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Rubrik: Interview der Woche
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Publiziert: 09.02.2001 06:00

Atsumu Ohmura: Experte für Klimawandel
"Es gibt kein Kochbuch für die Zukunft"

Vor wenigen Tagen ist die für Politiker bestimmte Kurzfassung des dritten Berichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlicht worden. Das von den Vereinten Nationen etablierte Expertengremium liefert die wissenschaftlichen Grundlagen für die internationale Klimapolitik. Professor Atsumu Ohmura, Leiter des Instituts für Klimaforschung der ETH Zürich, hat als Autor und Gutachter an diesem Bericht mitgearbeitet.

Interview: Lukas Denzler

In der Zusammenfassung des dritten Berichtes des IPCC wird ein Temperaturanstieg von 1,4 bis 5,8 Grad für die nächsten 100 Jahre prognostiziert. Halten Sie diese Prognose für realistisch?

Ich denke ja. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die grosse Bandbreite einerseits mit Unsicherheit, andererseits aber auch mit der geographischen Variation zu erklären ist. Es wird ein Anstieg von etwa einem Grad in Küstengebieten und den niedrigen Breiten und ein Anstieg von 5 Grad und mehr in den höheren Breiten sowie in höheren Lagen prognostiziert.

Die Prognosen für den Temperaturanstieg wurden etwas nach oben korrigiert.

Es gibt keinen grossen Unterschied zum letzten Bericht des IPCC vor fünf Jahren. Der Mittelwert des Temperaturanstiegs wurde eher etwas nach unten korrigiert.

Und wie sehen Sie den prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels von 9 bis 88 Zentimetern?

Dieser Bereich ist natürlich sehr gross. Ich tendiere eher zu einem Anstieg von 10 bis maximal 50 Zentimetern. Die Antarktis ist zu kalt, der Eisschild wird deshalb noch nicht schmelzen. Im Gegenteil: durch etwas höhere Temperaturen und Luftfeuchtigkeit kommt es über der Antarktis zu mehr Niederschlag. Zu einer Eisschmelze wird es aber in Grönland und den Gebirgsgletschern kommen. Der Beitrag Grönlands entspricht etwa dem, was in der Antarktis zusätzlich akkumuliert werden dürfte. Der Anstieg des Meeresspiegels hängt deshalb vom Rückgang der Gebirgsgletscher und von der thermischen Ausdehnung des Ozeanwassers ab.

Würden alle Gletscher schmelzen, stiege der Meeresspiegel etwa um 30 Zentimeter an. Das wird aber sicher nicht der Fall sein. Die thermische Ausdehnung der Wassermassen macht etwa 4 bis 5 Zentimeter aus. Einen Anstieg des Meeresspiegels von mehr als 50 Zentimetern halte ich deshalb für wenig wahrscheinlich. Es gibt aber Forschende, die das anders sehen.

Im Bericht sind viele vorsichtige Formulierungen enthalten. Weshalb?

Bei den Prognosen gibt es ziemlich grosse Unterschiede. Es war manchmal schwierig, sich zu einigen. Für jedes Kapitel des Berichtes wurde ein Leitender Autor bestimmt. Dieser hatte die Aufgabe, die Ergebnisse verschiedener Beiträge zusammenzustellen. An einem Kapitel sind deshalb jeweils etwa 15 bis 20 Personen beteiligt.

Welche wichtigen Erkenntnisse haben die Klimaforscher seit dem letzten Bericht vor fünf Jahren gewonnen?

Wir wissen heute sehr viel genauer Bescheid über die Wirkungen der einzelnen Treibhausgase. Diese verhalten sich in Bezug auf künftige Konzentrationsänderungen und Strahlungseinflüsse unterschiedlich. Zweitens ist es gelungen, den indirekten Effekt der Aerosole in die Berechnungen zu integrieren. Unter dem indirekten Effekt versteht man, wenn Aerosolteilchen als Kondensationskerne die Wolkenbildung beeinflussen. Durch die Zunahme der Aerosolteilchen erwarten wir eine Abkühlung des Klimasystems. Dieser Effekt kann ziemlich gross sein, aber nicht so gross, wie der durch die Treibhausgase verursachte Effekt.

Bei Klimaänderungen stellt sich die Frage, was durch den Menschen verursacht wird und was natürlich ist. Im Bericht steht, es gebe neue und stärkere Hinweise, dass der grösste Teil der Erwärmung der letzten 50 Jahren menschlichen Aktivitäten zuzuschreiben ist.


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Klimaforscher Atsumu Ohmura
"Die Politiker sind oft kurzsichtig" - Klimaforscher Atsumu Ohmura. gross

Ich glaube, das ist so. Auch in dieser Beziehung hat die Klimaforschung in den letzten fünf Jahren grosse Fortschritte gemacht. Wir wissen heute ziemlich genau, in welchem Bereich natürliche Klimaschwankungen stattgefunden haben. Die Temperaturzunahme der letzten 20 Jahre liegt deutlich über dem Bereich der natürlichen Variabilität des Klimas. Der Treibhauseffekt äussert sich einerseits in der Erwärmung der Erdoberfläche und der Troposphäre, andererseits in der Abkühlung der darüber liegenden Stratosphäre. In letzter Zeit wurde die Erderwärmung auch mit einer stärkeren Sonnenaktivität erklärt. Durch eine kräftigere Sonne würde sich die Stratosphäre aber nicht abkühlen. Die Sonne trägt also nicht zur gegenwärtigen Erwärmung bei.

Im November ist die Klimakonfernez in den Haag ohne konkrete Ergebnisse zu Ende gegangen. Welche Rolle spielt das IPCC in der internationalen Klimapolitik?

Eine sehr wichtige. Es ist die Grundlage der Bemühungen der UNO, eine plötzliche Klimaänderung zu vermeiden. Der Beitrag des IPCC ist aber eine strikt akademische Angelegenheit. Was die Politiker dann entscheiden, ist eine andere Sache. In Den Haag ist es aus zwei Gründen schief gelaufen: Erstens wollten die beiden grössten Verursacher von Treibhausgasen, die USA und China, nicht kooperieren. Und zweitens hat der Vorsitzende der Konferenz Fehler gemacht.

Haben Sie Kontakte zu Schweizer Politikerinnen und Politikern?

Ich war lange Zeit Präsident der Schweizerischen Kommission für Atmosphären- und Klimaforschung. Es gibt mehr als genug Möglichkeiten für Kontakte, aber sie werden nicht genutzt. Das ist nicht unser Fehler. Meine Türe ist immer offen. Aber die Politiker haben zu wenig Interesse für langfristige Angelegenheiten. Die Politiker sind oft kurzsichtig und denken nur an die nächste Wahl. Geschäftsleute zeigen oft mehr Interesse an den Auswirkungen einer Klimaänderung.

Die Politiker wollen von Ihnen genaue Prognosen hören.

Das ist eine falsche Denkweise. Alle Erkenntnisse sind immer mit Unsicherheit behaftet. Bei Wirtschaftsprognosen wissen das alle. Von uns Klimaforschern werden nun plötzlich hundertprozentig sichere Prognosen verlangt. Wir wissen immerhin, in welche Richtung sich das Klima entwickelt: Es wird wärmer. Um wieviel Grad, darüber können wir diskutieren. Auch wenn wir noch zu wenig Kenntnisse haben, müssen wir intelligente Entscheidungen treffen. Es gibt kein Kochbuch für die Bewältigung der Zukunft. Wir müssen das Kochbuch selber schreiben.


Zur Person

Atsumu Ohmura, Jahrgang 1942, ist Vorsteher des Instituts für Klimaforschung der ETH Zürich. Ohmura studierte in Tokyo, Montreal und an der ETH Zürich Klimatologie. Seit 1983 ist er ordentlicher Professor für Physische Geographie an der ETH Zürich.

Er ist Mitglied verschiedener internationaler Kommissionen. Beim dritten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wirkte er als Autor und Gutacher mit. 1997 war er Mitglied der Schweizerischen Delegation in Kyoto. Im so genannten Kyoto-Protokoll sind die Reduktionsziele für den Austoss der Treibhausgase festgelegt.




Literaturhinweise:
Das aktuelle ETH-Bulletin ist dem Thema Klimawandel gewidmet. Anhand von Forschungsarbeiten aus der ETH wird gezeigt, wie Klimaexperten zu ihren Befunden kommen, welchen Einfluss El Niqo auf das Erdklima hat und welcher Zusammenhang zwischen Extremereignissen wie den Überschwemmungen und dem Klimawandel bestehen. Vgl www.cc.ethz.ch/bulletin/
Die Zusammenfassung des IPCC-Berichtes: www.ipcc.ch
Informationen zur Schweizerischen Klimaforschung: http://www.proclim.ch



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