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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 27.11.2002 06:00

Assistieren und Doktorieren - eine überfällige Begriffsklärung

Vor einer Woche erschien in ETH Life eine Kolumne über die sogenannten `Doktorierendenlöhne' an der ETH. Mit einigen Äusserungen darin bin ich nicht einverstanden. Ausserdem ist es an der Zeit, eine Begriffsverwirrung aufzulösen, welche die gesamte Diskussion durcheinander gebracht hat.

Von Richard Pink

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An der ETH gibt es Assistenten und Doktoranden. Viele Assistenten sind gleichzeitig Doktoranden, aber nicht alle, und auch nicht alle Doktoranden sind Assistenten. Darum ist es wichtig, den Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen grundsätzlich zu klären.

Assistenten werden eingestellt und bezahlt für bestimmte Leistungen in der Lehre, im Labor, und/oder in der Forschung. Dazu gehört es oft, aber nicht immer, dass im Rahmen dieser Tätigkeit die Gelegenheit und die Zeit zum Doktorieren gegeben wird und dass eine Bemühung auf das Doktorat hin von den Assistenten erwartet wird. Das Doktorat selbst KANN aber nicht Gegenstand des Arbeitsvertrags sein, denn es ist ganz anderen Regeln unterworfen, und bei einem Scheitern des Doktorats wäre dann der Arbeitsvertrag nicht erfüllt, mit allen damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen.

Das Doktorat ist nämlich eine wissenschaftliche Qualifikation. Es beruht auf einer noch geführten, aber doch möglichst selbständigen Forschungsleistung und wird nur dann erteilt, wenn mehrere ausgewiesene Forscher als Referenten die Dissertation als hinreichend neu und positiv beurteilen. Selbstverständlich kann man auch ohne Anstellung doktorieren, zum Beispiel mit einem Stipendium oder neben einer Tätigkeit als Lehrer oder in der Industrie. Das Doktorat ist also ein Leistungsausweis, der in keinem direkten Zusammenhang mit einem Arbeitsvertrag steht. Insofern ist es eine Dummheit, von "Doktorierendenlöhnen" zu sprechen. Ich kann nicht verstehen, dass die Personalabteilung und die Schulleitung der ETH sich auf diese Sprachregelung eingelassen hat. Völlig widersinnig ist, dass es jetzt einen "minimalen Anstellungsgrad für Doktorierende" gibt, aber keinen ebensolchen für Postdocs.

Die Motive der Assistenten, einen Minimallohn zu verlangen, kann ich zum Teil nachvollziehen. Assistenten sind normalerweise in einem Alter, in dem die (auch finanziellen) Bedürfnisse gegenüber den Jahren als Student angestiegen sind. Es ist zu viel verlangt, wenn jemand seine private Lebensplanung ganz seiner wissenschaftlichen Weiterqualifikation opfern soll. (In diesem Zusammenhang finde ich auch das fehlende Recht auf Familiennachzug für ausländische Doktoranden skandalös.) Ausserdem ist mit dem Übergang von Studium zu Doktorat ein Statuswechsel verbunden, der sich in einer erhöhten Anerkennung ausdrücken sollte. Und es ist legitim, eine finanzielle Komponente dieser Anerkennung zu erwarten.

Niemand hat aber das Recht, auf Kosten der ETH doktorieren zu können. Die Gelegenheit zum Doktorieren im Rahmen einer Anstellung als Assistent wird nur dann gegeben, wenn der Betreuer den Kandidaten als hinreichend begabt und das Projekt als aussichtsreich einschätzt. Den Teil des Lohns, welcher der für das Doktoratsprojekt investierten Arbeitszeit entspricht, sehe ich dabei wie ein Stipendium an. Wird nur eine partielle Anstellung vereinbart, so muss der Assistent proportional weniger Tätigkeiten in Lehre, Labor, etc. ausführen; gelegentlich wird dies von dem Assistenten sogar gewünscht.


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"Für viele im Grunde wohlwollende Zeitgenossen ist Mathematik kaum mehr als ein notwendiges Übel", Richard Pink, ETH-Mathematikprofessor. gross

Im Vergleich zu einer Tätigkeit in der Industrie ist das Doktorieren an der ETH auf jeden Fall attraktiv, auch bei einer partiellen Anstellung. Wenn man dafür vorübergehend auf ein höheres Einkommen verzichten muss, so wird das durch die besseren Karrierechancen und das dadurch höhere spätere Einkommen mehr als wettgemacht. (Da sollte sich das Milchmädchen an die eigene Nase fassen.)

Ausserdem ignoriert der einseitige Blick auf das Geld die intellektuellen Aspekte des Doktorats. Wer nichts anderes tut als auf einer Stelle in der Industrie, verdient meiner Meinung nach den Doktortitel nicht. Wesen eines Doktorats ist auch, dass das Projekt scheitern könnte, denn sonst bringt es wissenschaftlich nichts Neues und verdient nicht die Promotion. Die ETH sollte weiterhin die Latte dafür hochhalten, auch im Interesse ihrer erfolgreichen Abgänger. Eine "Ausbildung" im engeren Sinn ist das Doktorat ebenfalls nicht. Dieser Begriff würde weder der Ungewissheit des Ausgangs noch der Reifung des Kandidaten zur wissenschaftlichen Selbständigkeit gerecht.

Geht es den Assistenten aber vielleicht gar nicht so sehr um die Löhne, als vielmehr um die Wertschätzung ihrer Tätigkeit überhaupt? Ich meine, alle Angehörigen der ETH, die ihre Arbeit gut verrichten, verdienen Wertschätzung. Das gilt in hohem Masse auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wo die Assistenten sich also aus individuellen oder strukturellen Gründen nicht anerkannt fühlen, sollte man auf eine Verbesserung hinarbeiten.


Zur Person
Richard Pink wurde am 29. Juli 1959 in Karlsruhe geboren. Das Studium der Mathematik begann er 1979 in Karlsruhe und schloss es 1985 in Bonn mit dem Diplom ab. Nach einem Jahr als Gaststudent in Princeton wurde er wissenschaftlicher Assistent in Bonn und promovierte dort im Jahr 1989. Bald darauf im Jahr 1991 habilitierte er sich in Bonn. Richard Pink ist seit Oktober 1999 ordentlicher Professor am Departement Mathematik der ETH Zürich.

Die Forschungstätigkeit von Richard Pink erstreckt sich auf verschiedene Teilgebiete von Algebra und Zahlentheorie. Seine Beschäftigung mit der Arithmetik von Shimura-Varietäten und der Kompaktifizierung von Modulräumen erwuchs aus seiner Dissertation und Habilitation bei G. Harder in Bonn.




Literaturhinweise:
Kolumne von Katja Wirth "Hohe Belastung - wenig Lohn": www.ethlife.ethz.ch



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