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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 24.10.2001 06:00

Panta rhei – Willkommen an der ETH!

Von Dieter Imboden

Die Welt habe sich am 11. September grundlegend verändert, sagt man. Nichts mehr sei wie früher. Und als ob es noch besonderer Zeichen bedurft hätte, dass diesmal der ‚Sonderfall Schweiz’ nicht ausgenommen sei vom Strudel des Wandels, folgten das schreckliche Drama von Zug und das Melodrama vom Balsberg. In dieser arglistigen Zeit kommen in dieser Woche über 2000 junge Menschen zusammen – nein, nicht auf dem Rütli, sondern in den ehrwürdigen Hallen der ETH – und beginnen ihr Studium. Sie kommen mit ihren eigenen Vorstellungen und Erfahrungen, mit Ideen und Träumen, schauen über das angeblich Einmalige des schwarzen Septembers hinaus und vertrauen darauf, man könne ihre Fähigkeiten dereinst gebrauchen in jener Welt, die in ein paar Jahre nochmals ganz anders sein wird als gestern und heute.

Mir wurde in diesen Tagen einmal mehr bewusst, welch Privileg es bedeutet, an einer Institution tätig zu sein, die jedes Jahr ganz direkt von der Unbeirrbarkeit (ich sage nicht: Sorglosigkeit) eines neuen Jahrganges von Studierenden quasi überflutet wird. Das versöhnt und macht zugleich bescheiden. Besonders aber holt es das im Alltagstrott nur allzu oft verdrängte Wissen ins Bewusstsein zurück: Die Welt verändert sich ständig. Veränderung ist das Prinzip des Lebens; oft wirkt sie im Verborgenen, manchmal aber entlädt sie sich in einem spektakulären Ausbruch, wie ein Vulkan oder ein Erdbeben, das die akkumulierte Spannung abbaut.

Das ist das Eine, das Altbekannte: Panta rhei – alles fliesst. Dozenten und Forscherinnen sollten es eigentlich im Blut haben, tragen wir doch im doppelten Sinn zu diesem ständigen Fliessen bei, erstens indem unsere Neugierde das Bild der Welt fortwährend neu zeichnet und zweitens, indem wir die jungen Leute durch unser Wissen und Vorbild verändern – zumindest glauben und hoffen wir es.

Wichtiger aber scheint mir das Zweite: Wer verändern will, muss sich selbst verändern lassen. Nur allzu oft ignorieren die Veränderer die Veränderungen, dabei werden uns diese – siehe oben – durch viele neue Welten jährlich ins Haus geliefert. Sicher, nicht alles Neue ist gut, nicht alles Alte ist unbrauchbar. Dennoch erliegen wir Dozierende immer wieder der Versuchung, das, was wir selber einst gelernt haben, unseren Schülern und Schülerinnen als unverzichtbares Gut mit auf den Weg geben zu wollen und vergessen dabei, dass unser Wissen oft dasjenige einer andern, längst verschwundenen Welt ist.


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prof d imboden
ETH-Umweltphysiker Professor Dieter Imboden.

Wer weiss denn in einer Welt, wo alles fliesst, was nützlich sein wird in zehn oder zwanzig Jahren? – Trotz dieser Unsicherheit sind wir Dozenten aufgerufen, den Rucksack unserer ‚Kunden’ zu füllen, mit Unentbehrlichem und Nützlichem. – Ich denke, Fähigkeiten sind nützlicher als Lexika, die Befähigung zu lernen (und zu vergessen) zum Beispiel, zu bewerten, auszusortieren und zu integrieren. Kurz, wir brauchen nicht Rucksäcke voller Backsteine oder Schrauben, sondern solche voller analytischer und synthetischer Werkzeuge, voller Ordner, Karteikästen und Papierkörbe. Nichts Neues, ich weiss, aber dennoch leicht zu vergessen. Willkommen an unserer ETH, liebe Studierende (die neuen und die alten). Erwartet von uns kein Wissenssortiment für die Ewigkeit. Wir versuchen euch im Fluss zu halten. Sorgt ihrdafür, dass wir es auch bleiben. Panta rhei.


Zur Person

In die Rolle des Pioniers zu schlüpfen, ist Dieter Imboden, Professor für Umweltphysik an der ETH, gewohnt. Das war schon Anfang der siebziger Jahre so, als er als erster Physiker an die EAWAG (Eidg. Anstalt für Wasserversorung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) berufen wurde. 1987 dann war er massgeblich an der Gründung des ETH-Studiengangs Umweltnaturwissenschaften beteiligt.

Bis vor zwei Jahren leitete der 57-jährige Wissenschaftler das Projekt 'novatlantis', Nachhaltigkeit im ETH-Bereich, und auch das Pilotprojekt ‘Die 2000 Watt-Gesellschaft’ geht auf seine Initiative zurück. Im vergangenen Semester war Dieter Imboden Gast am Collegium Helveticum. Dort machte er sich Gedanken über die heutige Rolle der Wissenschaftler. Sein Fazit: Will die Forschung im gesellschaftlichen Kontext Sinn machen, müsse neben ihr Wissenwollen ganz entschieden ihre Verantwortung treten.






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