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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Interview der Woche
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Publiziert: 06.04.2001 06:00

Virtuell + real = vireal

Gerd Folkers, Professor für Pharmazeutische Chemie, verspricht sich viel von webbasierten Lern- und Lehrmethoden. Ein Tour d'horizon zu Semesterbeginn mit dem Leiter des neuen Pharmaziezentrums durch die Welt der virtuellen Hochschullehre.

Von Roman Klingler

Herr Folkers, Sie gehören sozusagen zu den Gallionsfiguren des virtuellen Lernens an der ETH. Wie sind Sie auf den Geschmack gekommen?

Mir war das nicht bewusst, dass ich eine Gallionsfigur sein soll. Die Gallionsfiguren am Bug von Schiffen sind normalerweise nette, junge Damen. Auf den Geschmack gekommen bin ich dadurch, dass ich gezwungen bin bei meinem Fach, das sich mit der Wechselwirkung von Arzneistoffmolekülen mit ihren natürlichen Rezeptoren befasst, den Studenten sehr komplexe Sachverhalte darzustellen. Die "molecular science" als eigene Welt lässt sich ja nur noch in grafischen Metaphern darstellen, in Form von Feldern und Effekten. Selbst die Moleküle, die wir zeichnen sind ja Modelle dessen, was wir glauben, was in der Realität existiert.

Aber es gibt doch das gute, alte Modell, das man in die Hand nehmen und drehen kann. Ist da der Lerneffekt nicht grösser?

Nein, das ist kein Weg mehr. Das Modell eines Proteins besteht aus ungefähr 15'000 Einzelteilen. Die können Sie nicht mehr in die Hand nehmen. Und wenn Sie im Modell noch was erkennen wollen, dann ist das Modell ungefähr so gross wie Sie selber. Zudem, und das ist für mich das Wichtigste, enthält ein aus Plastik gebautes Modell nicht die Eigenschaften, die dieses Modell auf seinen Wechselwirkungspartner entfaltet, beispielsweise elektrostatische Anziehung und Abstossung. In einem Computer ist all dies möglich. Sie können dieses Computermodell mit einer Haut überziehen, sie können es als Skelett zeigen, Sie können es im Raum rotieren lassen und von allen Seiten betrachten....

Zudem ist nicht jeder ein Lerntyp, der von Montag bis Freitag topfit ist. Das ist eine Frage des Zirkadianrythmus, das ist eine Frage der individuellen Ueberarbeitung. Viele Leute lernen nach optischem Aufnehmen und nicht nach intellektuellen Begreifen. Ich glaube, dieses Medium des webbasierten Lernens wird schliesslich den individuellen Bedürfnissen der Menschen viel mehr gerecht.

Seit drei Jahren führen Sie mit einem Kollegen aus der Uni Basel eine gemeinsame Vorlesungen. Jeden Montag sind Pharmazie-Studierende aus Basel und Zürich über einen Bildschirm virtuell in einem grossen Hörsaal vereint. Was ist der Gewinn einer solchen Veranstaltung?

Mein Kollege Beat Ernst und ich sind der Meinung, dass sich die Inhalte zwischen Basel und Zürich nicht wesentlich ändern. Wir legen innerhalb des Zentrums für Pharmazeutische Wissenschaften Wert darauf, dass die Lehrstühle komplementär zueinander besetzt sind. Das heisst, Beat Ernst lehrt zwar die gleichen Inhalte wie ich, ist von seiner Forschung und Ausbildung her aber sehr synthetisch orientiert, während ich sehr theoretisch und molekular-biologisch orientiert bin. Das heisst, wir ergänzen uns perfekt. Durch die Betreuung zu zweit gewinnt die Qualität der Lehrveranstaltung.

Multimedia-Hvrsaal
Telepoly: Jeden Montag spricht Pharmazie-Professor Gerd Folkers zu seinen eigenen und - via Grossleinwand - zu den an der Uni Basel zugeschalteten Studierenden. gross


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Gerd Folkers
Professor Folkers im Gespräch mit Thomas Rechsteiner von NET, der für die technische Seite des Fernunterrichtes zuständig ist. gross

Warum macht man Telepoly ausgerechnet für ein "Nischenstudium" Pharmazie und nicht für Basisfächer wie Informatik, Mathematik oder Physik?

Die Pharmazeutischen Wissenschaften sind ein typisches Fach, was sich interdisziplinär, zwischen den berühmten Basiswissenschaften bewegt. Und genau da passieren immer die interessantesten Dinge. Dass die Pharmazeutischen Wissenschaften ein Nischendasein fristen, hat historische Gründe. Weil man sich in der Vergangenheit sehr stark, allzu stark auf die Ausbildung praktisch tätiger Apotheker fokussiert hat.

Wenn sie den "Impact" der Pharmazie in der gesamten Forschung ansehen, dann erkennen Sie, dass inzwischen sämtliche Basiswissenschaften einen Grossteil ihrer Forschungsprojekte in Richtung Pharmazeutische Wissenschaften ausgerichtet haben. Die gesamte Protein-Kristall-Strukur-Analyse, die Struktur-, die Zellbiologie und so weiter interessieren sich für biomedizinische Fragestellungen. Also ist es nur dann eine Nische, wenn Sie den Begriff am Institut Pharmazeutische Wissenschaften festmachen wollen.

Stichwort ETH-World: Was erhoffen Sie sich davon?

Die Grundidee halte ich für absolut essentiell und fantastisch. Wenn wir physikalisch reale Bauten machen in der heutigen Zeit, dann müssen wir zeigen können, dass wir alle anderern Möglichkeiten adäquat genutzt haben. Und ein wesentlicher Teil der Arbeit von Wissenschaftern ist Kommunikation. Also muss man erst einmal dafür sorgen, dass zwischen allen Aufenthaltsorten eine gute Kommunikation stattfindet. Und ETH World macht nichts anderes, als eine optimale Kommunikationsebene zu schaffen. Und diese liegt im virtuellen Raum.

Bestimmte virtuelle Bildungsinstitutionen haben in der Zwischenzeit ganz real aufgehört zu existieren, beispielsweise die California Virtual University. Ist der virtuelle Campus wirklich die Zukunft?

Ich glaube, dass dieser virtuelle Campus tatsächlich eine Zukunft hat. Ich halte die Firmen, die auf deutsch gesagt pleite gegangen sind, für eine sinnvolle Gesundschrumpfung.

Wir wird Ihre Vorlesung in fünf Jahren aussehen?

Ich möchte meine Lehrveranstaltung zurückführen in ein interaktives Lehrer-Schüler-Gespräch. Ich möchte mit einer kleinen Gruppe in einem - realen - Raum sitzen und eine bestimmte Problematik diskutieren können. Dieser Raum wird mit ETH-World-Tools ausgefüllt sein. Ich könnte auf Knopfdruck an der Wand einen Kollegen oder eine Molekül-Dynamik-Simulation zuschalten.

Realer und virtueller werden über eine kaum spürbare Grenze miteinander verknüpft. Das ist dann der vireale Raum. Ich glaube, dass wir zu einem Unterricht zurückkehren werden, wie er früher mit Kreide und Tafel möglich gewesen ist. Nur, dass Kreide und Tafel intelligenter geworden sind.


Leonardo da Vinci und die Schlacht von Anghiari

"Das alles haben wir nicht erfunden", sagt Gerd Folkers über die Erkenntnis, dass Bilder aussagekräftiger sein können als Worte. Leonardo da Vinci habe von der Stadt Florenz den Auftrag bekommen, die Schlacht von Anghiari darzustellen. In seinem "discorso" sei er zum Schluss gekommen, dass sich die Schlacht als hochkomplexer Vorgang nur in einem Bild, in einem detailreichen Gemälde darstellen lasse, aber nie in einem Gedicht. Weil in einem Gedicht alle Ereignisse sequenziell erzählt werden müssten und man nie zu diesem unglaublichen Eindruck gelange, wie wenn man von einem Oelgemälde steht und alles parallel optisch wahrnimmt. Darin, so Folkers, sei schon die moderne Methodologie zu den neuen Medien ausgeführt.




Literaturhinweise:
News zum gemeinsamen Pharmaziezentrum zwischen Basel und der ETH
Die Lernhomepage der Pharmazeutischen Chemie



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