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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 07.03.2007 06:00

Qualität und Engagement

Leonhard Kleiser

Woher wir kommen, wo wir stehen, wohin wir wollen, was, wann und wie zu tun sei: alle diese Fragen erfordern ständige Reflexion und spiegeln sich in öffentlichen Debatten wieder. „Wie beschaffen“ (qualis) Lehre, Forschung und Administration an der ETH sind oder sein sollten und wie alle dem Ziel einer bestmöglichen Qualität dienen können, davon soll in der heutigen, letzten Kolumne die Rede sein.

In einem bemerkenswerten Beitrag für das Weblog ETH2020 schrieb Kollege Andrea Vasella Anfang 2006: "Was sind die Gründe für die Stellung der ETH? Ohne Analyse der bisher gültigen Faktoren lässt es sich schlecht extrapolieren. Ist es die Qualität? Wie oft taucht dieser Begriff in den neuen Vernehmlassungen, Ansprachen und Vorstellungen auf? Mir scheint es erstaunlich selten der Fall zu sein. Ich bin der Überzeugung, dass “Qualität” als Oberbegriff und allumfassendes Ziel allem voranzustellen sei, und alle Massnahmen danach beurteilt werden müssen, welchen Aspekten der Qualität sie denn gerecht werden und welche sie beeinträchtigen. Wird nicht zu sehr Qualität als gegeben vorausgesetzt und nur noch Rhetorik betrieben?" (1)

Der Qualität der Lehre wird, jedenfalls dem Namen nach, viel Aufmerksamkeit geschenkt. Wie aber steht es mit der Qualität des Lernens? Sollten wir die Studierenden nicht viel stärker unterstützen, das Lernen zu lernen, gerade auch im Hinblick auf das heute und in Zukunft erforderliche lebenslange Lernen, statt sie mit immer mehr Wissen und Fähigkeiten auf immer disparateren Sachgebieten vollzustopfen? Ebenso können Studierende selbst durch Aktivität, Engagement und nicht zuletzt Disziplin zu einem besseren Lernerfolg im und ausserhalb des Hörsaals beitragen (lautstarkes Schwatzen mit dem Nachbarn oder Telefonieren mit dem Gschpusi mitten im Unterricht tun das schwerlich). Die Forderung nach besserer Sprachkultur muss hier nicht nochmals ausgeführt werden. Qualität in der Forschung versucht man ebenfalls mit regelmässigen formalisierten Evaluationen zu erfassen. Statt Zählen von Publikationen und Zelebration ellenlanger Listen plädiere ich für die Wertung der Ergebnisse. Wiegen statt Zählen, Klasse statt Masse sei die Devise. Zuviel ist mir auch die Rede vom Geld und wo es herkommen soll, zuwenig von Ideen und dem, was mit den Mitteln gemacht werden soll (hat man Formel-1-Schumi danach bewertet, wo er getankt hat?) Zu wenig beachtet wird dagegen leider der Umgang mit unserer kostbarsten Ressource: unserer Zeit, auf die leider allzu viele allzu sorglos und ungefragt zugreifen. Wie gerne würde ich darauf eine Steuer erheben!

In Forschung und Lehre: wer evaluiert die modisch spriessenden Evaluationen? Was sind sie wirklich wert? (Nur was sie kosten, wissen wir recht genau!) Wer sie absolviert, sieht viele Mängel – gelingt es, diese zu verringern?

Qualität sodann der Administration, der Dienstleistungsbereiche: was wir wirklich brauchen, ist eine Tätigkeit im Dienst der produzierenden Einheiten, statt - verkehrte Welt – selbst immer mehr zu zeitraubenden Dienstleistungen für selbstherrliche Bürokraten herangezogen und ihren Zugriffen ausgesetzt zu werden. Wo können wir die Leistungen in Rechnung stellen?

Qualität der Kommunikation in und aus der ETH: Wie oft wird deren Verbesserung beschworen, wie verbesserungsbedürftig ist sie intern. Wie fassungslos liest der über Hintergründe Eingeweihte manchmal von professionellen Wortakrobaten produzierte offizielle Mitteilungen. Wie sehr wird oft ein zentrales Erfordernis verletzt: die Wahrhaftigkeit, aus der allein Glaubwürdigkeit erwächst.

Schliesslich, Qualität der Führung: Welch schmerzliche Konsequenzen mangelnde Qualität auf Führungsebenen und bei der Wahl von Führungspersonen (bis in die politischen Spitzen) mit sich bringen kann, haben wir erlebt und müssen es immer wieder leidvoll erfahren; mehrere Kolumnen haben sich des Themas angenommen. Dass gutes Führen auch Dienen heisst – Dienst an der Sache und für die Mitarbeiter – lässt sich beim Dirigenten eines Orchesters ab- und nachlesen (2); es scheint nicht weit herum bekannt zu sein. Nebenbei, Führungsqualität kann auch bedeuten, einem unverbesserlichen enfant terrible fühlbar auf die Finger zu klopfen (und womöglich es einer geeigneteren Verwendung zuzuführen).

Eine mächtige Führung der ETH, die zuhört, gut geerdet ist und sich auf Mitwirkung und Mitsprache abstützt, ist aber auch angewiesen auf das Engagement von unten und die Bereitschaft der Basis, Zeit, Ideen und Sachkompetenz zu investieren, mitzudenken und mitzumachen, kritische Solidarität zu üben und Verantwortung zu übernehmen. Mithin hängt die Führungsqualität auch vom Engagement der Basis ab. Deshalb: Tua res agitur, collega oder Mitarbeiter Biedermann jeden Standes, und das nicht erst, wenn Du sie Kanister auf Deinen Dachboden tragen siehst! Es reicht also nicht aus, Dein hübsches Gärtchen zu bestellen, womöglich noch ein Mäuerchen drum zu ziehen und die dekorativen Pflanzen zu giessen. Schlüsselfragen unserer Gegenwart und Zukunft, deren einige seit kurzem in der höchst begrüssenswerten „ETH-Debatte“ (3) gekonnt präsentiert und kenntnisreich diskutiert werden, sind „res publica“. Sie gehören nicht nur in kleine Zirkel, formale Gremien oder die Meckerrunde am Mittagstisch, sondern möglichst viele sollten sich aktiv daran beteiligen. Frag nicht nur, was die ETH für Dich tut - engagiere Dich selbst und trage bei zu einem gewaltigen „Think Tank“ ETH!

Zurückkehrend zum Thema meiner ersten Kolumne im vergangenen September: erkenne Dich selbst, ETH, werde die Du sein kannst und sein solltest - ein weltweit bewundertes Original, keine blasse Imitation; kreativer Vorreiter, nicht Nachläufer; ein souveräner moderner, die sich ändernden Herausforderungen meisternder Klassiker mit unverwechselbarem Profil, nicht ein geschwätziger, an globale Uniformität angepasster Modegeck. „Sein statt Schein“ und nochmals „Klasse statt Masse“ seien Dir Leitmotive. (Und wem Dein ruhmreicher Name ein Zungenbrecher ist, der trolle sich davon und besuche einen Sprachkurs.) Wollen wir hoffen, dass den schönen Sonntagsreden und Wachstumsversprechen, die wir derzeit hören und begrüssen, die Werktagstaten folgen, die wir brauchen.


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"ETH Life"-Kolumnist Leonhard Kleiser, ETH-Professor für Strömungslehre am Institut für Fluiddynamik.

Gut möglich, dass die gegenwärtigen Jahre einst als eine der Schlüsselperioden der ETH-Entwicklung erkannt werden, wenn man, wie wir hoffen, anno 2055 auf die 200-jährige Geschichte einer erfolgreichen „Zukunftsmaschine“ von hohem Wirkungsgrad zurückblicken wird. Wir Heutigen tragen Mitverantwortung für ihre Qualität und sind, jeder an seinem Platz, zu einem Engagement mit Leidenschaft für unsere Sache aufgefordert.

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Mit diesem Beitrag ist die Quadriga der Kolumnisten der vergangenen sechs Monate abgetreten. Jeder war aufgefordert, persönliche, ganz subjektive Beiträge zu liefern zu Themen, die ihm auf den Nägeln brennen, und dabei mit „Kritik und Provokation“ nicht zu sparen. Gebrannt hat es mehr, als wohl allen von uns lieb war, und das machte des Öfteren kritische Kommentare geradezu zur Pflicht. Ein amtloser Hinterbänkler wie dieser Schreiber hat dabei einerseits mehr Mühe, sich einen Reim aus allerlei Ungereimtheiten machen als ein gut informierter Funktionsträger mit Herrschaftswissen, muss aber andererseits auch weniger Rücksichten nehmen und kann Dinge deutlicher im Klartext zur Sprache bringen.

Das erstmalige öffentliche nichtfachliche Schreiben ist eine eigenartige Erfahrung, zugleich schlimmer und leichter als befürchtet. Dass Schreiben bekanntlich zum heilsamen Nachdenken zwingt (was jeder Doktorand spätestens bei der Niederschrift seiner Dissertation am eigenen Leibe erfährt), bestätigt sich auch hier. Die befürchtete Angst vor dem leeren Blatt entpuppt sich als ein Kampf mit den zu vollen Seiten. Ab dem zweiten Mal tut’s nicht mehr so weh: ist der Ruf erst ruiniert, schreibt sich’s eher ungeniert. Des Schreibers missionarischer Eifer wird gedämpft, wenn er sich nach Ablieferung seines Textes erst einmal wie ein Prediger vor leerer Kirche vorkommt; umso mehr freut er sich über jeden späteren Widerhall. Was ihm heute hochaktuell und von einzigartiger Bedeutung erscheint, ist nur ein Molekül im täglichen Datenwasserfall und der Informationsmüll von morgen – auch daran muss er sich gewöhnen. Dass das Unternehmen gelegentlich auch seinen Reiz haben kann, etwa wenn begeisterte Zuschriften von Bekannten und Unbekannten eintreffen, soll nicht verschwiegen werden: zögern Sie deshalb nicht, ja zu sagen, wenn die Reihe an Sie kommt (und planen Sie genügend Extrastunden ein).

Zum Schluss ist es mir ein Anliegen, mich bei den Kolleginnen und Kollegen – aktiven und solchen im Unruhestand – herzlich zu bedanken, die mich durch fruchtbaren Gedankenaustausch und ihren Zuspruch unterstützt haben. Allen voran gilt der Dank meinem Kollegen Thomas Rösgen, der meine Texte kritisch gelesen hat und ohne dessen Unterstützung ich diese Aufgabe nicht übernommen hätte. Sodann Norbert Staub, der höchst kompetent die Umweltverträglichkeitsprüfung des vorgelegten „Gefahrenguts“ vorgenommen und Ihnen als Leser manch Schlimmeres erspart hat. Damit soll natürlich die Verantwortung nicht abgeschoben werden - quod scripsi scripsi.

Es war die erklärte Absicht, „in dieser Serie einige (möglicherweise chromatische) Motive zu einem Kontrapunkt im Gesamtkonzert“ beizusteuern. Das Konzert tönte nun mehr nach zeitgenössischer Musik, als zu Beginn erahnt werden konnte, und manch ein Leser mag finden, dieser Schreiber habe zuweilen zu grosse Töne gespuckt. Ich schliesse deshalb mit den Zeilen eines Meisters im Reich der Töne, der eines Tages, erschöpft vom vielen Schreiben, in einem seiner Briefe geseufzt hat:

„Das ist curiös! Ich soll etwas gescheutes schreiben und mir fällt nichts gescheides ein.“ … „Ietzt ist der Platz zu klein noch mehr gescheides herzubringen, und immer was gescheides macht Kopfweh; es ist ja ohnehin mein Brief voll gescheider und gelehrter Sachen, wenn Sie ihn schon gelesen haben, so werden Sie es gestehen müssen und haben Sie ihn noch nicht gelesen, so bitte ich Sie lesen Sie ihn bald, Sie werden viel Nutzen daraus ziehen, Sie werden bei einigen Zeilen bittere Zähren vergießen.“ (4)


Zum Autor

„Mich fasziniert, dass es in meinem Forschungsgebiet möglich ist, ein scheinbar regelloses chaotisches Geschehen – nämlich die fast überall vorkommende Turbulenz – für praktische Anwendungen beherrschbar zu machen; und dies mit zunehmendem Erfolg“, sagt Leonhard Kleiser, seit 1994 Professor für Strömungslehre am ETH-Institut für Fluiddynamik. Sei es bei der Strömung um Autos oder Flugzeuge, durch Turbinen oder Pipelines, bei Prozessen in der Erdatmosphäre, im Erdinnern oder im Weltall: Viele Ingenieure und Wissenschaftler müssten sich irgendwann mit Turbulenz auseinander setzen, sagt Kleiser. Zur Klärung der Grundlagen arbeitet sein Team einerseits mit enorm aufwendigen Computersimulationen, andererseits entwickelt es neue Modellkonzepte für künftige praktische Strömungsberechnungen.

„Unsere Grundlagenarbeit hat in Bezug auf die industrielle Anwendung einen Vorlauf von fünf bis zehn Jahren“, sagt Kleiser. Gleichwohl geht es hier auch um Probleme, die heute schon unter den Nägeln brennen. Die Gruppe untersucht derzeit beispielsweise intensiv, wie Strömungslärm beim Start von Düsenjets entsteht und sich ausbreitet.




I


Fussnoten:
(1) www.ethlife.ethz.ch (nur ETH-intern zugänglich)
(2) Christian Gansch, Vom Solo zur Sinfonie. Eichborn, 2006
(3) www.ethlife.ethz.ch/articles/ETHdebatte/
(4) Wolfgang Amadè Mozart, Brief vom 31. Oktober 1777 aus Mannheim (wo er sich mit den „Weberschen“ herumtrieb) an seine Cousine Maria Anna Thekla Mozart (das "Bäsle") in Augsburg, mit der er eine lebhafte Korrespondenz führte www.mozart.ard.de/brandauer/briefe/?t=11&id=316&s=. Selbstredend, nicht wahr, dass die letzten Sätze hier nur um der historischen Korrektheit willen aufgenommen worden sein können …



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