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Publiziert: 14.09.2004 06:00

Listenreiche Wissenschaft
Listenreiche Wissenschaft

Von Jose Brunner

In seinem Beitrag zur Itingen Summerschool, die sich mit der "List der Wissenschaft" befasste, hat Reto Bader geschrieben:

"Das Milgram-Experiment mag ein Beispiel für einen intelligent aufgebauten Versuch sein. Die Überlistung der Versuchspersonen ist hier jedoch überhaupt nicht relevant für den Erkenntnisgewinn oder die Interpretation der Resultate. Wichtig (und erschreckend zugleich) ist lediglich, dass die Versuchspersonen glaubten, einem Schüler tatsächlich Elektroschocks zu verpassen. Die List ermöglichte es, das Experiment für den vermeintlichen Schüler (d.h. den Schauspieler) schmerzfrei zu gestalten. Man wäre aber zu den gleichen Schlussfolgerungen gelangt, wenn man richtige Schocks angewandt hätte."

Bader scheint die List des Milgram Experiments missverstanden zu haben. Die zentrale List des Experiments lag nicht darin, dass der "Schueler," den die Testpersonen zu schocken glaubten, gar keine Elektroschocks erhielt. Die entscheidende List des Experiments, ohne die Milgram es nicht durchfuehren konnte, und ohne die er zweifellos nie die Ergebnisse erhalten hatte, die er erhielt, war, dass er die Testperonen unter einem falschen Vorwand ins Labor der Yale University brachte. Er veröffentlichte nämlich eine Annonce, die Teilnehmer an einem Lern- und Gedaechtnissexperiment suchte. Wenn er die Leute nicht irregeführt hätte und ihnen offen gesagt hätte, er wolle prüfen, wie gehorsam sie seien, hätten sie sich wahrscheinlich gehütet, Anweisungen blind zu gehorchen. Dies also ist eine List der Wissenschaft, zugleich Kunstgriff und Täuschung, die notwendig sind die Objekte der Wissenschaft, die ja oft auch Subjekte sind, zu überlisten, um eine Wahrheit über sie herauszufinden.

Nach dem Experiment wurde Milgram vorgeworfen, dass solche Täuschung unethisch sei, und seit den 70er Jahren ist in allen "Ethical Codes" der Vereinigungen und Institute fuer Sozialpsychologie verboten, Testpersonen zu belügen. Was Milgram damals gemacht hat, gilt heute zwar nicht für illegal, aber doch unethisch, d.h. ist der Wissenschaft, die Vertrauen hervorrufen soll, nicht mehr genehm.

Die Grenze zwischen der List als legitimer und kreativer Kunstgriff und der List als ein zu ahndender Betrug -- Milgram wurde ein Jahr lang die Mitgliedschaft in der American Psychological Association verweigert, weil sein Verhalten als unethisch galt -- ist nicht ganz einfach zu ziehen, und verschiebt sich auch mit der Zeit.

Um solche Grenzfaelle ging es unter anderem in Ittingen, denn sie bringen Betrug und know-how in Verbindung. Dass es in der Wissenschaft eben nicht nur das Direkte, Offene, und Objektive gibt, sondern auch Täuschung, Blindheit und unkontrollierbaren Effekte, wir ja oft nur ungern wahrgenommen.





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