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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Brasilien - Deutschland 2:0 |
Gary Lineker hatte für einmal Unrecht. Brasilien hat im Finale der 17. Fussball-Weltmeisterschaft die Trophäe geholt. Beide Mannschaften werden im Triumphzug zu Hause empfangen. In den letzten Jahrzehnten hat fürwahr ein erstaunlicher Wertewandel stattgefunden. Während früher Fussball als Proletensport par excellence galt, kommt heute kein Politiker mehr an dieser geballten Medienmacht vorbei. Vor nicht allzulanger Zeit galt es unter Intellektuellen als chic, sich als Verächter dieses Sports auszuweisen, heute darf ich mich unbeschwert als Liebhaber outen. Haben Sie’s schon mal bemerkt ? Fussball und Wissenschaft haben Erstaunliches gemeinsam, und damit meine ich nicht, dass sowohl die ETH wie die Fifa ihren Sitz in Zürich haben. Beide aber versuchen durch Teamwork und Aufstellung ihrer besten Mannschaft im internationalen Wettbewerb um Erfolge und letztlich damit um Marktchancen ihrer Länder zu bestehen. Über die Gründe des Erfolgs im Fussball wurde denn auch während der letzten Wochen viel geschrieben und gesagt. Den Brasilianern wird das schier unerschöpfliche Reservoir an jungen Talenten zugeschrieben, welche zur richtigen Zeit gefördert werden. Von der brasilianischen Technik und den Zauberkünsten am Ball oder den Geniestreichen eines Ronaldo ist die Rede. Bei den Deutschen wird die junge und unbelastete Mannschaft gelobt, bestehend aus Spielern, die hungrig sind nach Erfolg. Den sogenannten deutschen Tugenden wird gehuldigt, vermutlich ist Ausdauer, Einsatz und solides Handwerk gemeint. Auch die Notwendigkeit eines guten Umfelds und von Nachwuchsarbeit wird diskutiert. Die persönliche Reife eines Fussballspielers gilt etwas und extravagante Frisuren werden als entsprechendes Signal gewertet. Es ist fast kaum mehr erwähnenswert, dass gute Leistungen im Fussball ohne (viel) Geld nicht zu haben sind.
Doch damit enden leider schon viele der Gemeinsamkeiten mit dem real exitsierenden Wissenschaftsbetrieb, denn als Praktizierender des letzteren "Sports" reibt man sich doch manchmal etwas verwundert die Augen. Selbstverständlich sind die Zeiten längst vorbei, wo Albert Einstein in verschiedenen Städten von der Bevölkerung im Triumph empfangen wurde.
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Doch, so scheint es, die Anerkennung für sportliche Leistungen (inzwischen sogar der ganz und gar mittelmässigen) hat die Anerkennung für geistige Leistungen weit überflügelt. Die Abschöpfung des Talentreservoirs und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchs ist zwar in aller Munde, doch leider bleibt es oft auch dort stecken. Erst kürzlich nahm die Zürcher Politik heftigen Anstoss am Gedanken von Eliteschülern - die Förderung von Elitesportlern ist dagegen eine nationale Aufgabe. Ein finanzieller Beitrag für eine wissenschaftliche Tagungsstätte zugunsten eines der grössten Arbeitgeber der Stadt? Von der Politik als ohne Gegenwert taxiert, ähnliches an die Adresse des Sports kaum vorstellbar. Persönliche Extravaganzen bei Wissenschaftern? Davon ist dringend abzuraten, denn im Gegensatz zu Beckham ist dies wohl eher ein Zeichen suspekter Persönlichkeitsstruktur. Ja, und wer hat schon davon gehört, dass Spitzenfussballer kaum mehr Zeit fürs Fussballspielen haben, da sie auch noch gleichzeitig ihren Klub verwalten müssen? Die freie Forschung ist im Grunde genommen wie der brasilianische Ballzauber - zum Teil Freude an der Sache, zum anderen aber Wegbereiter neuer Ideen und Lösungen. Doch wie schwer hat sie es gegenüber Ronaldinho? Man verzeihe die heimlichen Seufzer eines Liebhabers der Ballkünste. Und bevor mir nun jemand die gelbe oder gar die rote Karte zeigt: diese Beobachtungen sind nicht als gemeines Hineingrätschen von hinten in die Freuden des Fussballs gemeint. Vielmehr gilt die Sorge dem möglichen Spielstand im internationalen Wettbewerb um Ideen und um wissenschaftlich-technologische Ressourcen, welche im Zeichen der Globalisierung (ob man dies nun mag oder nicht) für jede moderne Gesellschaft das unabdingbare Fundament für die Erhaltung eines hohen Lebensstandards ist. Ein 0 : 2 gegen Brasilien steht dabei sicherlich nicht so schnell zu befürchten, aber ein 0 : 5 gegen viele andere ist schon drin. Man kann sich vielleicht zum Trost einiger Fussballweisheiten erinnern. Zum Beispiel: der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten. Das erste gibt Hoffnung, dass die Dinge sich auch woanders hin entwickeln können, das zweite, dass das Endergebnis zählt und auch für Kolumnisten der Schlusspfiff kommt.
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Literaturhinweise:
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