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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 14.11.2001 06:00

Artefakte und Begriffe V: Materialität der Kommunikation

Von David Gugerli

"Raconte-moi une histoire, dit l'enfant." Jean-François Bergier hat - in seiner Abschiedsvorlesung - den Kinderwunsch als ein Rezept für Historiker angepriesen. Einfach eine Geschichte erzählen. Warum nicht auch in einer Kolumne über Materialität der Kommunikation? Gewiss, der Begriff hat seine Tücken. Vielleicht lassen sie sich mit einer Geschichte von jenem Bild meistern, das wie kein anderes den Entscheidungsraum der Schweiz definierte. Versuchen wir es:

Es fiel ihm nicht leicht, den letzten Brief als "Directeur de la Carte Suisse" zu unterschreiben. Seine Hand zitterte, die Feder blieb hängen, und auf dem Papier bildeten sich Tintenflecken. "Pardon pour ces tâches qui se sont faites au moment de clore ma lettre. Je n'ai pas eu le courage de la recommencer." Der einstige Mut verliess ihn in diesem grossen Moment. Während mehr als dreissig Jahren hatte er mit flinker Schrift Tausende von Briefen geschrieben, Entwürfe korrigiert, Berichte seiner Mitarbeiter kontrolliert und eigene Berichte verfasst, Kritiken abgewehrt, Allianzen auf dem Korrespondenzweg gebildet sowie andere verhindert. Aber nun war sie fertig, die Topographische Karte der Schweiz, vermessen und herausgegeben auf Befehl der eidgenössischen Behörden, aufgenommen und reduziert durch eidgenössische Ingenieure unter der Aufsicht des Generals Guillaume-Henri Dufour.

"Voici la dernière lettre que j'aurai l'honneur de vous adresser en qualité de directeur de la Carte topographique de la Suisse," schrieb der bald 78-jährige General Ende Mai 1865 an den Vorsteher des Militärdepartements. "Le Bureau de Genève est fermé, Mons. le L. Colonel Siegfried en a reconnu le matériel et a signé l'inventaire."

Die kartographische Inventarisierung der Schweiz war mit einem detaillierten Inventar über jene Instrumente und Einrichtungen besiegelt worden, welche bei der Landesvermessung Verwendung gefunden hatten:


Zur Person

Das Label des "Paradiesvogels" trägt er mit Stolz: David Gugerli wurde kürzlich zum ordentlichen Professor für Technikgeschichte an der ETH ernannt - eine Premiere für die Schweiz. Er studierte Allgemeine Geschichte, Literaturgeschichte und Literaturkritik an der Universität Zürich. Nach seiner Promotion 1987 forschte und lehrte er an verschiedenen Universitäten in Europa und Amerika, unter anderem an der Stanford University. 1995 habilitierte sich David Gugerli an der Universität Zürich. Arbeiten zur Geschichte der Visualisierung im wissenschaftlichen Kontext, zum Verhältnis von Kartographie und Nationenbildung im 19. Jahrhundert, zum Diskurs über die Elektrifzierung der Schweiz oder über den Wandel in der Schweizer Kommunikationstechnologie seit 1960 stecken sein breites Forschungsinteresse ab.




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david gugerli
David Gugerli, ETH-Professor für Technikgeschichte.

Theodoliten, Messtische, Druckplatten, Rechenschieber, Equerren, Sextanten, optische Distanzmesser, Zirkel, Zeichenstifte, Pantographen, Planimeter, Lampen, Boussolen, Logarithmentafeln, Bücher, Karten, Zeitschriften und vieles mehr. Zwei ganze Eisenbahnwagen voll, die nun von Genf in die Bundeshauptstadt geschickt wurden.

"Tout ce matériel, contenu dans deux fourgons, a dû arriver à Berne, par la voie du chemin de fer." Jetzt liess sich nichts mehr ändern, die Kontrolle hatten andere übernommen. Dufour blieb einzig noch die Hoffnung, man werde in Bern sorgfältig mit seinem Werk umgehen. "(...) j'espère que Mons. Siegfried en aura fait retirer immédiatement le rouleau de la grande Carte fédérale pour le transporter au palais national. Le reste peut rester dans les fourgons jusqu'au moment où Mons. Steinmann arrivera à Berne et les en retirera en procédant à l'installation du nouveau Bureau."

Er habe seinem Nachfolger noch gezeigt, wie man die grosse Karte der Schweiz anordnen müsse. Auch habe er ihm sehr empfohlen, sorgfältig mit ihr umzugehen und auf gutes Licht zu achten. Siegfried sei sich wohl bewusst gewesen, was er da in Empfang nahm: "Il a bien senti l'importance de ce document pour lequel la Confédération s'est imposé de si grands sacrifices pécuniaires."

"Reconnaître le materiel": In einer Zeit, die zulässt, dass das Originale und Originelle, das sorgfältig Gemachte, das Zu-Schreibbare und darum Dokumentarische vom Strudel elektronischer "Kommunikation" verschluckt wird - und sich selber dennoch noch als "Zeitalter der Information" feiern will -; in einer solchen Epoche kann es nichts schaden, sich mitunter jene Kommunikationsleistungen zu vergegenwärtigen, die "unter grossen pekuniären Opfern", ganz ohne Unterfütterung durch Bits und Bytes, aber mit viel Intelligenz sowie mit konsequenten Verfahren und geschickter Organisation erbracht worden sind.




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