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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 28.04.2004 06:00

Forschen und Fälschen

Fälschungen in der Wissenschaft sind die Folge struktureller und individueller Probleme. An der Veranstaltung mit dem Titel „Fälschungen in der Wissenschaft – Strukturproblem oder individueller Sündenfall?“wurde klar, dass Handlungsbedarf bezüglich des Umganges mit Fehlverhalten in der Wissenschaft besteht.

Von Christoph Meier

Die Beteiligung war rekordverdächtig. Schätzungsweise gut 200 Personen kamen am Montagabend zu der „Wissenschaft kontrovers“-Veranstaltung zum Thema „Fälschungen in der Wissenschaft“. Und sie erfuhren von den Rednern, die im ersten Teil des Abends kurze Referate hielten, dass Fehlverhalten in der Forschung ein virulentes Problem ist.

Zu Beginn sprach Siegfried Grossmann, emeritierter Professor für theoretische Physik und Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). In dieser letzten Funktion sei er in den letzten vier Jahren mit über hundert Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens konfrontiert gewesen. Dabei erwies sich die grosse Mehrheit als „ernste Fälle“. Grossmann stellte klar, dass die Gründe für Fehlverhalten sowohl struktureller als auch individueller Natur seien. Problematisch sind für den Ombudsmann beispielsweise, dass Fehlverhalten nicht ausreichend geächtet, teilweise verharmlost werden und häufig unseriöse Wissenschaftler institutionellen Schutz geniessen, ganz im Gegensatz zu den Informanten, den „Whistleblowers“.

Grossmann fordert darum unabhängige Ombudsmänner und klare Regelungen bei Fehlverhalten. In der Wissenschaft selbst sollte zudem eine Kultur entwickelt werden, in der die Leistung eines Forschers nicht einfach an der Publikationstätigkeit gemessen wird, Fachjournale sich gewissen Standards verpflichten und die Autorenschaft klarer erkennbar sei.

Psychisch-physische Faktoren von Fehlern

Autorenschaft war auch ein Thema von Klaus Hepp, bis 2002 Professor für Allgemeine Theoretische Physik an der ETH. Er begrüsste es, dass in der neuen ETH-Verfahrensordnung zu wissenschaftlichem Fehlverhalten die Autorenschaft aufgegriffen wird. Auch sonst konnte der Physiker den neuen Regelungen viele positive Seiten abgewinnen. Als Wissenschaftler, der sich auch in der Neurologie betätigt hatte, machte er darauf aufmerksam, dass wissenschaftliche Fehler auch durch einen „Attentional Blink“ entstehen können. Dabei entgehen dem Hirn viele Informationen, weil es seine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema richtet.

Differenzierung notwendig

Psychisch-pysische Faktoren, die zu Fehlern führen, waren kein Thema für Bertram Batlogg. Der ETH-Physiker, der als Koautor auf verschiedenen gefälschten Papern von Jan Hendrik Schön stand, plädierte als erstes für eine differenzierte Betrachtungsweise (1). So gebe es nicht die Wissenschaft oder die Ethik, sondern man müsse aufgrund der substantiell verschiedenen Praxis in den einzelnen Gebieten den Einzelfall beurteilen. In den heute oft vorkommenden multidisziplinären Forschungsprojekten sei es zudem so, dass man sich auf die Kollegen verlassen können muss.

Batlogg zeigte sich überzeugt, dass Fälschungen zumindest in der Physik schnell auffliegen. Die beiden letzten grossen Fälschungsskandale in seinem Forschungsgebiet, darunter der Fall Schön, seien aufgeflogen, da die Ergebnisse nicht reproduziert werden konnten. Eine unveröffentlichte Untersuchung der American Physical Society, bei der 92 Prozent der Befragten keinen Druck verspürten, Standards zu verletzten, bestätigten den ETH-Physiker darin, dass das System nicht strukturell krank sei.


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Plädierte für eine differenzierte Betrachtungsweise: ETH-Physiker Bertram Batlogg. gross

Reproduzieren als Gegengift

Die Mehrheit der Wissenschaftler fälscht nicht, war die Ansicht von Andreas Diekmann. Der ETH-Soziologe wies aber darauf hin, dass es bei der Wissenschaft als Massenveranstaltung auch um Macht und Geld gehe. So wie in der Wirtschaft Topmanager Bilanzen fälschten, käme es auch in der Wissenschaft zu Betrug. Mit dem DFG-Ombudsmann Sigfried Grossmann teilte Diekmann die Meinung, dass es trotz Strukturschwächen eine individuelle Verantwortung gibt. Batlogg folgend erkannte der Soziologe im Reproduzieren das Hauptgegengift bei der Bekämpfung von Fälschungen. Zudem glaubt Diekmann, dass das Zugänglichmachen der Rohdaten im Internet eine Verbesserung bewirken würde.

Machtlos gegen König Wissenschaft

Mit „Liebe Fälscher und Nichtfälscher“ begann nach der Pause Werner Bartens seinen kritischen aber durchaus witzigen Zwischenruf. Der Arzt und Historiker zweifelte, dass die Wissenschaft fähig sei, sich selber kritisch zu hinterfragen. Entsprechende Bemühungen seien wie das Spiel eines Hofnarren, der dem König „Wissenschaft“ wohl den Spiegel vorhalten könne, aber keine Macht besitze, das System zu ändern. Die Einschätzung von Bartens gründete in seiner Erfahrung als Journalist, die er im Bereich der Medizin mit Fälschungen gemacht hatte.

Entzug der Forschungserlaubnis?

Auch wenn einige Veranstaltungsbesucher in der anschliessenden Diskussion, Krankheitssymptome bei der Wissenschaft ausmachten, erachtete kaum jemand mehr die Wissenschaft als so „Therapie resistent“ wie Bartens. Vielmehr gingen mehrere Vorschläge ein, wie das System zu verbessern sei. Der Chemienobelpreisträger Richard Ernst beispielsweise forderte bei gravierendem Fehlverhalten einen Entzug der Forschungserlaubnis, analog zu einer Dopingsperre im Sport.

Wenig konkrete Beispiele

Einig war man sich, dass Veränderungen nötig seien. Kämen die nicht von der Wissenschaft selbst, dann würden sie von aussen aufgezwungen, meinte ein Votant. Diskutiert wurde auch über das Problem, wie weit ein Forscher anhand der Menge seiner Publikationen bewertet werden könne, die neue Verordnung der ETH oder die Frage nach der Verantwortung der Koautoren.

Obwohl ein Veranstaltungsbesucher in diesem Zusammenhang wissen wollte, wie der anwesende Bertram Batlogg mit der Koautorenschaft im Fall Schön umgegangen sei, wurde auf die Frage nicht geantwortet. Moderator Gerd Folkers gab das Wort an jemanden weiter, der ein neues Problem anschnitt, danach kam man nicht mehr darauf zurück. Es entstand der Eindruck, dass kaum jemand Interesse daran hatte, konkrete Fälle aufzugreifen, um anhand von Einzelfällen das Phänomen der Fälschung besser zu verstehen. Es bleibt zu hoffen, dass trotzdem die Sensibilisierung auf das Problem von wissenschaftlichem Fehlverhalten, die sich Folkers von der Veranstaltung versprach, stattgefunden hat.


Die nächste Veranstaltung in der Reihe "Wissenschaft kontrovers" findet am 10.5.04 statt und widmet sich wissenschaftlichen Visionen ("Ist nun alles nano? - Phantastische Visionen versus nüchterner Forschungspraxis"). Die Veranstaltung vom 17.5.04 zum Thema "Kernenergie in der Schweiz" kann wegen Erkrankung eines Referenten nicht stattfinden .


Fussnoten:
(1) Vgl. auch „ETH Life“-Artikel „Forschung auf Abwegen“: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/faelschungendiek.html



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