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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 25.02.2004 06:00

Eile mit Weile. Oder: Sind drei Jahre genug?

Von Martin Näf

Die Vorgaben wären eigentlich klar: Eine Dissertation dauert drei Jahre. Das sagt das Doktoratsreglement der ETH, und in noch wesentlich deutlicheren Worten der Nationalfonds: Eine Verlängerung der Finanzierung wird nur in gut begründeten Ausnahmefällen gewährt. Das Dissertationsprojekt wird also innerhalb der ersten sechs Monate definiert und im Forschungsplan festgehalten. Damit ist dann alles klar, die Forschung kann beginnen und die Resultate werden gut zwei Jahre später niedergeschrieben. Es wird ein kleiner Apéro veranstaltet (wo bleibt eigentlich die Festkultur an der ETH?), ein Dokument überreicht, und das Kapitel ist abgeschlossen.

So viel zur Theorie. Leider passt sich die Wirklichkeit nur ungern den Reglementen an. In der Praxis verkommt diese Vorgabe deshalb häufig zur reinen Makulatur. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie der Forschungsalltag an der ETH. Sicher gehen viele Verzögerungen auf die Kappe der Forschenden: Zielgerichtetes Arbeiten will gelernt sein, Kreativität ist nicht jedem zu jeder Zeit gegeben, und manchmal gibt es auch die klassischen "Durchhänger", weil die Motivation ausbleibt. Hier sind einerseits die Doktorierenden selbst gefordert, das Problem zu erkennen, wenn nötig Hilfe und Betreuung einzufordern und damit die verlorene Zeit wieder wettzumachen.

Solche Durststrecken zu erkennen ist aber auch die Aufgabe der jeweiligen Betreuer. Wenn ein Projekt aus dem Ruder läuft, dann liegt das in erster Linie in der Verantwortung der Leitung. Es ist eine alte Erkenntnis, dass ein Projektplan nur so gut sein kann, wie die Kontrolle wahrgenommen wird. Ein hartes Standortgespräch unter vier Augen nach einem Jahr ohne Resultate ist für beide Beteiligten nicht einfach, aber viel hilfreicher als ein Schwarzpeter-Spiel nach drei Jahren, ohne dass eine Diss in Sicht wäre.

Forschung, die ihren Namen verdient, beherbergt auch Unwägbarkeiten, die einen bestehenden Zeitplan schnell komplett umkrempeln. Sei es ein chemischer Reaktor, der nicht so funktioniert wie berechnet, eine Maschine, die nicht auf Termin geliefert wird, oder gar ein jahreszeitenabhängiger Feldversuch, der infolge schlechten Wetters ins Wasser fällt – ein innovatives Projekt ist nicht immer zuverlässig planbar. Natürlich ergeben sich über die Zeit hinweg Erfahrungswerte und ein Gefühl für den Durchschnitt, aber im Individualfall ist schnell ein Jahr verloren, ohne dass jemand ernsthaft seine Fähigkeiten in Frage stellen müsste. In diesem Fall müssen kreative Lösungen gefunden werden. Das kann genauso eine Verlängerung wie auch eine Umdefinition des Projektes sein. Die Frage, ob denn eine Diss auf der gegebenen Grundlage noch sinnvoll zu Ende geführt werden kann, ist von Zeit zu Zeit zu stellen, und die Antwort darf nicht gescheut werden. Wenn diese "nein" lautet, gibt es meist noch genügend sinnvolle Ausweichpfade oder Redimensionierungsmöglichkeiten.

Es stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, wie weit Forschung eigentlich planbar ist. Wenn schon zu Beginn des Projektes der Weg klar ist, dann tönt das in meinen Ohren mehr nach klassischer Produktentwicklung oder Ingenieursarbeit mit seriösem Handwerk. Letztere Fähigkeiten gehören zwar sicher auch in den Rucksack der ETH-Abgänger, aber von einem Forscher wird am Ende mehr erwartet.


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Martin Näf, Doktorand der Informatik und derzeit "ETH Life"- Kolumnist.

Forschung wird doch erst dann wirklich spannend, wenn dank kreativer Eigenleistung wirklich neue Erkenntnisse gewonnen werden. Das setzt eine gewisse Risikobereitschaft voraus. Genau diese Einstellung sollte an der ETH gefördert werden. Ich frage mich nun, wie viel Raum für Risiko vorhanden bleibt, wenn die Dreijahreslimite strikt durchgesetzt wird, sprich nach Ablauf der Zeit der Geldhahn zugedreht wird. Diese Risikoverteilung ist in dem Fall recht einseitig und spornt geradezu zum kreativen Minimalismus an.

Glücklicherweise schätzen viele Professorinnen und Professoren an der ETH kreative Forschung höher ein als garantierte Zeitlimiten. Wenn das Vertrauen da ist, dass die Arbeit auch ausserhalb des Zeitplans zu einem guten Abschluss kommt, oder vielleicht sogar Erkenntnisse zu Tage gefördert werden, die im ursprünglichen Plan nicht vorgesehen waren, dann findet sich meistens noch irgend ein Topf mit Geld. Dieses Vorgehen möchte ich ausdrücklich unterstützen, dann damit wird ein Umfeld geschaffen, in welchem sich Kreativität entfalten kann und nicht Doktorarbeiten am Fliessband produziert werden.


Zur Person

Dass er Informatiker wird, stand für ihn immer fest. Martin Näf, Doktorand am ETH-Computer Graphics Laboratory hantierte schon als Elfjähriger mit einem programmierbaren Taschenrechner, mit 15 entwickelte er kommerzielle Software und verdiente damit sein erstes Geld. Dennoch: Technik in Reinkultur wäre ihm zuwenig. „Ich bin halt zu sehr auch Sinnesmensch“, sagt er. In der Virtual Reality hat er darum sein ideales Tummelfeld gefunden. Für seine Doktorarbeit hat Martin Näf die die Softwareschnittstelle zur Applikation von „The blue-c“ entwickelt, dem grossen ETH-Projekt, das den Weg zur Telekonferenz der nächsten Generation aufzeigt. Mit „blue-c“ kann man dereinst in Zürich eine Person auch dann dreidimensional begrüssen, wenn diese sich in Santa Barbara aufhält.

Leidenschaftlich betreibt Martin Näf sein Hobby, die elektronische Musik. Im hochgerüsteten Heimstudio produziert er Ambient-Klänge von beeindruckender Qualität. Im Frühjahr 2004 beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt: dann wird er 30, und etwa gleichzeitig sollte seine Diss fertig sein. Nach neun Jahren ETH und viel Engagement für Gremien wie die AVETH, den SSD und die Unterrichtskommission des Departements Informatik hat Martin Näf nun einen Postdoc in fernen Landen im Visier.






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