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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 16.10.2002 06:00

Blur - die letzten Tage der Expo.02

Von Philip Ursprung

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Immer wieder werde ich gefragt, was architektonische Forschung sei, ja, ob es Forschung in der Architektur überhaupt gebe. Wie bei den meisten "Was ist ...?"-Fragen ist eine eindeutige Antwort nicht möglich. Den einen erscheint die Frage von vornherein sinnlos, weil die Architektur keine exakte Wissenschaft sei. Die anderen verlieren sich in Definitionen, die bis zur Antike zurück reichen. Und wieder andere ersetzen den Begriff "Forschung" durch "Entwurf" und verschieben dadurch das Problem - denn auch darüber, was "Entwurf" sei, besteht keine Einigkeit. Einfacher, als abstrakte Definitionen zu formulieren, ist es, konkrete Beispiele zu geben. Und eines der spektakulärsten Beispiele für architektonische Forschung ist noch eine Woche lang an der Expo.02 zu sehen: Das Blur Building der New Yorker Architekten Diller & Scofidio auf dem Arteplage Yverdon-les-Bains.

Diller & Scofidio wurden lange Zeit von der architektonischen Zunft belächelt, da sie nichts "Wirkliches" bauten, sondern sich angeblich in der verschwommenen Zone zwischen Kunst, Architektur, Bühnenbild und Theorie bewegten. Tatsächlich haben sie unentwegt geforscht: Sie haben Bücher geschrieben, Ausstellungen gemacht und gelehrt. Inzwischen stehen grosse Projekte in New York und Boston unmittelbar vor der Ausführung. Mit dem Blur Building, meist "Blur" oder "Wolke" genannt, ist ihnen der grosse Wurf gelungen. Viel typologische, funktionale, technische und phänomenologische Forschung ist in das Projekt geflossen. Wie funktioniert ein Wahrzeichen? Welches sind die Mechanismen einer Grossausstellung? Wie kommt die richtige Sättigung mit Feuchtigkeit zustande? Welche Grösse produziert welche visuellen Effekte? Soeben haben die Architekten ein Buch veröffentlicht, in dem sich die Forschungsarbeit niederschlägt (1).


Zur Person
Philip Ursprung ist seit 2001 Professor für Geschichte der Gegenwartskunst am Departement Architektur. Dabei handelt es sich um die erste Förderprofessur des Nationalfonds für Kunstwissenschaft. 1999 habilitierte sich Ursprung an der ETH mit einer Studie zur amerikanischen Land Art, einem Gebiet, das zuvor lange Zeit ‚Terra incognita’ war. Als kunstgeschichtlicher Solitär an der ETH - wünscht man sich da nicht manchmal den Wechsel zur „reinen“ Geisteswissenschaft? „Im Gegenteil“, meint Philip Ursprung. „Mit meinem Fokus auf architektonische und territoriale Fragen stosse ich bei Kollegen und Architektur Studierenden auf offene Ohren und Augen. Die Lehre empfinde ich als sehr problemorientiert, frei und partnerschaftlich“. Und dies würde ihm, wäre er ein ‚herkömmlicher’ Kunstgeschichts-Professor, fehlen.



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Philip Ursprung, Inhaber der SNF-Förderprofessur für Geschichte der Gegenwartskunst. gross

Am wichtigsten aber ist: Das Projekt selber ist ein Laboratorium, und die Besucher sind Teil eines Experiments, das überprüfbar und beschreibbar ist, und auf das sich aufbauen lässt. Welche Alternativen gibt es zu festen Gebäudehüllen? Wie lange "dauert" ein Gebäude? Wie fühlt sich Architektur an? Wie riecht sie an einem heissen Sommertag, wie an einem trüben Regenmorgen? Und wie "leer" muss Architektur sein, dass sie für jede Art von Projektion und Erinnerung offen bleibt? Es gibt für Blur ebenso viele Assoziationen wie Besucher. Man mag sich wie ein Engel im Himmel fühlen oder wie auf der traditionell verregneten Schulreise in die Voralpen. Unsere 21-monatige Tochter sagte: "Badezimmer". Einiges, das hat sich im Lauf des Experiments erwiesen, lässt sich verbessern und präzisieren. Aber schon jetzt ist klar, dass hier ein neues Kapitel der Architektur aufgeschlagen wurde. Und auch die Besucher haben die Wolke längst ins Herz geschlossen und machen sich Gedanken über die Zukunft. Vielleicht wird, wie man hört, das Gerüst für ein Science-Fiction-Museum verwendet. Aber in einer Woche ist die Wolke weg. Sie wird fehlen.


Fussnoten:
(1) Elisabeth Diller, Ricardo Scofidio, Blur: The Making of Nothing, New York: Harry N. Abrams, 2002



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