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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen


Ein ganz normaler Tag im Leben von ......

Published: 31.01.2007 06:00
Modified: 01.02.2007 08:48
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René Schwarzenbach

06:15. Zwischen Rasieren und Kaffeetrinken werfe ich einen ersten Blick aus dem Fenster. Alles verschneit. Na also, der bekannte Zürcher SVP-Nationalrat hat wieder einmal Recht behalten. Alles dummes Geschwätz, das mit der Klimaerwärmung. Obschon meine geschätzten KollegInnen vom Institut für Atmosphäre und Klima mir etwas ganz anderes sagen. Aber das dokumentiert vielleicht nur wieder einmal die Realitätsfremde und Abgehobenheit der Wissenschaftler. Gut haben wir noch Politiker, die mit allen vier Beinen auf dem Boden stehen.

07:00. Dummerweise habe ich meinen Computer eingeschaltet. Schon wieder 32 E-Mails, darunter aber Gott sei Dank nur die Hälfte mit Attachments. Und nur sieben mit höchster Dringlichkeitsstufe. Und irgendwie kommen mir diese sieben alle schon bekannt vor. Wahrscheinlich habe ich gestern oder vorgestern wieder einmal vergessen, meine E-mails zu beantworten, und jetzt werde ich dringlichst daran erinnert. Tut mir leid. Jemand, der ein E-Mail schickt, hat Anrecht auf umgehende Beantwortung. Das ist ja mittlerweile so etwas wie ein Menschenrecht geworden. Dann sticht mir in der Eile auch noch dieses E-mail „ Online-Befragung des Mobilitätsverhaltens der ETH-Angehörigen“ ins Auge. Ich kann es kaum fassen, aber ich gehöre zu den Auserwählten und heute ist mein Stichtag. Gott segne die Leute, die Umfragen machen! Mein persönlicher Fragebogen ist jetzt freigeschaltet, das Ausfüllen sollte gemäss Befrager nicht mehr als 20 Minuten in Anspruch nehmen. Und eine Anleitung kann ich auch anklicken. Neben persönlichen Angaben ist ein Wochenrückblick über die letzen sechs Tage gefordert sowie ein Verkehrstagebuch für meinen Stichtag, also heute! Ein bisschen indiskret finde ich Letzteres schon. Mal schauen, vielleicht habe ich am Abend Zeit dafür. Jetzt muss ich mich aber sputen, sonst verpasse ich den Zug.

08:15. Etwas ausser Atem komme ich im CHN-Gebäude an. Jedesmal nach dem steilen Aufstieg vom Hauptbahnhof stellt mein Körper mein Mobilitätsverhalten kritisch in Frage. Aber mein Gewissen schafft es bisher immer noch, ihn wieder zu beruhigen. Schon beim Eintreten ins Sekretariat, welches ich mit einem Kollegen teile, merke ich, dass heute dicke Luft herrscht. Beide Sekretärinnen haben diesen zwischen Wut und Verzweiflung schwankenden Ausdruck in den Augen. Sofort ist mir klar was los ist. Der elektronische interne Jahresbericht ist fällig! Wie jedes Jahr um diese Zeit. Seit Tagen versuchen die beiden Topsekretärinnen, das System zu überlisten. Für Masochisten ein Lustvorgang, für alle anderen ein Ritt durch die Hölle. Ich mache meinen üblichen faulen Spruch und setze mich gelassen neben meine Sekretärin an den Computer. Nach einer Stunde stehe ich genervt wieder auf. Das System weigert sich standhaft, meine vielen Aktivitäten, die ich zum Wohle der Menschheit mit Ergebenheit ausübe, sinngemäss aufzunehmen. Und dann stellen meine Sekretärin und ich auch noch fest, dass ich im Jahr 2006 zwölf Tage pro Woche gearbeitet habe. Jetzt wird mir endlich klar, warum ich das Gefühl nicht loswerde, letztes Jahr um zwei Jahre gealtert zu sein.

09:30. Kaffeetrinken mit meinem Departementsstab im winterlich leicht unterkühlten Lichthof des CHN-Gebäudes. Tut mir jedes Mal gut. Mit Blick nach oben werweissen wir, wie wohl der viele Schnee, der auf dem Glasdach des Lichthofes liegt, entfernt wird. Wird mit Wärme abgeschmolzen meint jemand, was dann sofort die Frage nach dem Energiehaushalt des CHN nach sich zieht. Diese Frage sollte wohl besser nicht gestellt werden.

09:45. Eine der vielen Diskussionen über Mittelverteilungen mit meinem Departementscontroller. Dabei erfahre ich nebenbei, dass wir im Herbst Besuch von der Finanzkontrolle erhalten werden. War ja auch höchste Zeit. Vor allem wegen der Überprüfung der Handkassen bei den Professuren. Über diese habe ich als Departementsvorsteher immer noch keine Kontrolle. Und in diesem Bereich sind ja auch die schwerwiegendsten Missbräuche zu erwarten. Ansonsten gibt mir das neue Finanzreglement „full control“. Ich hätte nie gedacht, wie zuträglich dieses tägliche Unterschreiben von Dokumenten für mein Selbstwertgefühl ist. Früher hat das alles unser Controller erledigt. Das war früher. Jetzt ist endlich dafür gesorgt, dass allen klar ist, wer das Sagen bzw. das Unterschreiben hat.

12:00. Sitzung mit Salamisandwich mit dem Direktor des Kompetenzentrums für Umwelt und Nachhaltigkeit (CCES). Ich habe ihn richtig gern bekommen, diesen Armani-Anzüge tragenden Tsunamityp, der die Gabe hat, einem schon an der Haustüre eine Richterskala zu verkaufen. Was mich betrifft, macht der Mann einen hervorragenden Job. Unser Hauptproblem ist heute, die unzähligen Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit zu identifizieren und eine Strategie für eine bessere Koordination dieser Aktiviäten zu entwickeln. Manchmal frage ich mich, wohin der gegenwärtige Hyperaktivismus noch führen soll. Nicht nur im Umweltbereich schiessen sie wie Pilze unverdrossen aus dem Boden. Von oben dekretiert aber auch von unten initialisiert. Netzwerke, Allianzen, Kompetenzzentren, Forschungsprogramme, Forschungsschwerpunkte, Forschungsinitiativen, Grossprojekte, Projektverbunde, Plattformen, Kooperationsabkommen, Koordinationsstellen für disziplinäre, multidisziplinäre, interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschung. Auf regionaler, nationaler, europäischer, interkontinentaler und globaler Ebene. Wer soll das denn alles bewältigen? Aber jetzt ist keine Zeit, darüber zu philosophieren, denn meine Vorlesung beginnt in Kürze. Etwas worauf ich mich seit über 20 Jahren immer noch jedes Mal freue.

René Schwarzenbach, Vorsteher des Departements Umweltwissenschaften, ist derzeit 'ETH Life'-Kolumnist.

16:23. Nach gut drei Stunden Vorlesung und Übungen komme ich zur Besprechung der Unterrichtsbeurteilung durch die Studierenden. Seit Jahren das gleiche deprimierende Resultat. Meine Oberassistenten, mit denen ich die Lehrveranstaltung durchführe, schneiden einfach immer besser ab als ich. Aber wie soll ich denn mit Leuten konkurrenzieren können, die durchwegs Durchschnittsnoten zwischen 4.8 und 5.0 erhalten? Wobei man auch objektiv feststellen muss, dass ich den viel anspruchsvolleren Stoff zu vermitteln habe! Also sollte ich eigentlich mit meinem Resultat auch dieses Semester wieder ganz zufrieden sein. Etwas irritiert hat mich nur die eine Person, die mir bei der neuen Frage des Rektorats, ob der Dozent die Unterrichtssprache beherrscht, eine nackte 2 gegeben hat. Vielleicht hat diese Person mein Schweizerhochdeutsch ganz einfach als schlechtes English taxiert. Ich werde es wohl nie wissen.

18:04. Ich bin gerade am Verlassen des CHN-Gebäudes, als mir im Schneegestöber ein junger Mann entgegenkommt und mich freundlich mit meinem Vornamen grüsst. Irgendwie kommt mir sein Gesicht bekannt vor, aber ich weiss im Moment nicht, wo ich es einordnen soll. Erst im Hauptbahnhof kommt es mir wieder in den Sinn. Mein neuer Doktorand, den ich vor zwei Monaten angestellt habe. Ich müsste mich wohl dringend einmal mit ihm unterhalten. Aber woher nehme ich nur die Zeit?

21:35. Nach einem gemütlichen Nachtessen mit meiner Frau sitze ich wieder vor dem Computer. Eigentlich müsste ich mich endlich einmal mit meiner nächsten ETH-Life Kolumne auseinandersetzen, die ich in einer knappen Woche abliefern muss. Aber da ist ja auch noch diese Mobilitätsumfrage, und heute ist doch mein Stichtag. Ich entscheide mich für die Umfrage. Soll doch Kolumnen schreiben wer will ...


Zur Person

Scheinbar verschlossene Türen aufzustossen, das behagt ihm: Der ETH-Umweltchemiker René Schwarzenbach arbeitet in einem Forschungsbereich, der erst Ende der 1960er-Jahre entstand. René Schwarzenbach beschäftigt sich mit der Verteilung, dem Schicksal und den Effekten von organischen Schadstoffen in der Umwelt. Als promovierter Chemiker Mitte der 70er-Jahre durch Zufall zum Thema gelangt, nahm er bald prägenden Einfluss darauf. Er kam über das Ozeanforschungsinstitut Woods Hole, Massachusetts zum Wasserforschungsinstitut Eawag und wurde dort schliesslich Direktionsmitglied (was er bis 2005 blieb). 1989 erhielt Schwarzenbach eine Professur für Umweltchemie im damals gerade erst gegründeten ETH-Departement Umweltnaturwissenschaften. Und er sorgte dafür, dass das neue Gebiet auch für die Lehre fruchtbar wurde: 1993 brachte er gemeinsam mit Philip Gschwend (MIT) und ETH-Professor Dieter Imboden das Lehrbuch „Environmental Organic Chemistry“ heraus. Besonders die zweite, stark erweiterte Auflage von 2003 sei das Standardwerk zu diesem Thema, heisst es immer wieder.

Die aktuellste Herausforderung, die René Schwarzenbach angepackt hat, ist die Leitung des Schulbereichs für Erde, Umwelt und Natürliche Ressourcen (S-ENETH), eines für die ETH neuartigen Verbunds dreier Departemente: Agrar- und Lebensmittelwissenschaften, Erdwissenschaften und Umweltwissenschaften. „Diese Kooperation eröffnet den Beteiligten inhaltlich wie institutionell ganz neue Möglichkeiten“, sagt Schwarzenbach. „Vieles von dem, was wir heute machen können, wäre ohne S-ENETH undenkbar oder zumindest äusserst schwierig zu realisieren.“



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