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Rubrik: Forum
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Publiziert: 09.12.2005 06:00

L e e/h r e aus der Hosentasche?

Von Leonhard Kleiser

„Wenn in zehn Jahren alles Wissen auf einem iPod gespeichert werden und man alles jederzeit abrufen kann – was müssen wir dann den Studierenden überhaupt noch vermitteln? Ist es wirklich der Stoff, den wir heute prüfen?“ So fragt Präsident Ernst Hafen im kürzlich erschienenen Interview [1]. Alles Wissen in der Hosentasche, immer und überall zugreifbar - in der Tat eine faszinierende Vorstellung! Jahrhunderte lang verbrachten Lernende und Forscher endlose Stunden in Bibliotheken, um aus Büchern und anderen Quellen zu exzerpieren. Ein riesiger Schritt ist es schon heute, wenn jeder Studierende auf einen Laptop und über das Internet auf eine schier unendliche Menge an Informationen zurückgreifen kann. Damit kein Ende, mancherlei neue Unterrichtstechnologien werden sicher noch Einzug halten.

Aber, so denke ich, viele von uns beschleicht auch ein ungutes Gefühl. Erliegen wir nicht zu oft der Faszination des erstmals Machbaren, der Brillanz der Technik? Wieviel teure Hörsaaltechnik ist über die ETH hinweg installiert, und wie gross sind tatsächlich Nutzung und Wirkungsgrad? Was davon ist nach kurzer Zeit nur noch Hightech-Schrott? Übersehen wir nicht zu leicht, gerade auch im Bereich des Lernens und Lehrens, einerseits die invarianten Fundamente, und andererseits die aus dem Fortschritt resultierenden neuen Herausforderungen? Neues macht zudem Altes oft nicht überflüssig: das Fernsehen hat nicht das Kino, das Internet das Buch nicht verdrängt.

Was denn kommt tatsächlich aus dem iPod? Auch er ist kein Nürnberger Trichter. Informationen, Daten und Fakten mag man massenhaft abrufen können. Doch Information ist noch nicht Wissen. "Wissen ist Information kombiniert mit Erfahrung, Kontext, Interpretation und Reflexion" (T. Davenport). Bis, wenn je, ein Rinnsal so verstandenen Wissens aus besagten Hosentaschen strömt, wird sich die Softwareindustrie noch mächtig ins Zeug legen müssen [2]. Wissen ist auch noch nicht Können: das Können, mit dem Wissen etwas anzufangen, und sich neues Wissen selbständig anzueignen.

Wissen, Können und die Erwerbsfähigkeit dafür zu vermitteln, ist die hohe Kunst des gelungenen Fachunterrichts (von der weithin in den Hintergrund gedrängten „Bildung“ möchte ich an dieser Stelle nicht reden). Er-arbeitung, An-erwerb, An-eignung von Wissen („erwirb es, um es zu besitzen“, wie es einstmals hiess) ist mal ein lustvoller, oft ein mühsamer Prozess, und bedarf der Hilfestellung. Der Mensch lernt offenbar am effektivsten von einem Menschen, je didaktisch versierter dieser agiert, desto besser. Aufbereitung von Informationen in erfassbare Einheiten, Geleit durch den Dschungel, Orientierung statt Überflutung, Aktivierung der Lernenden statt noch mehr Berieselung, „durchblicken statt sich durchklicken“ - dies scheinen mir mehr denn je Gebote der Stunde zu werden. Oder nach der konfuzianischen Maxime: "Erkläre mir, und ich vergesse. Zeige mir, und ich erinnere mich. Lass es mich tun – und ich verstehe!" Wieweit geeignete Geräte dabei helfen oder behindern, liegt zu einem guten Teil an ihren Nutzern. Mir ist deshalb um den Arbeitsplatz des Lehrers, auch an der Hochschule, nicht bange. Seine Aufgaben mögen sich wandeln, im Umfang aber werden sie eher wachsen, und Datenmassenströme werden ihn nicht wegspülen.

A propos sinnvoller Prüfungsstoff: pures Fakten"wissen" kann es nicht sein. Die Studierenden unserer (IFD) Grundvorlesungen benutzen in ihren schriftlichen Prüfungen seit langem Lehrbuch, Skript und persönliche Notizen. Der iPod dürfte daran nichts Wesentliches ändern.

Zum Schluss doch noch ein Geständnis. Erst vor wenigen Wochen habe ich mich vehement - und zum Glück erfolgreich - für Erhalt einer inzwischen offenbar bedrohten Spezies eingesetzt: unseres vielleicht bestbewährten personenbezogenen Wissenstransfer-Geräts, der Grossen Wandtafel (mit Vorliebe mechanisch bedient, weil sie dann auch funktioniert). Und ein Kollege im D-MAVT, der ausschliesslich die Wandtafel benutzt (es gibt auch kein Skript), wurde übrigens von den Studierenden mit der Goldenen Eule ausgezeichnet …

[1] Die Lehre fördern - Der neue ETH-Präsident im Gespräch http://www.ethlife.ethz.ch/articles/campuslife/ehafenint.html

[ [2] Bill Gates, The New Road Ahead, Newsweek Special Edition – Issues 2006, Dezember 2005, p. 100





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