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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 11.07.2007 06:00

Vielfalt der Sprachen

Michael Hampe

Computer funktionieren, weil es künstliche Sprachen gibt. Seit Leibniz von der Idee einer logischen Idealsprache träumte und parallel zu Newton den Infinitesimalkakül entwickelte, um das Problem der mathematisch exakten Beschreibung kontinuierlich beschleunigter Bewegungen zu lösen, haben die künstlichen Sprachen einen ernormen Einfluss auf die menschliche Kultur gewonnen. Es ist kaum zu glauben, dass George Boole „Laws of Thought“ erst vor 153 Jahren und Freges Begriffsschrift vor nur 128 Jahren erschienen sind, Bücher, die aus dem Leibnizschen Traum Realität machten und ohne die heutige Programmiersprachen wie BASIC, COBOL, FORTRAN, Java, Oberon, Pascal, um nur einige zu nennen, die auch Nicht-Informatiker zumindest dem Namen nach kennen, nie hätten entwickelt werden können. Die dritte industrielle Revolution, die auch eine kulturelle war, wurde durch die Philosophie, Logik und Mathematik, die aus dem Traum der künstlichen Sprachen Wirklichkeit machten, und durch die Elektrotechnik herbeigeführt.

Künstliche Sprachen werden konstruiert, um bestimmte Probleme im weitesten Sinne „rechnerisch“ und damit letztlich mit einer Maschine behandeln zu können. Wer mit solchen Sprachen umgeht, seien es mathematische Kalküle oder Programmiersprachen, weiss, dass unterschiedliche Sprachen unterschiedlich leistungsfähig sind und leistungsfähige Sprachen die Leistungsfähigkeit des menschlichen Denkens entscheidend erweitern können. Dass es vor dem Infinitesimalkakül als unmöglich galt, die beschleunigte Bewegung mathematisch zu erfassen, lag daran, dass es eine bestimmte Sprache noch nicht gab.

Wer mit künstlichen Sprachen operiert, ist sich auch der Bedeutung der Genauigkeit bewusst. Ungenauigkeiten können dazu führen, dass Probleme nicht mehr lösbar sind.Weil wir die natürlichen Sprachen zuerst lernen und scharf von den künstlichen unterscheiden, sind Menschen sich oft nicht darüber klaren, welche Relevanz auch die nicht konstruierten Sprachen, die sich „irgendwie“ und „von selbst“ entwickelt haben, in der menschlichen Kultur besitzen. Oft hört man die Äusserung „Aber das ist doch nur eine Metapher!“, selten sagt jemand „Aber das ist doch nur eine Ableitung!“ Doch so, wie das, was in Computern passiert, wesentlich von den Sprachen, die in ihnen „laufen“ abhängt, hängt das, was im menschlichen Denken überhaupt geschieht, von der Sprache ab, ohne das man sprachliches Handeln und Denken deshalb identifizieren muss.

Die meisten von uns bewältigen ihr Denken in natürlichen Sprachen, Mathematiker und Informatiker auch in künstlichen. Ebenso wie Formalwissenschaftler erfahren, dass sie in verschiedenen Kalkülen Unterschiedliches denken können, erfahren diejenigen, die sich wirklich auf verschiedene natürliche Sprachen einlassen, dass die Welt auf Englisch anders „aussieht“ als auf Deutsch oder Französisch.

Frappierender werden die Unterschiede, sobald man sich vor Augen führt, dass es eine Zeit gab, in der in keiner Sprache der Begriff des „Menschenrechts“ existierte, der auf die britischen Philosophen Thomas Hobbes und John Locke zurückgeht. Nicht auszudenken, wie die Welt aussähe, wenn die Vorschläge von Thomas von Aquin und Karl Marx, den Begriff des Privateigentums fallen zu lassen, sich einmal durchsetzen sollten. So, wie Mathematiker und Informatiker an künstlichen Sprachen arbeiten, arbeiten die Philosophen an den natürlichen Sprachen, um das Leben von Menschen zu verändern. Oft sind sie dabei sehr erfolgreich gewesen, wie die Bill of Rights von 1689 und alle auf sie folgenden Menschenrechtserklärungen in den USA, Frankreich und schliesslich in den Vereinten Nationen zeigen.

Künstliche und natürliche Sprachen sind aber nicht nur erstaunliche Instrumente, um die Welt in der einen oder anderen Richtung in einer für Menschen wünschenswerten Weise zu verändern. Sie zu vernachlässigen oder nicht ernst zu nehmen, kann nicht nur zu Computerabstürzen führen, sondern noch andere Katastrophen nach sich ziehen. Wie viele Freundschaften sind schon zerbrochen, weil einer die „falschen“ Worte gewählt hat. Wie viele Totschläge passieren wohl auf Grund von Beleidigungen, die doch nichts als Worte sind? Menschen verfallen einander leidenschaftlich aufgrund von Liebesbriefen und sie bringen einander aufgrund von Kriegserklärungen um – alles nur Worte. Trotz dieser Tatsachen unterschätzen wir die kausale Relevanz der Symbole in unserem Leben ständig und glauben, nur Partikel und Felder, Hebel und Räder, seien „echte“ kausale Agenten.


Zum Autor

Wissenschaften ihre Exaltiertheiten vorzuführen, erachtet Michael Hampe als eine seiner Aufgaben. Der ETH-Professor für Philosophie sieht sich dabei auch in der Tradition von Diogenes von Sinope, der Platons Definition des Menschen als zweibeiniges, nacktes Tier mit einem gerupften Hahn ad absurdum führte, oder in der, die von Paul Feyerabend abstammt, der auf die Geschichtlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis hinwies und Erkenntnistheorie als eine "bisher unerforschte Form des Irrsinns" karikierte.

Die Einbettung von Erkenntnissen in ihre historischen Umstände ist Hampe auch bei seiner Lehrtätigkeit ein Anliegen. Er ist auch der Auffassung, dass der Versuch, wissenschaftlichen Erfolg planen zu wollen, eine Kreativitätskapitulation darstellt. Dass man sich mit solchen "närrischen" Ansichten auch immer wieder Feinde schafft, nimmt Hampe als Folge der "intellektuellen Redlichkeit in Kauf“.




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Michael Hampe, ETH-Professor für Philosophie am Zentrum "Geschichte des Wissens" und "ETH Life"-Kolumnist. gross

Die Rede der Nationalsozialisten von den Juden als „Ungeziefer“, das zu „vertilgen“ sei, wurde von vielen Zeitgenossen nicht ernst genommen, eben als „blosses Gerede“ abgetan. In den Mündern mancher mag es sich da nur um „flatus vocis“ gehandelt haben. Für Hitler selbst und seine nähere Umgebung wurde hier ein Programm vorgetragen, das eine Verwaltungsmaschine dann auch ausführte. Auf ähnliche Weise können religiöse Reden, die von der „Vernichtung der Ungläubigen“ sprechen, für einige eine blosse Redensart sein, auf die keine Taten folgen, für andere aber zum Programm des Handelns werden. Sprache – sei es eine künstliche oder natürliche - ist nie harmlos. Manchmal existiert sie nur auf dem Papier, doch manchmal läuft sie in einer Rechenmaschine oder einem politischen System und hat weit über das Sprachliche hinausgehende Folgen.

In dem Theaterstück „Das Seil“ von Patrick Hamilton, das Alfred Hitchcock unter dem Titel „Cocktail für eine Leiche“ 1948 verfilmt hat, haben Schüler des Philosophielehrers Rupert Cadell einen 14jährigen Jungen stranguliert und in einer Truhe verstaut, auf der sie einen Apero servieren, zu dem sie auch ihren Lehrer einladen. Als während der Einladung der Mord ans Licht kommt, ergehen sich die Täter unter anderem in Nietzscheanischem Vokabular. Nietzsches Rede von „unwertem Leben“, von den „Schwachen“, die „gestossen“ werden müssen, vom Recht der „Starken“ auf Grausamkeit usw. wurde ja auch von den nationalsozialistischen Ideologien aufgegriffen, um das Morden zu legitimieren, so wie es die Philosophiestudenten in diesem Film tun. Zu Recht empört sich der Lehrer über diese „Anwendung“ seines Unterrichts und der Gedanken, die Nietzsche so ja nicht gemeint habe. Das mag wohl stimmen. Doch sprachliche Äusserungen sind von den Intentionen abtrennbar, die hinter ihnen standen, als sie erzeugt wurden. Sie führen bald, nachdem sie in die Welt gesetzt worden sind, ein Eigenleben. So wie das berühmte Messer dazu geschmiedet worden sein mag, um Äpfel zu schälen, kann kein Schmied verhindern, dass es für einen Mord benutzt wird. Entwickler einer visuellen Programmiersprache oder eines Autorensystems, das Bild gebende Verfahren in der Wissenschaft realisieren soll, können nicht verhindern, dass man aufgrund dieses Programms auch Pornographie im Internet vertreibt. Deshalb ist der Schmied nicht für den Mord, der Programmierer nicht für die Pornographie verantwortlich, so wenig wie Nietzsche für den Nationalsozialismus oder Mohammed für die Selbstmordattentate der Al Quaida.

Doch in den nicht formalen, den semantischen Sprachen, wie sie die natürlichen darstellen, werden auch Intentionen von Menschen beeinflusst, indem handlungsrelevante Assoziationen erzeugt werden (etwa zwischen dem Wort „Jude“ und dem Wort „Ungeziefer“). Wer immer nur hört, dass es richtiger wäre, dass diese oder jene Art Menschen nicht existiert, muss den Intentionen, die in diesen Reden auf ihn einwirken, aktiv etwas entgegensetzen, um sie nicht zu übernehmen. Semantische Sprache verbreitet Intentionen wie Viren. Er muss eine andere Redeweise zur Verfügung haben, um noch auf andere Gedanken zu kommen. Deshalb sind totalitäre politische Regime auf eine Vereinheitlichung der Sprache aus, weil sie hoffen, dadurch zu verhindern, dass Menschen, wenn eine solche Vereinheitlichung gelingt, noch auf andere Gedanken kommen als die, die den entsprechenden Machthabern genehm sind. Die Vereinheitlichung gelingt jedoch nie ganz.

Auch die gegenwärtigen relativ harmlosen Vereinheitlichungstendenzen, die in einer Universalisierung biologischer und ökonomischer Redeweisen bestehen, werden nicht gelingen. Denn sie sind ebenso ungenau, wie alle anderen Einheitssprachen auch. Für bestimmte Aspekte und Probleme der Welt braucht man bestimmte und verschiedene künstliche und natürliche Sprachen. Deshalb gibt es viele Programmiersprachen und die Terminologien der Physik, der Chemie und der Biologie. Deshalb gibt es die Sprache des Rechts, die der Erziehung und Bildung, die des Militärs und die der Wirtschaft. Um der Genauigkeit und der Gedankenfreiheit willen, ist diese Vielfalt zu erhalten.




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