ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
Print-Version Drucken
Publiziert: 22.12.2004 06:00

Molekulare Gastronomie oder das Weihnachtsmenu aus dem Labor
Chemiker an den Kochherd

Chemiker haben die Kochtöpfe entdeckt: „Die letzten Geheimnisse der Kochkunst – Hintergründe, Rezepte, Experimente“, vermelden sie oder fragen: „What’s Cooking in Chemistry?“. Dem Rätsel der Kochkunst sind auch ETH-Forscher auf der Spur – ein weihnachtliches Abenteuer am Kochherd.

Von Michael Breu

Kochen: das Essen zubereiten, Essen machen, richten, bereiten, rüsten, anrichten, anmachen. So steht es im Lexikon. Kochen kann aber auch als Gesamtheit aller Prozesse umschrieben werden die zu „sinnlichen Molekülen“ führt, eine Art von „molekularer Gastronomie“, wie Peter Barham, Physiker der University of Bristol, meint. Sinnliche Moleküle sind Fette und Öle, Zucker, Polysaccharide und Stärken, Gluten, Proteine, Kollagen, Gelatine und Gele. Diese Moleküle werden physikalisch verändert, meist erwärmt, wobei es nicht egal ist, wie dies geschieht. Konvektion etwa ist das wichtigste Verfahren zur Wärmeübertragung und kommt beim Kochen, Backen und Frittieren zum Tragen, meint Barham. Eine andere Methode ist das Erhitzen durch Wärmestrahlung – auf dem Grill oder in der Mikrowelle. Doch diese Kenntnis macht noch nicht den guten Koch aus. „Vor dem Einstieg in die Praxis gilt es eine wichtige Frage zu beantworten: Was geschieht eigentlich beim Essen? Wir kochen besser, wenn wir zu unterscheiden wissen, welche Sinnesreize unsere Speisen auslösen: durch ihren Geschmack, durch ihre Farben, durch Geruch und Aroma“, meint Hervé This-Benckhard vom Collège de France in Paris.

Peter Barham und Hervé This-Benckhard sind Feinschmecker. Und Bestsellerautoren. Von ihnen stammen die Bücher „Die letzten Geheimnisse der Kochkunst – Hintergründe, Rezepte, Experimente“ (Barham), „Kulinarische Geheimnisse“ und „Rätsel der Kochkunst“ (beide This-Benckhard). Hervé This-Benckhard ist überzeugt: „Feinschmecker sind Enthusiasten, die Kochkunst ist ihr Gott.“ Beinahe hätte der französische Molekulargastronom im 2005 die ETH-Mitarbeiter des D-Chab mit einem Jubiläumsdinner verwöhnt, doch leider musste er absagen.

Dafür zeigt nun eine ganze Reihe von ETH-Chemikern, dass auch sie kochen können – im kürzlich erschienenen Buch „What’s Cooking in Chemistry?“ (1). Erick M. Carreira(2), Professor am Laboratorium für Organische Chemie, zum Beispiel schlägt als Menu eine Black Bean Soup vor, ein Familienrezept, wie der gebürtige Kubaner betont. Hauptbestandteile sind schwarze Bohnen, grüner Pfeffer, Knoblauch und Zwiebeln, die in einer Bouillon während zehn Minuten gekocht werden.

Donald Hilvert(3), ebenfalls Chemieprofessor am Laboratorium für Organische Chemie, bevorzugt Farfalle with Artichoke Cream Alessandro. Auch Hilvert mag es scharf: Pasta und Artischocken werden mit Chili gewürzt.

Lange war Peter Barhams Buch nur auf englisch erhältlich. Nun liegt es im Springer Verlag auch in deutscher Sprache vor. Der Physiker legt in seinem Buch den Schwerpunkt auf die Prozesse, die während dem Kochen ablaufen, zum Beispiel stellt er eine mathematische Formel auf, mit der die Garzeit berechnet werden kann. gross

Gianfranco Cainelli, heute Chemieprofessor in Bologna, hat an der ETH seinen Doktor gemacht. Der Italiener schlägt Tagliatelle alla Bolognese vor. Überraschend ist der Menuvorschlag von Scott E. Denmark, Professor an der University of Illinois. Der gebürtige New Yorker hat bei Albert Eschenmoser an der ETH studiert und dort wahrscheinlich seine Liebe zum Fondue entdeckt. Seine Version des Käsegerichts besteht aus Gruyère, Vacherin, Appenzeller und Tilsiter, enthält einen Schuss Kirsch und wird mit St.Galler-Brot gegessen.

Ebenfalls im Labor Eschenmoser arbeitete Ulf Diederichsen, heute Professor an der Georg-August-Universität in Göttingen. Der Münchner empfiehlt: Green Eel à la Marie with Dill Dip, ein Menu, das aus dem Fischrestaurant „Fisch-Fiete“ in Keitum/Sylt stammt. Zum Aal passe Gurkensalat und Gschwelti.


weitermehr

Chemieprofessoren kochen für Lutz Friedjan Tietze von der Universität Göttingen. Das Geschenkbuch zu seinem 60. Geburtstag ist nun auch im Handel erhältlich und gibt einerseits Einblick in die Forschungsarbeiten der Autoren, zeigt aber auch deren Lieblingsmenus. gross

Fisch gibt es auch bei Martin Suhm, Chemieprofessor an der Universität Göttingen und während mehreren Jahren Forscher in der Gruppe von Martin Quack am ETH-Laboratorium für Physikalische Chemie. Suhm kocht ein Fish Soufflé Clausius-Clapeyron. Mit seinem Rezept ehrt er die beiden Mathematiker Rudolf Julius Emmanuel Clausius und Benoit Paul Emile Clapeyron, die mit ihrer Gleichung den Zusammenhang zwischen thermischen und kalorischen Zustandsgrössen im Nassdampfgebiet beschrieben sowie den Physiker Joseph Louis Gay-Lussac (für die Dampfdruckkurve) und den Biochemiker Louis Camille Maillard (für die Beschreibung der Reaktion von Kohlenhydraten mit Aminosäuren). Suhm bevorzugt Dorsch, den er zusammen mit Milch, Butter, Eiweissschaum und Gewürzen zu einer Masse verrührt und anschliessend im Backofen aufgehen lässt.

Indirekt mit der ETH Zürich zu tun haben Clayton H. Heathcock und Dieter Enders. Heathcock erhielt 1991 die Prelog Medal der ETH, ist heute Dekan am College of Chemistry der University of California at Berkeley und Autor eines der wichtigsten Grundlagenbücher der Organischen Chemie; Enders studierte beim inzwischen emeritierten ETH-Professor Dieter Seebach, als er noch an der Universität Giessen tätig war, und ist heute Chemieprofessor an der RWTH Aachen. Im Buch „What’s Cooking in Chemistry?“ macht Heathcock den Vorschlag, ein Texas Chili zu kochen – wie er es übrigens seit Jahren jeweils im Herbstsemester für seine Studenten tut. Dazu gibt es pro Person vier Flaschen „Samuel Adams“, nach Meinung Heathcock das beste US-amerikanische Bier. Enders bevorzugt ein Chicken à la Maritje, benannt nach der Ehefrau eines dänischen Mathematikers, den er während seiner Postdoc-Zeit in Harvard kennen lernte. Das Huhn wird zusammen mit Zwiebeln, Pilzen und Tomaten gebacken.

„Wer ein Ei kochen und braten kann“, sagt Hervé This-Benckhard, „kann auch Fleischgerichte zubereiten.“ Denn sowohl bei Eiern als auch beim Fleisch kommt es auf die Chemie der Gerinnung an. Für This-Benckhard gehört das Thermometer deshalb zur Grundausstattung jeder Küche. Überhaupt: Sein Werkzeug unterscheidet sich nicht gross von jenem, das auch im Labor benutzt wird. Da findet man zum Beispiel einen Handpürierer, jede Menge verschiedener Spatel, Messbecher und einen Autoklaven (Dampfkochtopf). Auch ein Laborjournal soll strikt geführt werden – denn wer aus Fehlern lernen will, muss genau wissen, wie er was bei welchen Bedingungen gekocht hat.


3 Tipps für die Weihnachtsküche

Ein Schweinebraten soll es sein. Aber ohne die lästigen Kollagenfasern, die jeweils zwischen den Zähnen hängen bleiben. Kein Problem: In den noch rohen Schweinebraten wird mit einer Spritze Ananassaft injiziert. Nach einer kurzen Ruhezeit wird der Braten im Ofen gegart. Der Trick: Die in der Ananas enthaltenen Enzyme wirken proteolytisch; das heisst, sie bauen Proteine ab.

Gibt man Brokkoli in kochendes Wasser, so zeigt er nach wenigen Sekunden ein kräftigeres Grün. Diese Farbintensivierung entsteht durch eine Freisetzung von Gasen aus den Lufttaschen zwischen den Zellen. Leider hält die Farbe nicht an: Nach wenigen Minuten wird das Gemüse grau. Kein Problem: viel Wasser verwenden, eine Prise Natron hinzugeben und ohne Deckel bei starker Hitze weiterkochen. So bleibt der Brokkoli grün. Der Trick: Die beim Kochen von Brokkoli freiwerdenden Säuren entweichen mit dem Wasserdampf oder werden durch das Natron neutralisiert. So können sie das Magnesium im Chlorophyllmolekül nicht mehr verdängen.

Die Zubereitung von Saucen ist eine hohe Kunst. Viele Faktoren können das Gelingen vermiesen. Ist die Béarnaise zu dick? Erster Trick: etwas Wasser zugeben. Oft ist die Sauce zu stark eingedickt. Zweiter Trick: etwas Zitronensaft und einige Salzkörner beigeben. Säure und Salz helfen, die intramolekularen Bindungen der Proteine zu trennen.




Literaturhinweise:
Ebenfalls mit molekularer Gastronomie befassen sich die folgenden Bücher:
Peter Barham: „Die letzten Geheimnisse der Kochkunst“, Springer Verlag, Heidelberg 2003 (363S., geb., sFr. 24.-): www.springeronline.com/
Hervé This-Benckhard: „Rätsel der Kochkunst“ (1998; sFr. 16.50), „Kulinarische Geheimnisse“ (1999; sFr. 16.50) und „Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst“ (2001; sFr. 18.30). Alle drei Bücher sind im Piper Verlag München erhältlich: www.piper.de/

Fussnoten:
(1) Hubertus P. Bell et al.: „What’s Cooking in Chemistry? How Leading Chemists Succeed in the Kitchen“, Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2003 (232 S., geb., sFr. 45.-): www.wiley-vch.de/publish/dt/books/ISBN3-527-30723-0
(2) Arbeitsgruppe Erick M. Carreira: www.carreira.ethz.ch/
(3) Arbeitsgruppe Donald Hilvert: www.protein.ethz.ch/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!