, in welcher der Sinn des Lebens uns nahe komme. Dabei kann Kunst durchaus als Mittlerin wirken.

Gelassenheit trotz Schmerz

Adolf Muschg kam in seinen Ausführungen auch auf die Kontroversen zu der geeignete Darstellungsform des Schmerzes in der Kunst zu sprechen. Er erwähnte unter anderen Lessing, der die Auffassung vertrat, dass lediglich Andeutung des Schmerzes das adäquate Mittel sei, da damit die Freiheit des Rezipienten weniger beschnitten wird.

Überlegte man sich als Zuhörer zum Schluss, wie denn Adolf Muschgs Darstellung des Schmerzes wirkte, erinnerte man sich an eine Passage seines Vortrages. In dieser erwähnte er einen Besuch des Berliner Antikenmuseums. Im Saal der Griechen ist Schmerz ein häufiges Thema. Trotzdem verlässt man den Ort dank seiner Ästhetik mit Gelassenheit, auch wenn der Schmerz nicht kleiner wird.


Fussnoten:
(1) Collegium Helveticum: www.collegium.ethz.ch/index.en.html



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