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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 03.11.2004 06:00

Im Westen viel Neues

Von Michelle Flückiger

Seit meiner Ankunft regnet es in Lausanne. Gerade ein einziges Mal durfte ich bisher die atemberaubende Aussicht auf den Mont Blanc geniessen, wie er aus dem goldig glänzenden Lac Léman emporragte; ein Bild der Ruhe, Gelassenheit und Zufriedenheit.

Solch ein Panorama kann nicht ohne Wirkung auf die EPFL bleiben. Und tatsächlich: Als ich das erste Mal meinen Fuss auf dieses riesige und mir komplett unübersichtlich erscheinende EPFL-Gelände gesetzt hatte(der Abkürzungswahn grassiert hier ebenso wie an der ETH), traute ich meinen Augen kaum. An eine kühle, steinerne und jeglichen sauerstoffspendenden Grünzeugs entbehrende Umgebung gewöhnt, glaubte ich mich auf einem anderen Planeten. Nicht Hörsäle en masse (eine wahre Kunst, diese zu finden), unwirtlich anmutende Hallen und Gänge, nein, gemütliche Ecken, Treffpunkte, Cafés und Kantinen in einem fort. Hier ist Studieren noch eine Lebensform und nicht bloss ein Hochleistungssport.

Wie schwer fiel es mir, mich an diese Gelassenheit zu gewöhnen. Die „quart d’heure vaudois“ (1), welche die Welschen einen immer warten lassen, war eine der härtesten Lektionen überhaupt und die plötzlich erhaltene Freiheit (Testate gibt es hier nicht, der Student hat selbst zu entscheiden, wie oft er den Vorlesungen beiwohnen will, ausschlaggebend ist schlussendlich nur das Examen) erschien mir vorerst hauptsächlich eine Last zu sein. Was tun mit soviel Zeit? Die stündige Mittagspause: eine Qual! «Mais, qu’est-ce que tu as? Calme-toi! C’est la Romandie ici! » (2)


zur Person

Den Dingen auf den Grund gehen: ein wichtiges Merkmal, das Michelle Flückiger auszeichnet. Die 22-jährige ETH-Chemiestudentin im 5. Semester war die einzige Frau im studentischen Quintett, das in Vorwegnahme von Science City schon einmal sein Quartier auf dem Hönggerberg bezogen hatte, probeweise. Campus-Feeling könnte der Hönggerberg klar mehr vertragen, meint Michelle Flückiger: „Der Sommer gibt jeweils einen Vorgeschmack darauf“, sagt sie. „Denn dann machen jene Studis, die sich auf die Prüfungen vorbereiten, den Hönggerberg zum Lern-Camp.“ An sich kann sich die Wallisellerin mit ihren 37 Stunden Präsenzzeit plus mindestens 18 Stunden Selbststudium nicht über Beschäftigungsmangel beklagen. Doch ihre Energie – siehe Wohnexperiment – reicht weiter: So berichtet sie als freie Journalistin regelmässig für eine Regionalzeitung über Kultur-Themen, und als leidenschaftliche Tänzerin trainiert sie intensiv Salsa. Derzeit verbringt sie ein Semester an der EPF Lausanne. Als „Siedlerin“ hat sich Michelle Flückiger also einen Wissensvorsprung über das Campus-Dasein erarbeitet. Zum Beispiel „dass ein Heimweg auch etwas Gutes sein kann.“ Er schaffe Abstand, den es für kreatives Forschen und Lernen eben auch braucht. „Denn es gibt auch ein Leben ausserhalb der ETH.“ Sie selbst scheint der lebende Beweis dafür zu sein.




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Michelle Flückiger, Chemiestudentin, "ETH Life"-Kolumnistin - und für ein Semester an der Lausanner Schwester- Hochschule.

Die Romands hatten mir das Eingewöhnen aber auch nicht gerade leicht gemacht. Man stelle sich vor, zu Hause sitzt „Big Sister“ Schulleitung, „watching you“ und ständig mit dem Aberkennen der hier vollbrachten Leistungen drohend. Dann kommt man hier an und erfährt so nebenbei: die ganze Planung zu Hause war für nichts. Bachelor/Master hat nun auch die EPFL erreicht, zwar nicht mit der „quart d’heure vaudois“ sondern den „deux ans vaudois“ (3) und ich geriet mitten in die Umstrukturierung. Der Röstigraben muss mittlerweile so tief sein, dass nicht einmal mehr E-Mail, Briefpost oder Telefonleitungen ihn zu überwinden vermögen. Die Kommunikation zwischen Deutschschweiz und Romandie ist einmal mehr gleich Null, denn eigentlich hätten alle Studierenden noch rechtzeitig über die Stundenplanänderung informiert werden sollen ... Nach erneut mühseligem Zusammenstellen des Vorlesungsplans folgte der Spiessrutenlauf, sich ein Projekt in einer Forschungsgruppe zu suchen. Anmeldeschluss für die EPFL-Studenten war der 15. September gewesen. «On s’est déjà parfaitement adapté au quart d’heure vaudois... » (4) Zürcher Hetzerei bringt auf alle Fälle nichts, damit biss ich mir nur die Zähne an der Lausanner Gemütlichkeit aus.

Freiheit, das merkte ich schnell, bringt Selbstverantwortung und Bedarf an Eigeninitiative mit sich. Zwei Fähigkeiten, die mir die ETH bisher nicht zu vermitteln gewillt war. Dennoch wird gerade diese Freiheit der EPFL von Zürcher Seite her am meisten angelastet. In Lausanne werde eben nicht so hart gearbeitet, von den Leistungen spricht schon gar keiner mehr. Doch Errungenschaften wie die Alinghi oder Rivella dürften klar beweisen, dass die EPFL über ein der ETH ebenbürtiges Potential verfügt.

Verstehen Sie mich nicht falsch, dies soll keine Verteidigungsrede für die EPFL sein. Aber mittlerweile beginne ich mich zu fragen, ob die ETH aus lauter Angst, die eigenen Schäfchen an andere Universitäten zu verlieren (auch ein goldener Käfig ist ein Käfig), ihre Studenten so ungern in den Austausch gehen lässt? Fasse Mut, liebe ETH, wir kehren alle zurück und sei es auch nur, um fortan zu rebellieren. Zumindest Deine Schwesterschule dürftest Du Dir aber gern mal etwas genauer ansehen! Schliesslich kannst Du nur gewinnen!


Fussnoten:
(1) "die Waadtländer Viertelstunde"
(2) "Was hast du auch? Beruhige dich! Das hier ist die Romandie!
(3) zwei Waadtländer Jahre
(4) Man hat sich bereits perfekt an die Waadtländer Verspätung angepasst...



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