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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 23.05.2007 06:00

Was bleibt?

Anna Peter

Nachdem ich mich in meiner letzten Kolumne davor drückte, über den Amoklauf am Virginia Tech am 16. April zu schreiben, habe ich mich nun entschlossen, mich auch schriftlich mit diesem traurigen Ereignis auseinander zu setzen.

Mehr als ein Monat ist vergangen seit der Tragödie am Virginia Polytechnic Institute in Blacksburg, wo ein Student 32 Menschen getötet, einige weitere verletzt und sich zum Schluss selbst das Leben genommen hat. Dieser Vorfall ist das bisher grösste Massaker dieser Art in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Ein solches Ereignis wirft natürlich viele Fragen auf, die wir uns wieder und wieder stellen, obwohl es auf die meisten keine befriedigende Antwort gibt. Was treibt einen jungen Menschen zu so einer Tat? Wie hätte man den Tod dieser Menschen verhindern können? Wie lassen sich weitere Amokläufe verhindern? Könnte das auch bei uns passieren, an der UPenn oder an der ETH? All diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich über das Geschehene nachgedacht habe. Offenbar hatte der Täter psychische und schulische Probleme und war in seinem sozialen Umfeld nur schlecht integriert. Dies sind Hintergründe und Ansätze zum Verständnis, wie es zu einer so schrecklichen Tat kommen konnte, aber als vollständige Erklärung reichen sie natürlich nicht aus. In den Medien wurde viel berichtet, doch am Ende weiss niemand genau, wie es soweit kommen konnte.

Natürlich machte sich eine gewisse Verunsicherung breit unter den Studierenden an anderen Universitäten im ganzen Land. Was, wenn das bei uns passieren würde? Die Vizepräsidentin der UPenn betonte, dass die universitätseigene Polizei für den Fall eines Amoklaufes und anderer Extremsituationen trainiert sei, doch dies ist keine Garantie, dass ein solches Ereignis nicht auch unsere Universität treffen könnte.

Unter uns Studierenden wurde das Thema viel diskutiert. Da der Täter aus Südkorea stammte, fürchteten sich einige meiner koreanischen Freunde vor rassistischen Racheakten. Eine Sorge, die sich glücklicherweise als unbegründet herausstellte. Die meisten meiner Studienkolleginnen und -kollegen reagierten ähnlich wie ich, fassungslos, betroffen, schockiert, traurig. An der UPenn wurden während mehrerer Tage Gedenkfeiern und Mahnwachen organisiert, um den Opfern zu gedenken und den Angehörigen Anteilnahme zu signalisieren.

Doch zu meinem Erstaunen konnte ich auch andere Reaktionen beobachten. Einige Kollegen zuckten nur hilflos mit den Schultern, während andere versuchten, die Tat zu erklären. „Der Stress, der Erfolgsdruck. Du weißt ja, wie’s ist.“ Und damit war das Thema für sie erledigt. Da war ich dann doch sprachlos. Woher kommt diese Gleichgültigkeit? Was steckt hinter dieser Aussage? Ich begann zu grübeln.


Zur Autorin

Technik hat Anna Peter schon immer begeistert. Die Studentin der Materialwissenschaft, die momentan an der University of Pennsylvania ein Auslandjahr verbringt, wollte schon als Kind wissen, wie die Dinge funktionieren. In der Mittelschule entschied sie sich dann für den Schwerpunkt Physik und Mathematik. Schliesslich fand sie den richtigen Studiengang bei der Materialwissenschaft. Obwohl es Anna Peter an der ETH gefällt, entschied sich für ein Auslandjahr, um neue Erfahrungen zu sammeln und die amerikanische Hochschulkultur kennen zu lernen.

Das Interesse der Studentin geht auch sonst über ihr Fach hinaus. Sie engagiert sich in verschiedenen Studentenvereinen und -organisationen. Beispielsweise war sie in ihrem Fachverein für die Hochschulpolitik zuständig. In ihrer Freizeit treibt sie gerne Sport und liest zurzeit vor allem zeitgenössische Literatur aus Europa und den USA. Für die ETH hofft sie, dass sich der Frauenanteil dem der Männer angleicht.




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Schreibt aus den USA für ETH Life: die ETH-Studentin der Materialwissenschaft Anna Peter.

Es stimmt schon, dass das Studium an einer US-amerikanischen Hochschule sehr stressig sein kann. Da zwischen dem Frühlings- und dem Herbstsemester ganze vier Monate Ferien angesagt sind, wird während der beiden Semester extrem intensiv gearbeitet. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht mindestens eine Prüfung oder eine Präsentation ansteht oder eine Arbeit abzugeben ist. Vor meinem Austauschjahr an der UPenn hätte ich es mir kaum vorstellen können, nächtelang über einem Paper zu brüten, an einem Sonntag eine Übungsstunde zu besuchen und ganze Wochenenden in der fast immer geöffneten Bibliothek zu verbringen. Doch dies ist hier eher die Regel als die Ausnahme. Dazu kommt der harte Wettbewerb zwischen den Studierenden. In den meisten Vorlesungen werden die Arbeiten der Studierenden relativ zueinander bewertet. Dies hat zur Folge, dass ein harter Konkurrenzkampf herrscht. Dies setzt die meisten Studierenden natürlich stark unter Druck und nicht jeder kann mit so einer Situation gut umgehen. Auch kann es schwierig sein, sich als internationaler Student ans amerikanische College-Leben zu gewöhnen. Nicht immer können sich ausländische Studierende ins fremde Umfeld integrieren und mühelos mit den lokalen Sitten klar kommen. Dies kann durch das ab und zu mangelnde Interesse der einheimischen Studierenden an der fremden Kultur verstärkt werden. Bei mir was das zum Glück nie der Fall, obwohl ich manchmal das Gefühl hatte, völlig im falschen Film zu sein.

Nun, sechs Wochen nach der Tragödie und nach vielen Überlegungen zu den Hintergründen der Tat begreife ich immer noch nicht, wie es zu diesem Amoklauf am Virginia Tech kommen konnte und werde es wahrscheinlich nie richtig verstehen können. Ich frage mich, was bleibt. Haben wir etwas daraus gelernt? An verschiedenen Universitäten wird nun verstärkt versucht, Studierende und Angestellte auf das Thema „Mentale Gesundheit“ zu sensibilisieren. So sollen Warnsignale früh erkannt werden, damit potentielle Gewalttäter behandelt werden können, bevor sie jemandem Schaden zufügen. Dieser Ansatz ist bestimmt ein Schritt in die richtige Richtung, doch gibt es noch viel zu tun, um die Hintergründe dieser Tat zu verstehen und daraus eine Lehre zu ziehen, sodass zukünftige Amokläufe verhindert werden können.




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