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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 19.01.2005 06:00

Welcome tomorrow!

Von Helmut Weissert

Dein 150. Geburtsjahr wird für alle Mitarbeitenden und für die Öffentlichkeit zu einem ganz besonderen Jahr werden! Als eine weise ältere Dame wirst Du weitherum bewundert. Bevölkerung und Politik im In- und Ausland schätzen Dich, weil Du als Ort des Lehrens und Forschens seit Deinen Jugendjahren Qualität garantierst. Deine Beweglichkeit, Deine Offenheit für Neues sind Voraussetzung für gutes Abschneiden in den internationalen Wissenschaftswettkämpfen. Man darf berechtigt applaudieren, wenn Du im Shanghai Ranking oder im London Wettbewerb zu den Weltbesten gehörst. Die jüngsten Mitarbeiterumfragen bestätigen es, Du bietest Deinen Wissenschaftlern optimale Randbedingungen für moderne, zukunftsgerichtete Forschung.

Allerdings, auch das kannst du aus den Mitarbeiterumfragen herauslesen, gibt es bei Dir Einiges, das nach Erneuerung verlangt. Ich habe das Glück, seit vielen Jahren bei Dir zu arbeiten, deshalb, du verzeihst es mir, kenne ich einige Deiner Alterserscheinungen gut. Auffällig für viele ist Dein immer noch sehr männliches Antlitz, das Du, in der Sprache der alten Polytechniker als Deinen Oberbau bezeichnest. Ein Face lifting ist, Du weisst es, dringend angezeigt. Weiblichere Züge würden Dich auch für neu beginnende Studentinnen attraktiver machen.

Mir fällt auf, wie Du auch bei der weiteren Umschreibung Deines Signalements der Sprache des frühen Polytechnikums treu bleibst. Dein hoher Oberbau wird gestützt vom breiten Mittelbau und vom dynamischen und immer wieder neuen Unterbau. Zum Mittelbau gehören Lehrende und Lernende. Er ist, im Vergleich zum männlichen Oberbau, schon deutlich weiblicher. Doktorierende treffen hier auf Ober- und gewöhnlichen Assistenten, auf PrivatdozentInnen und sogar die titulierten ProfessorInnen werden diesem voluminösen Mittelbau zugeordnet.


Zum Autor

Helmut Weissert geht es um die ganz grossen Zusammenhänge, sowohl auf der Zeit- wie der Raumachse. So ist eines der zentralen Themen, die ihn als Geologen beschäftigen, die Geschichte der Ozeane. „Wir sind schon etwas grössenwahnsinnig“, bekennt der aus Winterthur stammende Leiter der ETH-Forschungsgruppe „sediments, past oceans, and climate“. Was brauchts, um ein erfolgreicher Geologe zu werden? „Detektivisches Gespür. Ich empfehle Studierenden, immer mal wieder einen Krimi zu lesen“, so Weisserts etwas überraschender Tipp. Vergangene Ozeane: Schnell entsteht da heute der „Verdacht“, des l’art pour l’art. – Im Gegenteil, meint Weissert. Oft seien aktuelle Fragen die Auslöser für sein Forschen. Weisserts Team versucht zum Beispiel herauszufinden, wie die aktuelle Klimaveränderung das Wachstum der Riffe nachhaltig stören könnte – anhand der Spurensuche bei analogen Ereignissen in der Erdgeschichte. Bei dem, was uns und der Nachwelt blühen könnte, weicht die kriminologische Freude schnell der Besorgnis: „Die Erde ist durch zuviel CO2 oder Methan nicht kaputt zu kriegen, unsere Kultur langfristig aber sehr wohl“, so Weissert. Den Blick für die langfristigen Nebenwirkungen menschlichen Handelns zu schärfen, ist eines seiner Anliegen. Es erstaunt nicht, dass sein Denken in grossen Systemen keine verabsolutierte Naturwissenschaft zulässt. So sieht der die Kunst in der Rolle eines für die Wissenschaft unverzichtbaren Souffleurs.




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Geologieprofessor an der ETH und ETH-Life-Kolumnist: Helmut Weissert.

Dein Mittelbau wird vom Oberbau geführt, manchmal hat man den Eindruck, er werde nicht nur geführt sondern gar überwacht. Wenn man etwa hört, dass einem Privatdozenten, der eine Dissertation leitet, getreu nach Reglement, immer ein Vertreter des Oberbaus zur Seite gestellt wird. Ich vermute, dass diese Massnahme der Qualitätssicherung dient. Ich weiss, zu Deiner Jugendzeit waren Universitäten so strukturiert, man lese etwa Heinrich Heines bitterböse Beschreibung der Universität Göttingen in seiner “Harzreise”.

Aber entspricht diese fast noch feudalistische Universitätstruktur aus dem tiefen 19. Jahrhunderts den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts? Junge engagierte Leute können und wollen Verantwortung übernehmen, sie wollen die Zukunft der ETH mitgestalten, sie wollen sich einmischen. Die heutigen Strukturen wirken allzu oft bevormundend, sie bremsen Eigenverantwortung, sie erschweren oder verunmöglichen eine Karriere innerhalb der ETH.

Zu diesem Bild trägt auch das Ärgernis bei, dass die ETH es sich leistet, die allermeisten ihrer hoch qualifizierten Mittelbau-Forschenden wegzuschicken, nachdem sie lange Jahre und viel Energie in deren Ausbildung investiert hat. (Raimund Bühner, ein anderer „ETH Life“-Kolumnist, hat diese Situation an dieser Stelle letzte Woche eindrücklich geschildert.) Die amerikanische Hochschullandschaft beweist seit langem, dass erfolgreiche Lehre und Wissenschaft heute keine schwerfällige Habilitationsverfahren und keine Oberassistenzlehrjahre mehr braucht. Nach wenigen Post-Doc Jahren sind junge Forschende heute bereit, Assistenzprofessuren zu übernehmen.

Ansätze zur Veränderung sind bei Dir da und dort erkennbar. Aber erst wenn Du den Mut hast, dich nicht mehr als rigides Bauwerk sondern als beweglichen Organismus zu sehen, dann wirst du erkennen, dass Du das Potential bei vielen Deiner Mitarbeiter bisher noch bei Weitem nicht ausgeschöpft hast. Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat Deines Nobelpreisträgers Richard Ernst wiederholen, das im „ETH Life Print“ im Mai 2004 publiziert wurde: “Das Mittelbau-Problem kann nur gelöst werden, wenn wir uns konsequent für das alte deutsche System mit Mittelbau-Positionen oder für das amerikanische mit viel mehr Professuren entscheiden. Es gibt keinen Mittelweg!”

Nimm Dir die Worte von Richard Ernst zu Herzen und habe den Mut, dir nach 150 Jahren ein neues Signalement zu geben, das Dich dynamischer werden lässt, das Eigenverantwortung stärkt und das jungen Forschenden echte Karrierechancen an der ETH geben wird. Studierende und Forschende und ETH werden alle GewinnerInnen dieser Veränderung sein.


Literaturhinweise:
Literaturtipp: Heinrich Heine, Die Harzreise (1824), Reclam, 2003.



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