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Publiziert: 09.09.2004 06:00

Listenreiche Wissenschaft
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Von Reto Bader

Einfache Daten-Hinterziehung

Ich frage mich beim Lesen des Berichts über die erste Ittinger Sommerschule, ob das Thema „List in der Wissenschaft“ bewusst so weit gefasst wurde, um ihn nicht auf den Teilaspekt „Betrug“ einzuschränken. Fördert es denn neue Einsichten, wenn das Design des „Milgram-Experiments“ und der Fall „Jan Hendrik Schön“ an derselben Veranstaltung abgehandelt werden, um mit gleichsam mathematischer Logik zu folgern, dass List in den Wissenschaften nicht notwendigerweise Betrug bedeutet? List ist ja wertneutral, ein Kunstgriff oder Mittel, um ein Ziel auf unerwartet einfache oder - im positiven Sinne - elegante Weise zu erreichen. List wird in dieser Betrachtungsweise gar zum eigentlichen Hauptzweck der Naturwissenschaften: Der Mensch versucht, mit Hilfe systematischer wissenschaftlicher Erkenntnisse seinen Spielraum in seiner natürlichen Umgebung laufend zu erweitern, unmöglich scheinendes möglich zu machen. Er „überlistet“ die Natur. Eine etwas andere Geschichte ist dann allerdings die Anwendung von List in den Wissenschaften, um sich anderen Menschen gegenüber Vorteile zu verschaffen (siehe unten).

Das Milgram-Experiment mag ein Beispiel für einen intelligent aufgebauten Versuch sein. Die Überlistung der Versuchspersonen ist hier jedoch überhaupt nicht relevant für den Erkenntnisgewinn oder die Interpretation der Resultate. Wichtig (und erschreckend zugleich) ist lediglich, dass die Versuchspersonen glaubten, einem Schüler tatsächlich Elektroschocks zu verpassen. Die List ermöglichte es, das Experiment für den vermeintlichen Schüler (d.h. den Schauspieler) schmerzfrei zu gestalten. Man wäre aber zu den gleichen Schlussfolgerungen gelangt, wenn man richtige Schocks angewandt hätte.

Nun zum wissenschaftlichen Betrug: Hierbei handelt es sich um ein vorsätzliches Vergehen, wie etwa Diebstahl fremder Forschungsergebnisse bzw. Usurpation fremder Ideen und Vortäuschung falscher Tatsachen. Jan Hendrik Schöns erfundene Daten gehören in diese Kategorie. Es darf davon ausgegangen werden, dass solche Formen von Betrug allgemein als verwerflich empfunden werden.

Die Konzepte „List“ und „Betrug“ reichen nun meiner Ansicht nach nicht ganz aus, um wissenschaftliches Fehlverhalten adäquat zu beschreiben. Interessant wird es, wenn man sich fragt, wo denn Überinterpretation von Daten, Vergessen von Kontroll-Experimenten oder von Daten, die nicht ins Konzept passen, anzusiedeln wären? Ein Vorsatz kann zwar, muss aber nicht unbedingt gegeben sein.

Ich schlage an dieser Stelle vor, kurz einen Blick ins schweizerische Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer zu werfen (Art. 175-177 und 186). Dort wird zwischen „einfacher Steuerhinterziehung“ und „Steuerbetrug“ unterschieden. Steuerbetrug ist im wesentlichen Steuerhinterziehung vermittels Urkundenfälschung, wobei Steuerbescheide nicht als Urkunde zählen. Steuerhinterziehung allein ist ein sog. Administrativvergehen und wird mit Busse geahndet. Nur der Steuerbetrug stellt eine Strafsache dar, die mit Gefängnis bestraft wird.

Könnte es bei wissenschaftlichem Fehlverhalten analog etwa hilfreich sein, eine Kategorie „Daten-Betrug“ von einer Kategorie „Einfache Daten-Hinterziehung“ abzugrenzen? Die Hinterziehung würde dann zwar immer noch eine Übertretung darstellen, verlierte aber eine aktive, mutwillige Komponente. Eine List könnte nun natürlich darin bestehen, einen eigentlichen Betrug als einfache Hinterziehung zu präsentieren. Damit hätten wir andererseits auch gleich einen Ansatzpunkt für eine allfällige Bekämpfung der Missstände. Nach Bundesrat Leuenberger stehen die List und die Ratio in Widerspruch. Ein noch schärfer Denkender kann eine List durchschauen und abwehren. Wir alle sind gefordert!!!





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