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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 05.10.2006 06:01

Interview mit Christian Mumenthaler, Chief Risk Officer bei der Swiss Re
"Angst blockiert vor Grösserem "

Intern ist die Diskussion um die Strategie der ETH in vollem Gange. Doch wie sieht es ein Externer? Einer, der hier studierte und doktorierte und inzwischen im obersten Management des Rückversicherers Swiss Re sitzt? – Christian Mumenthaler über intellektuelle Brillanz, unleserliche Skripts und mentale Blockaden.

Roman Klingler

Herr Mumenthaler, was haben Sie persönlich an Kompetenzen aus Ihrem ETH-Studium mitgenommen?

Christian Mumenthaler: Ich habe die ETH vor allem als Ort erlebt, um selbständig und strukturiert denken zu lernen. Und das sind in der Tat Qualitäten, die sehr geschätzt werden in der Wirtschaft. Auch eine Portion Durchhaltewillen braucht es, um ein Studium durchzustehen.

Decken sich diese Kompetenzen mit den Erwartungen der Wirtschaft von heute?

Ich denke, nur zum Teil. Ein Problem scheint mir der einseitige Fokus auf dem Technischen. Alles an der ETH ist auf intellektuelle Brillanz ausgerichtet. Dies führt dazu, dass man die ETH mit der - illusorischen - Gewissheit verlässt, dass sich derjenige durchsetzt, der etwas auch mathematisch beweisen kann. Wenn man dann irgendwo in der Wirtschaft erste Erfahrungen macht, kommt die grosse Ernüchterung. Es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern wie die politische Konstellation ist, wie die Interessen der Leute liegen, es geht um Emotionen. Mit andern Worten: es gibt viele Kräfte, die nichts mit Logik zu tun haben, aber die wirtschaftliche Realität prägen.

Heisst das, dem ETH-Studium fehlt der Realitätsbezug?

Mindestens wenn ich auf meine Studentenzeit zurückblicke, war es tatsächlich so. Das liegt auch daran, dass ich mich als Physik-Student für wirtschaftliche Zusammenhänge nicht gross interessierte. Als ich nach meiner Dissertation bei der Boston Consulting Group ein Vorstellungs-Interview hatte und gebeten wurde eine Kostenrechnung zu erstellen, musste ich passen: ich wusste nicht was das war. Wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der Studierenden irgendwann mal in der Wirtschaft landen, wäre es von Vorteil, wenn alle Studierenden betriebswirtschaftliche Grundlagen kennenlernen würden.

Das andere ist der Unternehmergeist, den man viel stärker noch fördern sollte an der ETH. Beispielsweise indem man Erfolge zelebriert, was in der Schweiz generell zu wenig getan wird. Wir haben ja erfolgreiche Jungunternehmer, die man vorzeigen kann. Solche Vorzeigebeispiele können andere ermutigen, etwas zu wagen und mehr Risiko auf sich zu nehmen.

Ist es nicht gerade Teil der ETH-Kultur, bescheiden zu bleiben und mit Resultaten zu glänzen statt marktschreierisch aufzutreten?

Als Schweizer bin ich natürlich geneigt zu sagen: ja, das ist so. Aber wer definiert denn, was ETH-Kultur ist, was schweizerisch ist. Ich habe manchmal das Gefühl, wir sind gefangen in unseren eigenen Vorstellungen. Wir können sein, wer wir wollen.

Sie haben auch ein Jahr an der EPFL studiert. Was war in Lausanne anders?

Die Vorlesungen waren in Lausanne eindeutig besser. Die Professoren gaben sich Mühe, kannten die Grundlagen der Didaktik, waren bei Übungsstunden mit dabei und kümmerten sich um die Studenten. Natürlich gab es auch sehr gute und engagierte Professoren in Zürich, aber alles in allem war der Unterschied zwischen den beiden ETH zu meiner Zeit frappant.

Was mir ebenfalls in lebhafter Erinnerung bleibt an die EPFL, war das soziale Leben der Studierenden. Ich empfand die ETH in Lausanne mehr als Campus, auf dem Studium und soziale Aktivitäten ineinander flossen. Was heute unter Science City vorangetrieben wird, stimmt mich hoffnungsvoll, dass dieses Campus-Feeling in den nächsten Jahren auch in Zürich, mindestens auf dem Hönggerberg einkehren wird.

Was braucht es ihrer Meinung nach für mehr Lehrqualität in den Hörsälen?

Ich könnte mir vorstellen, dass es eine stärkere Trennung gibt zwischen Spitzenforschung und Lehre. Nicht alle haben die gleichen Talente. Diejenigen, die in der Lehre tätig sind, für die müssten strenge Anforderungen gelten. Es müsste Feedbackmöglichkeit geben für Studierende, die Skripts müssten auf ihre Lesbarkeit überprüft werden und alle Dozierenden sollten über ein Grundrüstzeug der Didaktik verfügen. Vielleicht führt das zu einer Spaltung zwischen Spitzenforschern, die keine Lust oder kein Talent zur Wissensvermittlung haben und Lehrkräften, aber das müsste man meines Erachtens in Kauf nehmen.


Studierte Physik an der ETH und landete in der Assekuranz: Christian Mumenthaler, Chief Risk Officer bei der Swiss Re . (Bild: Redaktion ETH Life) gross

Stichwort Internationalisierung: Die Studierenden an der ETH sollen internationaler werden. Gehe ich recht in der Annahme, dass von Ihnen kein Einspruch zu erwarten ist gegen dieses Ziel?

Absolut. Ich bin oft in Asien und was sich dort abspielt, der Boom, die Energie, das ist schlicht unvorstellbar. Die einzige Möglichkeit, einen Teil dieser Begeisterung zu uns zu bringen ist eben, vermehrt solche jungen Leute bei uns studieren oder doktorieren zu lassen. Das würde den direkten Kontakt fördern zu unsern Studierenden, und auch ein Teil dieses unternehmerischen „Spirit“ würde automatisch überspringen, wenn vermehrt Leute mit anderem kulturellem Hintergrund hier studieren würden. So käme mehr Leben in die ETH, mehr Firmen würden gegründet, wir könnten nur gewinnen dadurch....

…man hat das Gefühl, hierzulande schlagen alle Purzelbäume vor Begeisterung, wenn die Rede ist von Asien, speziell von China und Indien. Dabei wird leicht vergessen, dass es auch andere Weltgegenden gibt, beispielsweise Afrika.

Da haben sie Recht, Afrika droht übersehen zu werden angesichts der Dynamik in Asien. Selbstverständlich gehört es zu einer internationalen Strategie, generell den Anteil an Leuten aus allen Weltgegenden zu erhöhen und möglichst viele Kulturen zusammen zu bringen.

Läuft man nicht Gefahr, durch eine Internationalisierung die Verwurzelung der ETH in der Schweiz preiszugeben?.

Nein, niemals. Das ist ein reines Angstargument. Angst blockiert uns vor Grösserem. Nehmen wir das Beispiel Swiss Re. Der Konzern ist in den letzten Jahren viel internationaler geworden. Heute sind die meisten der Geschäftleitungsmitglieder Ausländer – aus Russland, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich, Luxemburg, England, den USA und Kanada. Das ist eine Bereicherung und keine Bedrohung, und die Swiss Re ist immer noch eine Schweizer Firma, weil das, was zählt, ist der „Spirit“, nicht die Nationalität der Leute. Um zur ETH zurückzukommen: Auch wenn sie – hoffentlich – internationaler wird und mehr ausländische Studierende aufnimmt, wird die ETH nur schon kraft ihrer 150jährigen Geschichte schweizerisch bleiben, da mache ich mir keine Sorgen.


Zum Interviewpartner

Christian Mumenthaler studierte Anfang der 90er Jahre an der ETH Physik und verbrachte ein Jahr seines ETH-Studiums an der EFP Lausanne. 1996 promovierte er am Institut für Molekularbiologie und Biophysik (Gruppe Wüthrich). Seine Berufskarriere begann er als Associate bei der Boston Consulting Group. Seit 1999 arbeitet Mumenthaler in verschiedenen Funktionen bei der Swiss Re Gruppe, seit 2005 als deren Chief Risk Officer. Der 37jährige Zürcher ist Mitglied der Geschäftsleitung sowie des Geschäftsleitungsausschusses.






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