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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 17.01.2007 06:00

Ist Frieden machbar?

Andreas Wenger

Die Kriege im Irak, in Somalia, im Sudan und an vielen anderen Orten der Welt stehen weltweit im Brennpunkt der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Viel weniger Beachtung finden dagegen die Beispiele eines erfolgreichen Übergangs vom Krieg zum Frieden, der sich jenseits der medialen Blitzlichter entwickelt, nur langsam meist und nicht ohne Rückfälle. Was braucht es, dass Friede gemacht wird? Was können wir von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen lernen? Für eine erfolgreiche Transformation von Gewaltkonflikten in Friedensprozesse müssen mindestens zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss der politische Kontext – das politische Kräftespiel im Land, in der Region und im internationalen Umfeld – reif sein für einen Verhandlungsprozess. Ohne Druck von aussen gelingt den Konfliktparteien der Gang an den Verhandlungstisch nur selten, zu gross ist dafür in der Regel das gegenseitige Misstrauen und der bereits für den Krieg bezahlte Preis. Wie wichtig dieser Kontext für Friedensprozesse ist, lässt sich beispielsweise am Erweiterungsprozess der EU veranschaulichen. Ohne dessen strukturellen Druck hätte das Rahmenabkommen von Ohrid (2001) zur Verbesserung der Situation der albanischen Minderheit in Mazedonien kaum erzielt werden können.

Ebenso wichtig wie die politische Grosswetterlage sind die innere Dialogbereitschaft der Konfliktparteien sowie ein erfolgreich geführter Verhandlungsprozess. So können Waffenstillstandsgespräche ins Stocken geraten, wenn die Konfliktparteien Fehler in der Verhandlungsführung machen. Und ebenso, wenn sie nur mangelhaft durch Drittparteien unterstützt werden. Oft bringt auch ein unterzeichnetes Friedensabkommen keine Waffenruhe. Nämlich dann, wenn für seine Durchsetzung nicht genug zivile oder militärische Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen politischem Kontext und Verhandlungsprozess lässt sich am Beispiel des Waffenstillstands in den Nuba-Bergen (2002) und dem Umfassenden Friedensabkommen (2005) zwischen der Regierung des Sudans in Khartum und der bewaffneten Oppositionsgruppierung „Sudanese People’s Liberation Movement/Army“ (SPLM/A) gut veranschaulichen. Dieser Friedensprozess beendete den Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, der seit 1983 zu 4 Millionen Vertriebenen, zu 600'000 Flüchtlingen und zu mehr als zwei Millionen Toten geführt hat, entweder direkt durch Kampfhandlungen, oder indirekt durch Kriegsfolgen wie Hungersnöte und Krankheiten.(1)

Wieso begannen die Konfliktparteien zu verhandeln? Die Bereitschaft der sudanesischen Regierung, an Waffenstillstandsverhandlungen für das Gebiet der Nuba-Berge teilzunehmen, ist im Zusammenhang mit der Präsenz Bin Ladens im Sudan (1992-1996) und den Luftangriffen der USA auf eine pharmazeutische Fabrik in Khartum zu sehen. Die Aktion war eine Vergeltung für die Bombenanschläge der Al Kaida auf amerikanische Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998. Obwohl die USA diese Luftangriffe im Nachhinein zumindest implizit als Irrtum anerkannten – eine direkte Verbindung zwischen der Fabrik und Bin Laden konnte nie nachgewiesen werden – befürchtete die sudanesische Regierung weitere Militärschläge. Tatsächlich erhöhte Washington nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Druck auf die islamistische Regierung in Khartum. Khartum lenkte ein, was im Jahr 2002 die Aushandlung des Waffenstillstands in den Nuba-Bergen unter Führung eines schweizerisch-amerikanischen Mediationsteams ermöglichte.

Auf Druck von aussen führte auch der darauf folgende politische Verhandlungsprozess für ein Umfassendes Friedensabkommen zum Erfolg. Mit der Unterstützung der USA, Grossbritanniens und Norwegens drängten die Vertreter der Nachbarstaaten die sudanesische Regierung dazu, das Recht des Südsudans auf Selbstbestimmung im Rahmen einer föderalen Struktur anzuerkennen. Allen gemeinsam waren die Sorge vor der Verbreitung des politischen Islam und ein Interesse an der Erhaltung der Einheit des Sudans. Im Verhandlungsprozess war mit Blick auf den Waffenstillstand entscheidend, dass die Konfliktparteien den schweizerischen Botschafter seit 1994 kannten und ihm vertrauten.


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Andreas Wenger, ETH-Professor für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik und Leiter des Center for Security Studies an der ETH.

Die Verhandlungen wiederum wurden begünstigt durch eine breite internationale Abstützung, ein qualifiziertes Mediationsteam (in dem ebenfalls ein Schweizer Mediator teilnahm) und das direkte Engagement hoher Repräsentanten der Konfliktparteien. Das im Januar 2005 unterzeichnete Friedensabkommen wird von den 10'000 Soldaten der UN-Mission überwacht. In letzter Zeit wird es allerdings von den Konflikten in Darfur überschattet, das aus dem Friedensprozess ausgeklammert blieb.

Stimmen der politische Kontext und der Verhandlungsprozess überein, kann Frieden gelingen. Was heisst das für die Aussenpolitik der Schweiz? Zwar kann die Schweiz als Kleinstaat den politischen Kontext von Gewaltkonflikten kaum stark beeinflussen. Sie kann aber wie beschrieben zum Erfolg von Verhandlungsprozessen beitragen und mit zivilen und militärischen Mitteln die Umsetzung von Waffenstillstands- und Friedensabkommen fördern. Im Fall des Sudans hat die Schweiz Wesentliches zum Gelingen des Verhandlungsprozesses beigesteuert – an der Umsetzung des Waffenstillstands konnte sie sich jedoch aufgrund des schweizerischen Militärgesetzes nicht beteiligen. Dieses erlaubt nur Uno- oder OSZE-mandatierte Einsätze. Will unser Land sein Engagement im Rahmen von nachhaltigen Friedensprozessen erweitern, dann braucht es eine klarere langfristige Gesamtstrategie, die ein koordiniertes Zusammenspiel von Vermittlern, Entwicklungshelfern und Soldaten in Konfliktgebieten erlaubt. (2)


Andreas Wenger

Sein Forschungsgebiet bewegt die Welt – heute mehr denn je. Andreas Wenger beschäftigen die Sicherheit und die politischen Institutionen und Prozesse, die dazu führen sollen. Und die Konflikte, die zeigen, dass Sicherheit immer ein gefährdetes Gut ist. Als ETH-Professor für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik leitet Andreas Wenger das Center for Security Studies (CSS). Mit über 60 Mitarbeitenden ist es eines der grossen Zentren der ETH und weit über Uni und ETH hinaus vernetzt. So betreibt es im Auftrag des Bundes und in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern das International Relations and Security Network (ISN), eine elektronische Netzwerkinitiative, die den sicherheitspolitischen Forschungsdialog fördert.

Bei längeren Forschungsaufenthalten in Yale, Princeton und kürzlich wieder in Washington hat sich Wenger vertieft mit aktuellen Fragen der internationalen Sicherheitspolitik auseinandergesetzt. Schwerpunkte seiner Forschung sind die transatlantischen Beziehungen sowie die amerikanische und russische Aussen- und Sicherheitspolitik. Dazu kommt die europäische Sicherheitsarchitektur sowie die Aussen- und Sicherheitspolitik der Schweiz. In Schweizer Medien ordnet er als Experte regelmässig Ereignisse fürs grosse Publikum in die sicherheitspolitische Landschaft ein – eine Aufgabe, die er nicht nur gern übernimmt, sondern auch als selbstverständlichen Bestandteil seines Jobs ansieht: „Unser Wissen und Know-how soll nicht aufs Akademische beschränkt bleiben. Es in die politischen Prozesse einfliessen zu lassen und der Bevölkerung zu vermitteln, ist Reiz und Herausforderung zugleich.“




Fussnoten:
(1) Siehe Simon Mason, „Lehren aus den Schweizer Mediations- und Fazilitationsdiensten im Sudan,“ in Bulletin 2006 zur Schweizerischen Sicherheitspolitik, ETH Zürich: 2006, 43-97: www.css.ethz.ch/publications/publications/bulletin
(2) Siehe Stefano Bruno, Christiane Callsen, Daniel Trachsler, Victor Mauer, Andreas Wenger, Zivile Friedensförderung als Tätigkeitsfeld der Aussenpolitik: Eine vergleichende Studie anhand von fünf Ländern, ETH Zürich: November 2006: www.css.ethz.ch/publications/ZAPS_Webversion.pdf



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