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Rubrik: Im Gespräch
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Publiziert: 12.04.2001 06:00

Richard Stallman predigte an der ETH für eine freiere Software-Welt
Software-Guru mit "heiliger" Mission

Am vergangenen Montag predigte der amerikanische Software-Guru und Freiheitskämpfer Richard M. Stallman an der ETH für freie Software und gegen deren Patentierung. Anlass war die erstmalige Prämierung des "besten Open Source-Projekts der Schweiz". Gewonnen hat der ETH-Absolvent Andreas Müller mit einem Steuerungsprogramm für einen unterbruchfreien Server-Betrieb.

Von Jakob Lindenmeyer

Der Software-Guru Richard M. Stallman war ein würdiger Gastredner für die Preisverleihung des Wettbewerbs. In seinem Vortrag über "The Free Software Movement and the GNU/Linux Operating System" erklärte er den über 400 Zuhörern im Auditorium Maximum der ETH, dass hinter "freier" Software mehr stecke als nur gute Computerprogramme. Wichtig ist ihm, dass die Philosophie dahinter nicht verloren geht. Stallman ist ein vehementer Gegner von Software-Patenten und will vor allem die Rechte und Möglichkeiten des Computernutzers schützen.

Stallman
Stallmans Tipp an die ETH: "Alle an der ETH entwickelten Programme sollten als 'freie' Software veröffentlicht werden".


'Open Source' ist nicht dasselbe wie

"Freie Software" und "Open Source" sind Zertifizierungsbegriffe, die den freien Zugang zum Programmtext eines Computerprogramms und ebenso die freie Verwendung und Verbreitung desselben regeln. Das bekannteste Beispiel ist das Betriebssystem "Linux" oder nach Stallman: "GNU/Linux". Während die "Open Source"-Idee primär Zugang zum Programmtext bieten will, um bessere Software zu entwickeln, geht Stallmans Idee von "freier" Software weiter. Mit seinem GNU-Projekt kämpft Stallman auch für die politischen und philosophischen Aspekte von "freier" Software, beispielsweise für die Idee einer freien Gesellschaft ohne Software-Patente.



Die vier Freiheiten

In seiner zweistündigen Rede lieferte der langjährige Kämpfer für eine freiere Welt einen Rückblick auf die Software-Entwicklung seit den siebziger Jahren und darauf, wie er auf die Idee der "freien" Software kam. Eigentlich wurde Stallman 1984 "durch die Umstände" dazu auserwählt, die "freie" Softwarebewegung zu gründen. Denn erstens, so Stallman, hatte er die Fähigkeiten zur Entwicklung eines "freien" Betriebssystems und zweitens entwickelte niemand sonst ein solches. "Freie" Software enthält nach Stallman vier Freiheiten: Eigentlich selbstverständlich ist die "nullte" Freiheit, das Programm laufen zu lassen. Als erste Freiheit möchte er ein Programm ändern können, um sich selbst zu helfen, indem er es beispielsweise anpasst oder verbessert. Zweitens wünscht er, Programme frei austauschen zu können, um seinen Nachbarn zu helfen. Und als dritte Freiheit möchte Stallman Versionen der Software herstellen, um die ganze Entwicklergemeinde zu unterstützen.

Teepause
Während der zweistündigen Rede gönnte sich Stallman zwischendurch eine wohlverdiente Teepause. gross

Frei ist mehr als gratis

Der Präsident der "Free Software Foundation"(1) warnte davor, unter "freier" Software einfach nur so etwas wie "Freibier" zu verstehen. Viel eher müsse man sie mit "freier Meinungsäusserung" vergleichen. "Das deutsche Wort 'frei' ist ausserdem viel zutreffender, als der englische Begriff 'free'", betonte Stallman. Denn das Englische 'free' werde leider fälschlicherweise oft mit 'gratis' verwechselt, was für 'freie' und 'Open Source'-Software aber nicht unbedingt zutreffen muss. Auch von einer weiteren Verwechslung sieht sich Stallman auf Schritt und Tritt verfolgt:

Linux ist eigentlich GNU/Linux

Schon während der Preisverleihung des Wettbewerbs (siehe Kasten) unterbrach Stallman mehrmals die Redner und korrigierte den Namen des bekannten "freien" Betriebssystems von "Linux" auf korrekt "GNU/Linux". Später erklärte er, der Name "GNU/Linux" sei deshalb so wichtig, weil sonst die Philosophie hinter der "freien" Software verloren gehe. Stallman: "Im Gegensatz zu mir ist der Linux-Entwickler Linus Torvalds nicht an politischen Fragen interessiert. Er will einfach nur hacken."

Spende
Fleissig wurde für Stallmans 'Free Software Foundation' gespendet: Insgesamt kamen rund 3'500 Dollar zusammen. gross

Stallman findet es schade, dass 20 Millionen Computernutzer GNU-Software verwenden und meinen, es sei alles Linux. Dabei sei das bekannte Betriebssystem hauptsächlich GNU-Software, mit Ausnahme des Kerns, der von Torvalds entwickelt wurde. Sogar die ihn interviewenden Journalisten liess Stallman zum vornherein über diesen wichtigen Unterschied informieren, damit er sich nicht über die unkorrekte Namensnennung ärgern müsse. Trotzdem rutschte fast jedem Redner zwischendurch ein "Linux" heraus, was wiederum eine Belehrung durch Stallman zur Folge hatte.


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StallmanTobi
Freiheitskämpfer Richard M. Stallman predigte an der ETH mit viel Humor für eine freiere Gesellschaft (Bild: T. Oetiker) gross

Tipps auch für die ETH

Im Gespräch mit ETH Life lieferte Stallman auch einige Tipps, wie die ETH die freie Software-Bewegung unterstützten könne. "Primär sollten alle an der ETH entwickelten Programme unter der GNU-Lizenz(2) als "freie" Software veröffentlicht werden", rät Stallman der Hochschule. Zusätzlich sollten die Studierenden dazu ermuntert werden, bestehende Programme zu lesen und zu verbessern. Denn gutes Programmieren lerne man ähnlich wie Deutsch oder Englisch: Am besten durch Lesen von viel Literatur oder eben von vielen fremden Programmen. ETH-Studierende sollten sich durchaus auch an "freie" Software-Projekte heranwagen, um ihre Fähigkeiten neben den Übungen auch mal an "echten" Programmen zu schärfen.

Heiliger iGNUtius als Höhepunkt

Aufgrund seiner langen Haare und seinem missionarischen Eifer wurde Stallman - ein Atheist - auch schon mit Jesus verglichen. Der Software-Guru hat nichts gegen den Vergleich, zumal er wie Jesus zu befürchten habe, eines Tages von der Software-Industrie gekreuzigt zu werden wegen seinem Kampf zur "Befreiung" von Software. Höhepunkt der Veranstaltung war eindeutig die Verwandlung des Software-Gurus in sein "Alter Ego", sein anderes Ich: Als selbsternannter Sankt iGNUtius predigte er zum Schluss in schwarzer Kutte und mit einer alten Speicherplatte als Heiligenschein (Bild). Als "Heiliger" der "Church of Emacs"(3) rief er bei diesem selbstironischen Schlussauftritt seine "Anhänger" dazu auf, alle "unfreie" Software vom eigenen Computer zu entfernen. Das Publikum dankte es ihm mit tosendem Applaus.

Bruchteil an Lizenzgebühren

Der eigentliche Anlass aber, zu dem Stallman als Gastredner eingeladen wurde, war die erstmalige Prämierung des "besten Open Source-Projekts mit Schweizer Beteiligung" (siehe Kasten). Organisiert wurde der Wettbewerb von der IT-Support-Gruppe des Departements Elektrotechnik (4) und der Swiss Open System User Group "/ch/open"(5). Fritz Zaucker, Leiter der IT-Support-Gruppe, erklärte das Engagement der Hochschule für den Wettbewerb damit, dass die prämierten Entwickler unheimlich viel Zeit, meist Freizeit, in ihre Projekte investieren, und die ETH diese kostenlosen Softwarepakete an vielen Stellen einsetze. "Die Wettbewerbskosten sowie der einigen Projekten angebotene Speicherplatz und die Netzwerkbandbreite kosten die ETH nur einen Bruchteil dessen, was für kommerzielle Produkte an Lizenzgebühren bezahlt werden müsste." Ausserdem sollte über den Wettbewerb das Geld aus dem Verkauf einer "Open Source"-CD-Rom wieder in die "freie" Entwicklergemeinde zurückfliessen.

Hohe Schweizer Ansprüche

Am Wettbewerb beteiligten sich allerdings nur fünf Kandidaten mit insgesamt acht Software-Projekten. Die tiefen Teilnehmerzahlen müssen aber nicht unbedingt kennzeichnend sein für die geringe Anzahl an "freien" Softwareentwicklern in der Schweiz. "Vielleicht lag es auch an den hohen Schweizer Ansprüchen, die verhindern, dass auch kleinere Softwarelösungen veröffentlicht werden", vermutet Organisator und Jury-Mitglied Tobias Oetiker von der IT-Support-Gruppe des Departements Elektrotechnik. Mindestens habe der Wettbewerb die "freie" Software-Entwicklung an der ETH zum Thema gemacht. Dasselbe Ziel haben diesen Sommer die an der ETH durchgeführten /ch/open-Workshop-Tage. "Ob wir allerdings bereits nächstes Jahr wieder einen Schweiz-weiten Wettbewerb durchführen, hängt hauptsächlich von der Anzahl potenzieller Kandidaten ab, die sich bei uns melden", meint Oetiker abschliessend.

Gewinner
Andreas Müller, Andrew Mustun und Kay Römer entwickelten die 'besten Open Source-Projekte mit Schweizer Beteiligung'

Code-Qualität war entscheidend


ETH-Absolvent entwickelte 'bestes Open Source-Projekt mit Schweizer Beteiligung'

Der 39-jährige ETH-Absolvent Andreas Müller entwickelte das siegreiche Programm "Failover"(6), um für einen Kunden den Webserver gegen Ausfälle abzusichern. Bei einem Absturz oder bei Wartungsarbeiten übernimmt dank "Failover" automatisch ein Backup-System alle Aufgaben. "Für den Benutzer entsteht dadurch der Eindruck eines unterbruchfreien Server-Betriebs", erklärt Müller. Dass er "Failover" trotz kommerziellem Potenzial als "freie" Software veröffentlicht, ist für ihn selbstverständlich. "Ich profitiere immer wieder von freier Software, darum leiste ich mit "Failover" auch einen Beitrag an die Entwicklergemeinde." Müller hat an der ETH Mathematik studiert und danach im selben Departement bei Professor Guido Mislin den Doktortitel erworben.

Entscheidend für den Sieg von Müllers "Failover" war primär die Qualität des Programmtextes sowie die Originalität der Software. Beim Kriterium "Gesamteindruck des Softwarepakets, Design und Dokumentation" schnitten die zweit- und drittplatzierten Programme "MICO" und "QCad" ähnlich gut ab. Der 28-jährige Informatik-Doktorand Kay Römer vom Institut für Informationssysteme der ETH entwickelte die Programmbibliothek "MICO"(7) (Mico Is COrba). "MICO" unterstützt die Entwicklung von Anwendungen für verteilte Systeme und basiert auf dem CORBA-Standard. Römers Software wird in zahlreichen Projekten in Industrie, Forschung und Ausbildung eingesetzt.

Bei der drittplatzierten Software "QCad"(8) handelt es sich um ein Computer Aided Design- (CAD) Programm des 24-jährigen Software-Entwicklers Andrew Mustun. Dieser begann bereits mit 14 Jahren zu programmieren und entwickelte seine Vorliebe für Informatik vor allem während der Lehre als Maschinenmechaniker an der ETH. Sein Programm "QCad" wurde in 18 Sprachen übersetzt und wird weltweit von schätzungsweise 30'000 bis 50'000 Benutzern eingesetzt.




Literaturhinweise:
ETH Life-Bericht "Wettbewerb für freie Software": www.ethlife.ethz.ch/tages/show/OSSWettbewerb.html
Ausführlicherer NZZ-Bericht über Stallmans Rede "Was es mit der Freiheit auf sich hat - Richard Stallman in Zürich": www.nzz.ch/2001/04/12/em/page-article7BRPO.html
Weitere Informationen zum "Open Source"-Wettbewerb: opensource.ee.ethz.ch

Fussnoten:
(1) Die von Stallman präsidierte Free Software Foundation: www.fsf.org/fsf/fsf.html
(2) Die GNU General Public License: www.fsf.org/copyleft/gpl.html
(3) Richard Stallman als Sankt IGNUcius, Heiliger der 'Church of Emacs': www.stallman.org/saint.html
(4) IT-Support-Gruppe des Departements Elektrotechnik: www.isg.ee.ethz.ch
(5) Swiss Open System User Group /ch/open: www.ch-open.ch
(6) Das siegreiche Programm "Failover": http://opensource.ee.ethz.ch/compet-sites/D/
(7) Das zweitplatzierte Programm "MICO": http://opensource.ee.ethz.ch/compet-sites/G/
(8) Die drittplatzierte Software "QCad": http://opensource.ee.ethz.ch/compet-sites/A/



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