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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 20.06.2001 06:00

Der nur scheinbare Luxus des Drehens und Wendens
Frontal - subversiv - konstruktiv

Von Dieter Imboden

Ich sitze vor dem Bildschirm. Ein weisses Feld starrt mich an, umrahmt von Leisten und Symbolen, geschaffen für die Form, nicht für den Inhalt. Da helfen weder button noch mouse. Not worth a button, zu deutsch: ‚keinen Pfifferling wert‘.

Der blinkende schwarze bar im leeren Feld ruft mir zu: "Frontal muss es sein, es gibt keinen andern Weg!" – Dabei plagt mich das schlechte Gewissen, seit ich gelesen habe (im ETH Life natürlich), dass Richard Ernst die Vorlesung, diesen Inbegriff des Frontalen, abschaffen möchte. Noch immer sündige ich zweimal pro Woche. Aber im HG F7 kann ich wenigstens meine Opfer sehen, sie beobachten, wie sie gähnen, schwatzen, vorzeitig weglaufen oder auch zuhören. Auch sprechen können wir miteinander, manchmal sogar ganz gut, wie ich mir zum Trost einrede.

Aber das hier? Elektronisch frontal. Das Vorlesen wird zum Vorschreiben. Wer liest mich, wer klickt aufs back links oben, kaum hat er oder sie die erste Zeile überflogen? – Leserbriefe!? – Wird es solche geben? Der fromme Wunsch, in eine leere Kirche hineingesprochen: "…Hoffnung auf den Dialog und den Widerspruch…"

Es ist zu spät, ich bin frontal fixiert. Da gibt’s nur eines, den Stier frontal bei den Hörnern packen und fragen: Was ist die Alternative zu frontal? (Keine Angst, ich überlasse den Diskurs über neue Unterrichtsformen dem Didaktikzentrum.) In meinem Bauch regt sich ein Wort: Subversiv! – Das Subversive als Alternative zum Frontalen. Alles umstürzen, oder wenigstens wenden, wie die Hydrobiologin, welche die Steine im Bach umdreht und darunter das findet, was das Leben im Bach dominiert. ‚Hinterfragen’ nennt man das, die uralten Fragen neu stellen, wie es die Philosophen tun. Als Physiker kommt mir Einstein in den Sinn, der - subversiv - die schwere und träge Masse neu erdachte und damit die allgemeine Relativitätstheorie schuf.

Natürlich kommt die Hochschule ohne den frontalen Blick auf den grossen Fluss der Wissenschaft nicht aus, aber wir können zumindest von Zeit zu Zeit ins Wasser waten und Steine umdrehen, um dem Gewohnten ein Schnippchen zu schlagen. Wer sich gewöhnt hat, stellt keine Fragen mehr. Die Kolumne als Versuch zum Überlisten der Gewöhnung, zur Eigen-Subversion, zum Sich-selber-das Wasser-abgraben sozusagen. Anreize geben zum Drehen und Wenden. Zum Beispiel diesen:


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dieter imboden
Dieter Imboden.

Am MIT, mit dem wir uns so gerne messen, gibt es jedes Jahr im Januar die Independent Activity Period (IAP), wo gemeinsam an ungewöhnlichen Themen gearbeitet wird. Sicher, was man auf der web page von IAP (http://web.mit.edu/iap/) findet, ist nicht nur originell, aber ein bisschen lernen könnten wir schon.

Wieso führen wir an der ETH nicht eine Subversiv-Woche (SW) ein, während der wir Altes durcheinander schütteln und so neue Rollen konstruieren für Lehrende und Studierende (ich bin überzeugt, letztere verfügen über einen ungenutzten Schatz von Wissen, der ersteren nur gut täte), für Theoretiker und Praktiker, Biologen und Ingenieure ? Die Subversion als Vorstufe des Konstruktiven. Wo, wenn nicht an der Hochschule, muss er gedeihen können, der Luxus des Drehens und Wendens. Realpolitik, Anpassung und Rentabilität warten noch früh genug vor den Toren. Ideen werden gesucht; sie wären die besten Argumente für einen SW-Versuch.


Zur Person

In die Rolle des Pioniers zu schlüpfen, ist Dieter Imboden, Professor für Umweltphysik an der ETH, gewohnt. Das war schon Anfang der siebziger Jahre so, als er als erster Physiker an die EAWAG (Eidg. Anstalt für Wasserversorung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) berufen wurde. 1987 dann war er massgeblich an der Gründung des ETH-Studiengangs Umweltnaturwissenschaften beteiligt.

Bis vor zwei Jahren leitete der 57-jährige Wissenschaftler das Projekt 'novatlantis', Nachhaltigkeit im ETH-Bereich, und auch das Pilotprojekt ‘Die 2000 Watt-Gesellschaft’ geht auf seine Initiative zurück. Im vergangenen Semester war Dieter Imboden Gast am Collegium Helveticum. Dort machte er sich Gedanken über die heutige Rolle der Wissenschaftler. Sein Fazit: Will die Forschung im gesellschaftlichen Kontext Sinn machen, müsse neben ihr Wissenwollen ganz entschieden ihre Verantwortung treten.






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