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Rubrik: Interview der Woche
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Publiziert: 25.05.2001 01:00

Herta Müller erzählt (Teil 2)
"Eine ganz grausige Geschichte"

Die Schrifstellerin Herta Müller wuchs in einem deutschsprachigen Dorf in Rumänien auf und war bereits als Kind mit dem Überwachungsstaat konfrontriert. Später wurden Sie und Ihr Schriftsteller-Freundeskreis "Aktionsgruppe Banat" vom Geheimdienst schikaniert und bedroht. Herta Müller berichtet über ihre düsteren Erfahrungen.

Mit Herta Müller sprach Dora Fitzli

Haben Sie das Regime schon als Kind zu spüren bekommen oder erst als Sie in die Stadt kamen?

Das war schon auf dem Land. Das waren die 50er Jahre, die Jahre des Stalinismus und da war natürlich sehr viel Angst, auch in jedem winzigen Dorf. Es gab in jedem Dorf einen Parteiaktivisten, einen Polizisten, einen Gewerkschafter, einen Bürgermeister... das ganze politische Personal, das erstens die Ideologie durchgedrückt und zweitens dann auch überwacht hat.

War das immer präsent?

Das war immer präsent. Man spürt auch als Kind, dass Erwachsene Ängste haben, dass Leute verschwinden, dass jemand wieder im Gefängnis ist. Man kannte ja alle. Und in der Schule: Einerseits diese ständigen Lobgesänge auf die Partei, auf das Vaterland und diese Rituale der Staatsfeiertage und andererseits, jeden Tag, wenn man in die Schule ging oder auch schon in den Kinderkarten, die Ermahnung der Eltern, nichts von dem zu erzählen, was in der Familie gesprochen wird. Auch als Kind merkt man, dass man nie zeigen darf, wer man ist und was man gerade denkt. Das war eine Grunderfahrung.

Wann hatten Sie die ersten direkten Begegnungen mit dem Geheimdienst?

Erst, als ich in der Fabrik (als Übersetzerin) arbeitete. - Aber ich hatte Freunde (siehe Kasten), die alle seit vielen Jahren schrieben und schon die ganze Zeit über Schikanen vom Geheimdienst auszuhalten hatten. Das ging von Exmatrikulierung von der Hochschule, Untersuchungshaft, Hausdurchsuchungen bis zu Gefängnis. Das war in diesem Freundeskreis alles schon gelaufen. Insofern weiss ich nicht, ob ich für den Geheimdienst am Anfang nicht interessant genug war. Vielleicht hielten sie mich für eine belanglose Gestalt in diesem literarischen Kreis, da ich ja selber noch nicht geschrieben hatte oder sie sahen keinen "Zweck", mich zu kontaktieren oder zu schikanieren. Aber warum sie dann, als ich in der Fabrik war, bei der ersten direkten Kontaktaufnahme so weit gegangen sind, mich zu erpressen, ich solle als Spitzel für sie arbeiten, das kann ich heute noch nicht verstehen.

Als Spitzel in diesem literarischen Zirkel?

Für die Fabrik zuerst, doch der Typ, der in der Fabrik war, war nicht für Industrie zuständig, so wie er es vorgegeben hat, sondern er war zuständig für Literatur. Er hat Schriftsteller verprügelt und Hausdurchsuchungen gemacht. Das war also eine Masche.

Es ist im Grunde genommen eine ganz grausige Geschichte, weil ich ja damals mit Richard Wagner zusammen lebte wie auch mit der ganzen Gruppe. Es wäre monströs gewesen, wenn ich meinen eigenen Mann und meine allerengsten Freunde denunziert und ausgespitzelt hätte. Sie hatten es auf die Intimität angelegt. Ich habe das damals absolut nicht verstanden. Heute weiss ich natürlich, dass das in der DDR gängige Methoden waren. Aber ich weiss nicht, warum der Geheimdienst zu der Auffassung gekommen ist, es zu versuchen. Ich kann mir das nicht erklären.

Von dem Zeitpunkt an lebten Sie noch weitere 10 Jahre in Rumänien?

Ja, ungefähr. Von dem Tag an hatte ich keine Ruhe mehr. Ich wurde aus der Fabrik hinausgeschmissen, aber nicht gleich, sondern nach wochenlangen Schikanen. Täglich um halb acht Uhr musste ich zum Direktor, der mit mir nur in Anwesenheit des Parteisekretärs geredet hatte. Über ein paar Wochen hinweg haben sie mir immer gesagt, ich solle mir eine neue Stelle suchen. Ich habe gesagt, ich möchte nicht, ich bleibe hier. Wenn ihr mich loshaben wollt, dann müsst ihr mich schon entlassen und mir auch schreiben warum. Das war natürlich undenkbar.

Dann haben sie versucht, mich als unqualifizierte Arbeiterin in eine Sektion der Fabrik abzuschieben, die Maschendrahtzaun herstellt. Diese Maschendrahtrollen waren so gross wie dieser Raum. Ich war dieser Arbeit körperlich überhaupt nicht gewachsen. So etwa eine Woche habe ich dort rumgestanden. - Nun, als sie sahen, dass ich das angenommen hatte, haben sie mich wieder zurückgezogen zur Zentrale. Ich durfte wieder ins Büro und hatte wieder ein Büro. Nach zwei Wochen, als ich zur Arbeit kam, war mein Büro besetzt. Dort sass jemand anderer, ein Ingenieur. Meine Sachen waren alle auf den Korridor geschmissen. Ich wusste, ich durfte nicht nach Hause, sonst haben sie einen Vorwand und können sagen: Abwesenheit.


Herta Müller und die

Herta Müller wurde 1953 in Nitzkydorf im Banat geboren, einer ehemals vorwiegend deutschsprachigen Region im Grenzgebiet von Rumänien, Ungarn und Serbien. Sie studierte 1972-1976 Germanistik und Romanistik und begann erst nach dem Studium zu schreiben, was für rumänische Verhältnisse spät ist. Ihre Bücher wurden mehrfach aufgezeichntet. Herta Müller lebt seit 1987 in Berlin.

Seit Ihrer Gymnasialzeit gehörte Herta Müller zur Aktionsgruppe Banat, einem Freundeskreis von Schriftstellern (Richhard Wagner, Rolf Bossert, William Totok, Johann Lippet, Gerhard Ortinau), zu denen später auch noch Helmuth Frauendorfer und Roland Kirsch stiessen. Sie tauschten Literatur aus, diskutierten ihre eigenen Arbeiten, waren aber auch politisch aktiv.

Die Aktionsgruppe wurde vom rumänischen Geheimdienst verfolgt und unterdrückt. Einer aus dem Freundeskreis wurde vom rumänischen Geheimdienst umgebracht, die Umstände des Todes eines weiteren sind unklar. Die Überlebenden leben heute alle in Deutschland.




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Herta MŸller
Herta Müller ist literarischer Gast am Collegium Helveticum gross

Noch zwei, drei Wochen bin ich jeden Tag an einen anderen Schreibtisch gegangen und habe jemanden gebeten, mit mir den Schreibtisch zu teilen. Aber dann haben sie den Leuten verboten, mich in ihr Büro zu lassen. Ich durfte nirgendwo mehr rein. Ich habe ein paar Tage auf der Treppe gesessen, habe mein Wörterbuch genommen und übersetzt. Es war wie in einem absurden Theaterstück. In der Zeit haben sie auch noch verbreitet, dass ich für den Geheimdienst arbeite.

Bei wem hat der Geheimdienst das verbreitet?

Bei den Arbeitern. Das war die grösste Sauerei und es war für mich die grösste Verletzung, dass die Arbeiter dann noch dachten, ich sei ein Spitzel. Ich hatte all diese Dinge nur auszustehen gehabt, weil ich mich weigerte, ein Spitzel zu sein. Es war so absurd. Ich war mit den Nerven total am Ende. Dann haben sie mich rausgeschmissen, mit der Begründung, dass meine Stelle überflüssig sei. Vielleicht zwei Wochen später haben sie jemanden anderen eingestellt.

Wie ging es dann für Sie weiter?

Ich hatte kein Geld, ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte. Ich hatte eine Wohnung, meine Eltern haben mir eine Wohnung angezahlt in einem Wohnblock. Inzwischen war mein Vater gestorben, der das Geld verdiente. Meine Mutter hatte auch wenig Geld, doch sie hat mir mit Lebensmitteln geholfen, hat mir Obst und Gemüse gebracht, hie und da ein geschlachtetes Huhn. - Ich bin dann in die Häuser gegangen und habe zu unterrichten versucht. Aber das war natürlich auch verboten. Der Geheimdienst ist immer nach spätestens zehn Tagen aufgetaucht und hat den Leuten gesagt, wenn sie mich weiter in ihrer Wohnung empfangen, dann kriegen sie Probleme. Die Leute haben mich dann natürlich entlassen. Manche haben gesagt warum, die meisten haben es nicht gesagt.

- Na ja, so ging das dann. In der Zeit wurde ich ständig zum Verhör zitiert. Es gab ja die Pflicht zu arbeiten und es gab das Recht zu arbeiten, das war in einem Satz verbunden. Die Pflicht der Arbeit habe ich nicht erfüllt und da gab es einen Paragraphen: Parasitismus, parasitäres Element und dafür konnte es Gefängnis oder Zwangsarbeit geben. Davor hatte ich immer Angst. Sie haben es nicht gemacht, auch wenn sie mir immer damit gedroht haben. Gott sei Dank!

Sie sind nicht geflohen, sondern bekamen die Erlaubnis auszuwandern. Wie kam es zu dieser Wende?

Ich hatte ein Buch geschrieben, das ich in der Fabrik begonnen hatte: "Die Niederungen". Das lag vier Jahre beim Verlag und ist dann es in einem total verschandelten Zustand erschienen.

Dann kam ein Freund, der schon früh ausgewandert war und in der Zwischenzeit eine Stelle beim Literaturhaus in Berlin hatte. Er hat das Buch mitgenommen und bei verschiedenen Verlagen damit hausiert. Das Orginalmanuskript habe ich über diplomatische Geheimwege in den Westen schmuggeln lassen können. Das Buch ist dann in Deutschland erschienen und ich habe mehrere Literaturpreise bekommen.

Das sind die wichtigsten Preise meines Lebens. Plötzlich war ich keine anonyme Person mehr. Diese Preise haben mir das Leben geschützt. Dann durfte ich 1984 nach Frankfurt an die Buchmesse. Als diese Preise kamen, wussten sie nicht mehr, wie sie mit mir umgehen sollen. Dreimal bin ich in den Westen gefahren, immer wenn ich einen Preis hatte. Und dann war Schluss. Ich habe im Westen, überall wo ich die Gelegenheit hatte, in Zeitungen, im Rundfunk, im Fernsehen, ungeschminkt über die Diktatur gesprochen und gesagt, was in Rumänien passiert und auch, dass ich mich nicht als Aushängeschild benutzen lasse. Das war für mich die einzige Bedingung. Entweder ich reise und rede oder ich schweige und bleibe zu Hause.

Gab das keine Probleme, wenn Sie zurückkamen?

Natürlich, natürlich. Wenn ich zurück kam, war ich dann zehn Tage nur im Verhör. Danach konnte ich sowieso nichts mehr veröffentlichen und habe 1987 die Ausreise aus politischen Gründen beantragt. Im Gesuch habe ich alles aufgezählt, was in den letzten zehn Jahren geschehen war. Die ganze Gruppe meiner Freunde hat das so gemacht. Nach anderthalb Jahren hat man uns dann gegangen.


Literaturhinweise:
Den ersten Teil des Interviews mit Herta Müller in ETH Life finden Sie unter: www.ethlife.ethz.ch/tages/show/InterviewmitHertaMl.html



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