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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Mein Selbstverständnis als Mathematiker |
Mathematik: mehr gehasst als geliebt? Richard Pink beleuchtet die prekäre Position seines Fachs zwischen Hilfswissenschaft und Kulturgut. Von Richard Pink "Oje, in Mathe war ich immer schlecht, das Fach habe ich gehasst in der Schule", antworten mir etwa 80 Prozent aller Leute, wenn sie hören, dass ich Mathematiker bin. Von den übrigen sagen etwa 15 Prozent "Es hat mich fasziniert, ich habe es aber nie richtig verstanden", und nur magere 5 Prozent berichten Positiveres. Meine Schätzwerte gelten übrigens für Akademiker genauso wie für Nichtakademiker; letztere haben sogar oft ein unverkrampfteres Verhältnis zu den klassischen Schuldisziplinen. Was bedeutet es für mein Selbstverständnis als Mathematiker, dass ich so viel Ablehnung ernte? Wie komme ich eigentlich damit zurecht? Dass sogar der Lebenspartner zu den 80 Prozent gehört und spätestens nach 5 Minuten abschaltet, wenn man (auf seine Nachfrage hin!) zu erklären versucht, woran man gerade arbeitet? Dass Kollegen aus anderen Fächern fragen "Wozu brauchen wir überhaupt Mathematik?", wie geschehen an einer Universität, an der ich früher tätig war? Dass die gesellschaftliche Anerkennung für meine Tätigkeit nur selten über das hinausgeht, was monatlich auf meinem Gehaltskonto eingeht? Für viele im Grunde wohlwollende Zeitgenossen ist Mathematik kaum mehr als ein notwendiges Übel, eine Hilfswissenschaft. Das kann ich ja gut verstehen, und wenn es mit ein bisschen mehr Ehrerbietung gesagt wird, bin ich schon glücklich. An der ETH kann ich mich in dieser Hinsicht sowieso nicht beklagen. Sonst hilft es, an den Grundsatz zu erinnern: Mathematik ist die Sprache, in der das technische Wissen unserer Zeit formuliert ist.
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Unsere technik-basierte Gesellschaft kann nicht darauf verzichten, diese Sprache und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu pflegen und weiter zu entwickeln. Die Fortschritte der heutigen Mathematik bilden die Basis für Technologien von übermorgen. Zum Beispiel wurden die komplexen Zahlen vor Jahrhunderten allein aufgrund innermathematischer Notwendigkeiten er-funden, sind aber heute aus so angewandten Gebieten wie der Elektrotechnik nicht mehr wegzudenken. Es gibt keine nachhaltigere Wissenschaft als die Mathematik! Für mich ist es selbstverständlich, 40 Jahre alte mathematische Publikationen zu zitieren; und Artikel, die kein solches Potential in sich tragen, würde ich nicht zur Veröffentlichung annehmen. Wir Mathematiker stellen höchste Ansprüche an uns, und wünschen uns etwas Anerkennung dafür. Wenn ich Mathematik treibe, schiele ich nicht auf die Anwendungen. Ich will ergründen, "was die Welt im Innersten zusammenhält", wie die Physiker, Astronomen, usw. Nach meiner Überzeugung gilt: Mathematik ist ein wichtiges Kulturgut. Die Neugier macht den Menschen aus, und jede Gesellschaft investiert einen Teil ihrer Ressourcen da hinein, diese Neugier zu befriedigen, jenseits aller utilitaristischer Überlegungen. Wenn man wissen kann, dass die Kreiszahl Pi transzendent ist, wäre es unerträglich, das nicht zu wissen. Die Antwort "because it's there" auf die Frage "Warum?" darf auch für die Mathematik gelten, nicht nur für Bergsteiger. Den mathematischen Beweis als höchsten Triumph der Logik sollten alle Geistesschaffenden anerkennen. Natürlich kostet auch Mathematik etwas Geld, wie das Theater, aber ich wünsche mir, dass eine breite Front von Intellektuellen sich zu einem Aufschrei zusammentut, wenn einmal der Mathematik jemand an den Kragen will. |
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