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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 20.01.2006 06:00

Justus Dahindens Gedanken zur Architektur
Gefühlter Raum

„Mensch und Raum“ heisst das neue Buch von Justus Dahinden, das von der ETH-Bibliothek herausgegeben wurde. Der Schweizer Architekt plädiert darin für ein Raumverständnis, das den Menschen in seinen verschiedenen Facetten als denkendes und fühlendes Wesen begreift. Es gilt sowohl den Aufforderungscharakter von Räumen wie philosophische Raumzusammenhänge zu verstehen.

Christoph Meier

„Komm herein!“ Wenn ein Gebäude oder Raum den Menschen dazu auffordert, dann sei das gute Architektur. Diese Meinung vertritt Justus Dahinden. Der Architekt, der an der ETH promovierte, legt in seinem neuen Buch „Mensch und Raum“, das von der ETH-Bibliothek im Jahre 2005 herausgegeben wurde, entsprechend dar, wie wichtig es ist, die Verhaltensbeeinflussung von Gebäuden in der Architektur zu berücksichtigen (1). Dabei muss ein Architekt berücksichtigen, dass das Wohlbefinden eines Bewohners nicht einfach von einer im Trend liegenden Ästhetik abhängt. Vielmehr sollte man gemäss Dahinden herausfinden, wie die grundsätzlichen Empfindungsqualitäten eines gestalteten Raumes sind, welche „Gefühlsansteckung“ von ihm ausgeht. Dabei gibt es gestaltpsychologische Aspekte, die nicht einfach ignoriert werden können.

Während seiner Lehrtätigkeit an der Architekturfakultät der Technischen Universität in Wien und dem dazugehörigen Raumlabor habe er sehr viele Versuche mit Studierenden zur Raumwirkung unternommen, legt der Architekt im Gespräch dar. Dabei habe er beobachtet, dass verschiedene Räume konstant ihre Wirkung entfalten. So gebe es Orte, wo alle schweigen; oder eine unterschiedliche Materialisierung habe seine Studenten verleitet, bei zwei Treppen immer nur eine zu benutzen. Auf der Basis dieser Forschungen kommt Dahinden in seinem Buch zu einer Typisierung von Räumen und spricht beispielsweise von Imponier- oder Entspannungsräumen.

Hochhäuser als problematische Wohnbauform

Da nicht der Zweck des gebauten Raums im Vordergrund steht, sondern wie sich der darin befindliche Mensch selber erfährt, kehrt Dahinden den Satz „Form folgt der Funktion“ um. Die durch den Raum ausgelösten Empfindungsqualitäten legen dem Bewohner die entsprechende Nutzung nahe, also folgt die Funktion der Form. Die mangelnde Sensibilität für den Aufforderungscharakter erkläre beispielsweise das Scheitern der funktional optimierten Gebrauchsräume wie Küchen beim Wohnen. Eine falsche Empfindungsqualität bei gebauten Räumen erzeuge beim Benutzer Stress. Das gelte beispielsweise auch für Hochhäuser, da mit der Entfernung von der Erdbasis die Wohnqualität abnehme, meint der Zürcher Architekt.

Der auch bei seinen eigenen Bauten immer wieder experimentierende Architekt beschränkt sich nicht nur auf Verhaltensbeobachtungen, um auf geeignetes Bauen zu schliessen. Er setzt sich mit ganz grundlegenden, in die Philosophie reichenden Fragen auseinander. So wirkt für ihn die Schräge im Gegensatz zur häufig den Menschen dominierenden Vertikale beispielsweise befreiend. Bei Pyramiden führt die spezielle Anordnung der schrägen Flächen sogar dazu, dass diese als Mittler zwischen Himmel und Erden fungieren. Selber hat Dahinden die Schräge mit Bauten wie dem Ferrohaus am Zürichsee, Entwürfen zu Stadthügeln – einer neuen Stadtform, bei der sich im Zentrum eines Hügels gemeinsame Grossräume befinden und aussen terrassiert Wohnungen – oder dem Nurdachhaus erkundet. Das sind alles im Buch dokumentierte Beispiele.


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"Eine falsche Empfindungsqualität bei gebauten Räumen erzeugt beim Benutzer Stress", meint der Architekt Justus Dahinden. Kürzlich erschien sein Buch "Mensch und Raum", das sich unter anderem mit dem Thema "Raumempfinden" auseinandersetzt. gross

Kirche mit Trommelturm

Das Nurdachhaus auf der Rigi, gebaut für seinen Vater, stellt auch den ersten realisierten Entwurf von Dahinden dar. Es biete eine extreme Form der Geborgenheit an, meint der Architekt. Grundsätzlich gelte es, dass man sich für ein Gebäude mit der vorhandenen Tradition auseinandersetzen muss. Das sei für ihn beim Kirchenbau in Afrika eine der grössten Herausforderungen gewesen. Denn teilweise würden westliche Bautraditionen gerne rasch übernommen. Für einen Trommelturm anstelle von einem für Glocken bei der Kathedrale in Mityana in Uganda habe er einige Widerstände überwinden müssen. Dem Wagnis Kirchenbau widmet Dahinden in seinem Buch ein ausführliches Kapitel mit Text, Skizzen und Fotografien. Der Leser erfährt dabei, wie Dahinden bei seinen eigenen Sakralbauten die verschiedenen Ansprüche, die an eine Kirche gestellt werden, zu vereinigen versucht.

Bauen für Seele und Körper

Keine Vereinigung aber den Versuch, die Gebäude nach dem Umgang mit tragenden und getragenen Strukturelementen zu erklären, unternimmt der Architekt im Kapitel „über architektonisches Denken“. Ausgehend von zwei grundlegenden Gestaltungsprinzipen, glaubt er eine Wellenbewegung in der Geschichte der Architektur erkennen zu können. So gebe es Zeiten, wo beim Bauen die Schwerkräfte klar erkennbar seien. Dagegen wird in anderen Phasen gerade das Tektonische verschleiert. Prototypen davon sind einerseits das Löwentor von Mykene, andererseits die Villa Savoye in Poissy von Le Corbusier. Hervorragende Bauten in vergangenen Hochkulturen, so Dahinden, lassen klare Denksysteme erkennen und vermeiden schwächliche Mischformen.

Obwohl der Zürcher Architekt Corbusier sehr schätzt und seine Einteilung in die beiden Gestaltungsprinzipien mit keiner Wertung verbindet, könnte es seiner Ansicht nach doch sein, dass sein berühmter Fachkollege mit dem Entwurf des „plan voisin“ in Paris eine Intialzündung zur heute hochgejubelten, anonymen „Kistenarchitektur“ geliefert hat. Solche Architekten haben sich gemäss Dahinden zuwenig überlegt, was gebaute Räume leisten sollen: die Gesunderhaltung des Menschen an Körper und Seele.


Fussnoten:
(1) Justus Dahinden: „Mensch und Raum. Man and Space“, Dtsch.-Engl. ETH-Bibliothek 2005, ISBN 3-7828-1614-5 Krämer, Stuttgart



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