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ETH Life - wissen was laeuft
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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen


Schlusspunkt und -strich

Published: 28.02.2007 06:00
Modified: 27.02.2007 15:52
druckbefehl

René Schwarzenbach

„Ein wenig Angst ist manchmal ganz nützlich, wenn es nicht die eigene ist.“ Es gibt lockere Sprüche, über die man lachen kann und solche, bei denen einem das Lachen irgendwo im Hals stecken bleibt. Vor allem wenn sie in einem öffentlichen Interview von einem Präsidenten einer technischen Hochschule gemacht werden. Und sie tönen auch auf Französisch nicht harmloser. Denn wohin das Geschäft mit der Angst führt, wissen wir alle, im Grossen wie im Kleinen. Aber vielleicht war dieser lockere Spruch ja gar nicht der Ausdruck einer generellen Gesinnung, sondern nur eine verbale Fehlleistung einer, wie mir scheint, manchmal leider etwas schillernden Führungsperson. Hoffen darf man ja immer!

Trotzdem. Ich frage mich immer häufiger, um was es eigentlich vielen von unseren Führungspersönlichkeiten und EntscheidungsträgerInnen schlussendlich geht. Es gibt Momente, in denen mich das ungute Gefühl beschleicht, dass da oft die Wichtigkeit des Wichtigseins über der Wichtigkeit des Seins oder des Seinlassens steht. Da werden manchmal ohne eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Materie locker Entscheidungen getroffen, deren Auswirkungen für die Betroffenen fatal sind. Politisch strategische Schnellschüsse! Es sollte doch offensichtlich sein, dass schon relativ kleine unbedachte Eingriffe in ein so komplexes „Ökosystem“ wie eine Hochschule oder einen Bereich einer Hochschule zu unabsehbaren negativen Folgen führen können. Dies gilt auch für Ressourcenumverteilungen!

Ganz nebenbei. Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie stark die Zahl der wichtigen Leute zugenommen hat? Insbesondere derer, die gerne und viel von und über sich selber reden? Und wenn sie einmal eine Selbstbeweihräucherungspause einlegen, nahtlos dazu übergehen, der Welt mitzuteilen, mit welchen anderen wichtigen Leuten sie sich gestern beim Lunch über die wichtigsten Probleme der Menschheit ausgetauscht haben. Während ich das schreibe, höre ich meine Frau lachen. Na ja, vielleicht bin ich ja ohne es zu wissen auch zu Höherem berufen und übe einfach schon einmal ... für ein nächstes Leben.

Aber Spass beiseite! Mir scheint, dass es auch im Hochschulbereich zunehmend eher darauf ankommt, was man ins Schaufenster stellt, als auf das, was im Laden effektiv zu haben ist. Erfolg scheint gegenwärtig vor allem jenen zu winken, die mit marktschreierischer Selbstanpreisung im Zeitraffertempo ihre Schaufensterdekorationen wechseln, und so den Eindruck erwecken, dass sie sich dynamisch auf die sich rasant verändernden Bedürfnisse der Menschheit einstellen. Oder um es noch etwas polemischer zu formulieren: Während der frisch geschlagene Schaum verführerisch im Rampenlicht glitzert, ist der Schaum von gestern unbemerkt bereits wieder in sich zusammengesackt. Und wer sich weigert, beim munteren Schaumschlagen mitzumachen, gerät in Gefahr, als konservativ und unflexibel taxiert und auf die Verliererstrasse gedrängt zu werden. Ich wünsche mir, dass die ETH solche Spielchen nicht nur nicht mitspielt, sondern solchen Entwicklungen energisch entgegentritt.

Dies bedingt jedoch, dass die ETH noch intensiver als bisher in einen offenen Dialog mit Gesellschaft, Wirtschaft und Politik tritt. Dass sie ihre vornehme, von vielen Leuten oft auch als etwas arrogant empfundene Zurückhaltung aufgibt, und sich aktiv in die Diskussionen über die zukünftigen Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene einschaltet. Dass sie nicht nur in geschlossener Einigkeit kommuniziert, wie gut sie ist und was sie alles nicht will, sondern dass sie konkrete Vorschläge auf den Tisch legt, wie den Herausforderungen der Zukunft besser begegnet werden kann. Eine Voraussetzung dafür ist aber, dass zuerst und zwar möglichst rasch, ein interner Dialog in Gang gesetzt wird, um die gemeinsamen Positionen festzulegen, welche die ETH in diesen Zukunftsdiskussionen vertreten soll. Diese Hausaufgaben hätten eigentlich schon längst gemacht werden müssen. Das hätte auch den Umgang mit den vergangenen Irrungen und Wirrungen in der und um die ETH stark erleichtert. Wie dem auch sei, die Schulleitung ist aufgerufen, so schnell wie möglich eine breit abgestützte Selbstreflexion in die Wege zu leiten. Dazu braucht es neue, geeignete interne Kommunikationsstrukturen. Nur mit einem „Webloghappening“ ist wohl, wie die Geschichte zeigt, wenig zu erreichen.

Und dann hätte ich da noch ein paar wenige, persönliche Wünsche an unsere zukünftige ETH- Präsidentin oder unseren zukünftigen ETH- Präsidenten. Wünsche, die ich bereits in der einen oder anderen Form in meinen früheren Kolumnen explizit oder implizit ausgedrückt habe, die ich aber gerne noch einmal wiederhole. So wünsche ich mir, liebe Präsidentin oder lieber Präsident in spe, dass Du:

René Schwarzenbach, Vorsteher des Departements Umweltwissenschaften und derzeit 'ETH Life'-Kolumnist.

auflistungszeichen das wichtigste „Produkt“, dass die ETH erzeugt, nämlich ihre Absolventinnen und Absolventen, ins Zentrum Deines Interesses stellst;
auflistungszeichen die kulturelle Vielfalt der ETH schätzt und Dich für alle Teile in gleichem Masse verantwortlich fühlst, und sie auch forderst und förderst;
auflistungszeichen unseren Politikern immer wieder klar machst, dass der Erfolg einer Hochschule primär davon abhängt, ob es gelingt, auf allen Ebenen die besten Leute zu rekrutieren. Und dass das wiederum direkt damit verknüpft ist, wie viel Freiraum und Freiheit jeder und jedem Einzelnen im Hochschulalltag gewährt wird;
auflistungszeichen die Weisheit und Lockerheit besitzt, an der ETH eine Betriebskultur zu schaffen, in welcher offen und ohne Angst auch über heikle und kontroverse Themen diskutiert und sogar gestritten werden kann. Eine Kultur, in welcher die Wichtigkeit des Wichtigseins viel weniger wichtig ist als das Wichtige, oder noch besser, das Wesentliche.

Oder alles auf einen einfachen Nenner gebracht: dass Du dafür sorgst, dass die ETH die absolute Nummer 1 wird, und zwar nicht im Shanghai-, Palermo-, Kalkutta-, Singapore- oder was weiss ich für einem Ranking, sondern ganz schlicht bei allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dann erledigt sich wohl vieles andere von selbst.

Punkt und Schluss! Mit diesen Zeilen ziehe ich einen endgültigen Schlussstrich unter mein "ETH Life"-Kolumnenschreiberdasein. Ich bedanke mich herzlich für die vielen, vorwiegend sehr positiven Rückmeldungen, die ich erhalten habe. Sie haben mich im letzten halben Jahr fast vergessen lassen, dass es auch noch ein Leben jenseits des Kolumnenschreibens gibt. Ich hoffe, dass ich jetzt ohne grössere Wehen und Entzugserscheinungen in dieses Leben zurückfinde. Falls nicht, ist das aber wohl auch keine Katastrophe. Man kommt sich im ETH-Alltag ja oft zur Genüge als freiwilliger oder unfreiwilliger Teil einer unendlichen Kolumne vor .....


Zur Person

Scheinbar verschlossene Türen aufzustossen, das behagt ihm: Der ETH-Umweltchemiker René Schwarzenbach arbeitet in einem Forschungsbereich, der erst Ende der 1960er-Jahre entstand. René Schwarzenbach beschäftigt sich mit der Verteilung, dem Schicksal und den Effekten von organischen Schadstoffen in der Umwelt. Als promovierter Chemiker Mitte der 70er-Jahre durch Zufall zum Thema gelangt, nahm er bald prägenden Einfluss darauf. Er kam über das Ozeanforschungsinstitut Woods Hole, Massachusetts zum Wasserforschungsinstitut Eawag und wurde dort schliesslich Direktionsmitglied (was er bis 2005 blieb). 1989 erhielt Schwarzenbach eine Professur für Umweltchemie im damals gerade erst gegründeten ETH-Departement Umweltnaturwissenschaften. Und er sorgte dafür, dass das neue Gebiet auch für die Lehre fruchtbar wurde: 1993 brachte er gemeinsam mit Philip Gschwend (MIT) und ETH-Professor Dieter Imboden das Lehrbuch „Environmental Organic Chemistry“ heraus. Besonders die zweite, stark erweiterte Auflage von 2003 sei das Standardwerk zu diesem Thema, heisst es immer wieder.

Die aktuellste Herausforderung, die René Schwarzenbach angepackt hat, ist die Leitung des Schulbereichs für Erde, Umwelt und Natürliche Ressourcen (S-ENETH), eines für die ETH neuartigen Verbunds dreier Departemente: Agrar- und Lebensmittelwissenschaften, Erdwissenschaften und Umweltwissenschaften. „Diese Kooperation eröffnet den Beteiligten inhaltlich wie institutionell ganz neue Möglichkeiten“, sagt Schwarzenbach. „Vieles von dem, was wir heute machen können, wäre ohne S-ENETH undenkbar oder zumindest äusserst schwierig zu realisieren.“



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ok
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