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Rubrik: Interview der Woche
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Publiziert: 16.05.2001 06:00

Herta Müller erzählt (Teil 1)
"Freundschaften bieten keinen Schutz"

Die deutsch-rumänische Schriftstellerin Herta Müller ist zur Zeit literarischer Gast am Collegium Helveticum der ETH Zürich. Ihre Erzählungen und Romane schildern die Schrecken der Diktatur mit einer Unmittelbarkeit und Intensität, die bewegt und betroffen macht. Ihre Bücher zeichnen sich durch eine aussergewöhnliche Poesie aus und wurden mehrfach prämiert. Ein Gespräch mit Herta Müller in zwei Teilen.

Mit Herta Müller sprach Dora Fitzli

Können Sie nach Ihren schrecklichen Erfahrungen in Ceaucescus Rumänien ein normales Leben führen?

Na ja, was heisst normal? Aber ich glaube, dass ich den letzten vielleicht auch erst fünf, sechs Jahren schon sehr vieles auch habe weiter wegschieben können. Das heisst nicht, dass es nicht im Kopf ist, doch ich kann anders damit umgehen. Am Anfang war das sehr schwer, wenn die Sachen noch so nackt sind und alles so verwundet da steht: Tote Freunde, Leute, die man verloren hat, Leute, die man durch das Weggehen vermisst, Leute, die einen haben fallen lassen im Laufe der Zeit, auch richtig Verrat, dann Todesangst aufgrund dieses Geheimdienstes. Das sind alles Sachen, die Zeit brauchen.

Es stellt sich sehr schnell heraus, ob man es verkraftet hat oder nicht. Ich habe auch viele Leute kennen gelernt, die nicht einmal einen Drittel von dem verkraftet haben, was ich erlebt habe. Sie sind umgefallen, weil die Nerven am Ende waren. Es gibt kein objektives Mass dessen, was man aushält und dessen, was man noch verkraftet. Das kann man nicht einmal von sich selber sagen. Auch bei guten Freunden merkt man das erst, wenn es eingetreten ist und wenn solche Anzeichen begonnen haben, dann geht es rasant. In ganz kurzer Zeit ist so eine Person dann total am Ende.

Das ist eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, wenn man zusehen muss, dass Leute, die man mag, keinen Halt mehr finden und dass die Nähe, in der man zu ihnen ist, daran auch nichts ändert. Man ist völlig ohnmächtig. Man ist immer überfordert und man bleibt immer mit einem Schuldgefühl zurück, weil man meint, man hätte vielleicht doch noch etwas machen können. - Freundschaften können nicht schützen, Liebe kann nicht schützen. Das eigentliche authentische, private Gefüge kann einer Diktatur nicht entgegen treten.

Haben Sie da eigentlich ein Vertrauen wieder gewinnen können? Sie sagen irgendwo: Wozu Freunde in Deutschland, das sei hier gar nicht so nötig. Wie ist das heute?

Diese äussere Macht, die das Persönliche zertrampelt, die gibt es ja in dem Masse in einer Demokratie nicht. Freundschaften, wie wir sie in Rumänien hatten, haben zwei extreme Seiten. Erstens sind sie so glaubhaft und wichtig, dass man ohne sie gar nicht sein könnte. Sie erhalten einen buchstäblich am Leben. Andererseits kriegen sie, vielleicht auch gerade dadurch, diese unaushaltbare Seite des bedingungslos aufeinander angewiesen Seins. Wer ist schon gerne auf jemanden anderen bedingungslos angewiesen?

Solche Beziehungen sind sehr stabil, sehr zuverlässig. Sie scheuen keinen Konflikt, verkraften aber auch jeden Konflikt. Man lernt sich so gut kennen, wie man es vom anderen gar nicht wissen dürfte. Gott sei Dank ist man auf solche Freundschaften in der "Normalität" nicht angewiesen. Aber solche Freundschaften bleiben auch. Denn mittlerweile sind die, die nicht tot sind, in Deutschland. Wenn ich die sehe, ich kann die fünf Jahre nicht sehen, dann habe ich den Eindruck, ich habe mich gestern abend von ihnen getrennt. Das ist unglaublich.

Haben Sie noch Freunde in Rumänien?

Ich habe noch einige rumänische Freunde, die ich aber lange Zeit nicht gesehen habe. Immer, wenn man sich dann wiedersieht, gibt es eine Distanz. Der unausgesprochene Vorwurf, dass man weggegangen ist, der steht immer irgendwo in der Luft. Die Bereitschaft anzuerkennen, dass man es nicht mehr anders konnte, dass man kaputt war, dass es sowieso ein individuelles Recht ist, zu gehen oder zu bleiben, zu diesem Zugeständnis sind die Leute nicht bereit. Viele haben auch mit sich selber das Problem, dass sie ein paar Kompromisse zu viel gemacht haben, auch wenn sie das natürlich nicht zugeben und man ihnen dieses Eingeständnis auch gar nicht abverlangt. Das irritiert sie selber. Hinzu kommt, dass in Rumänien nach dem Sturz von Ceaucescu die Situation ja nicht vielversprechend wurde, in keinster Weise, weder politisch, noch wirtschaftlich. Die Leute sind mittlerweile auch ein zweites Mal deprimiert.

Diese Freundschaften sind sehr kompliziert. Sie enthalten viele Vorwürfe, Verzweiflung, Verbitterung. Ich selber bin da ja auch befangen. Ich bin die Besuchende und wenn ich ehrlich bin, habe ich objektiv einen besseren Stand. Ich lebe in einem westeuropäischen Land, ich kann mich freier bewegen. Rumänen können bis heute nicht in ein westeuropäisches Land, weil man sie heute nicht einreisen lässt. Der Staat gibt ihnen den Pass.


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Herta M|ller
Herta Müller gross

Vorher durften sie nicht heraus ...

Vorher durften sie nicht heraus und jetzt lässt man sie nicht hinein. Wenn jemand aus Rumänien nach Deutschland kommen will, dann braucht er ein Visum. Das muss er sich auf der Deutschen Botschaft in Bukarest besorgen und wenn die sagen: Nein, geht nicht, dann ist es nicht. Sogar wenn er das Geld dafür hat, es ihm jemand leiht, borgt oder schenkt. Das ist ja auch schon wieder entwürdigend, dass man den Freund, den man besuchen will, fragen muss: Kannst Du mir Geld für ein Visum schicken? In Rumänien verdienen die Leute fünfzig, sechzig Dollar im Monat. Das reicht nicht hinten und nicht vorne.

Wie leben Sie eigentlich heute in Deutschland? Sie schreiben ja in erster Linie über die Vergangenheit.

Gut, ich halte das für völlig selbstverständlich, dass ich an diesem Thema Diktatur dranbleibe. Das hängt mir wie ein Gewicht am Hals. Wo soll ich das hin stecken? Anderseits schreibe ich ja auch nicht über Rumänien, sondern über das Phänomen Diktatur und was mit dem Einzelnen in so einer Gesellschaft passiert.

Ich lebe in Berlin. Mein Alltag ist ähnlich wie der Alltag anderer auch. Ich interessiere mich für alles, was in der Öffentlichkeit in Deutschland, in Westeuropa, oder in der Welt, auch in China, Kuba, Nordkorea oder in Japan passiert. Das ist für mich selbstverständlich.

Ich habe ja in Deutschland auch öfters in den Zeitungen über tagespolitisches Geschehen geschrieben, in Form von Beiträgen oder Essays. Das Schreiben von Literatur ist eine andere Angelegenheit. Es ist eine Sache des Mit-Sich-Allein-Seins. Ich kann auch nicht Themen wegschieben, die mich bedrängen und mir andere suchen, die Leute vorschlagen. Das geschieht aber in letzter Zeit in Deutschland sehr oft.

Wie denn?

Es gibt diese Art von Literaturkritik, die mir ständig vorschlägt, ich solle mit diesem Blick, mit dieser Sprache usw. über Deutschland schreiben. Ich kann dazu nur sagen: Zur Zeit kann ich damit nicht dienen! Ich kann nur das tun, was mich innerlich nicht in Ruhe lässt. Und ausserdem: Wer soll sonst über diese Dinge schreiben? Das können nur die, die das auch erlebt haben. Es hat sich ja im Laufe der Jahrzehnte gezeigt: Menschliche Erfahrung ist nicht zu Ende mit der Zeit, wo sie aufhört, sondern sie sitzt noch sehr lange in den Menschen drin.

Wenn jemand an einer Tankstelle überfallen und zusammengeschlagen wird und dann zwanzig Jahre nicht davon loskommt, dann wundert man sich nicht. Wenn aber jemand zwanzig Jahre jeden Tag Angst hatte, dass er am nächsten Tag nicht mehr lebt, dann wundert man sich. Also ich weiss nicht ... Dieses ständige Pochen, schreib mal über unser Land, das irritiert mich wirklich, weil ich das wie eine Art Tribut empfinde, das man von mir verlangt. Wir haben Dich aufgenommen, wir haben Dir eine Existenz ermöglicht. Unser Land hat dies und das ... und jetzt tu mal was und zeige mal ein nachweisbares Interesse, das verdienen wir jetzt. Das ist für mich eine zweischneidige Sache.


Zur Person

Herta Müller wurde 1953 im banat-schwäbischen Nitzkydorf, einem kleinen Dorf in Rumänien geboren und sprach bis zur ihrem 15. Lebensjahr fast ausschliesslich das dort konservierte Deutsch der untergegangenen österreichischen k.u.k.-Monarchie. Sie studierte 1972-1976 Germanistik und Romanistik in Temeswar und arbeitete nachher als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik.

In dieser Zeit wurde sie vom rumänischen Geheimdienst Securitate kontaktiert, der sie als Spitzel innerhalb ihres Freundeskreises gewinnen wollte. Sie weigerte sich und hatte fortan die Schikanen des Geheimdienstes auszuhalten. Sie verlor ihre Arbeit und musste sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Nebenbei schrieb sie Romane und Erzählungen. Ihr erstes Buch "Niederungen" erschien erst nach jahrelanger Verzögerung in einer stark zensurierten Version. Dank eines Freundes gelang es ihr schliesslich 1984, das Orginalmanuskript in Deutschland zu veröffentlichen. "Niederungen" wurde mehrfach ausgezeichnet und rettete sie aus der Anonymität. 1987 verliess sie aus politischen Gründen Rumänien und lebt seitdem als freie Schriftstellerin in Berlin.




Literaturhinweise:
Mehr über Herta Müller und über Veranstaltungen mit Herta Müller : www.collegium.ethz.ch/deutsche_Seiten/gaeste/mueller_dt.htm



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