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Rubrik: News
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Publiziert: 19.12.2005 06:00

Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss zum fünfjährigen "ETH Life"-Jubiläum.
"ETH Life": Kuckucksei oder Journalismus?

Fünf Jahre "ETH Life". Das kleine Jubiläum hat die Redaktion veranlasst, einige Einschätzungen von Lesern in- und ausserhalb der ETH einzuholen. Im ersten Beitrag äussert sich der Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss zum Spagat der täglichen Webzeitung zwischen Journalismus und Organisationskommunikation.

Von Vinzenz Wyss

Die Webzeitung "ETH Life" feiert ihr 5-Jahres-Jubiläum. Nehmen wir uns also Zeit, von aussen etwas genauer hinzuschauen. „Eine persönliche Einschätzung dieses Mediums“ - so lautet denn auch die Aufgabe, mit der ich als Medienwissenschaftler von der Redaktionsleitung beauftragt wurde. Zum Kuckuck! Die Analyse fällt mir schwer.

Von aussen zugängliche interne PR

Der Grund dafür liegt in der medialen Sonderstellung dieser Publikation. "ETH Life" bewegt sich in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite haben wir es mit einer Webzeitung zu tun, die nach professionellen journalistischen Regeln produziert wird und an die Funktion der Fremddarstellung kollektiv relevanter Informationen anschliesst. Auf der anderen Seite ist die Mitarbeiterzeitung als eine Form der Auftragskommunikation und der Selbstdarstellung partikularer Interessen aufzufassen – quasi als von aussen zugängliche interne Public Relation.

Wo soll nun also meine persönliche Analyse ansetzen? Bei der Frage, inwiefern es der Web-Zeitung gelingt, Journalismus zu produzieren – also entsprechend der journalistischen Funktion kritisch zur Selbstbeobachtung der ETH-„Gesellschaft“ beizutragen? Oder steht vielmehr die Frage im Zentrum, ob es ihr als Medium der (internen) Öffentlichkeitsarbeit gelingt, symbolisch den Journalismus einzusetzen, um organisationale Ziele zu verwirklichen? Mein Eindruck ist, dass sich "ETH Life" als Grenzgängerin an den Regeln und Normen zweier unterschiedlicher Handlungssysteme orientiert: denen der Public Relation bzw. der auftraggebenden Organisation ETH, und denen des Journalismus.

Ein solcher Befund kann von einem Medienwissenschaftler in einem knappen Jubiläumskommentar nur ambivalent interpretiert werden. "ETH Life" ist strukturell ein strategisches Instrument der Organisationskommunikation bzw. der Öffentlichkeitsarbeit, das top down gegen innen zur Identitäts- und Imagepflege eingesetzt wird. Analog zur Theorie steht’s so ja auch im Redaktionsstatut: „Die Redaktorinnen und Redaktoren sind den Zielen der ETH und den Angehörigen der ETH verpflichtet.“

Schwer zu realisierende Unabhängigkeit

Daran nicht anschlussfähig ist aber ein weiterer Grundsatz im Statut: „ETH Life liegen journalistische Kriterien zu Grunde, wie sie der Schweizer Presserat (…) definiert.“ Das ist nett, und den Presserat mag’s freuen. Relevant ist jedoch, dass es "ETH Life" wegen seiner organisationalen Einbindung auch beim besten individuellen Willen der dort tätigen Journalistinnen und Journalisten schwer hat, die vom Presserat postulierte Unabhängigkeit zu realisieren.


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Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss. gross

Das Unmögliche möglich machen

Nehmen wir als Beispiel die Thematisierung der Abstimmung zum Gentechnologie-Moratorium: Zu analysieren wäre hier etwa, wie die Redaktion von "ETH Life" in quantitativer und qualitativer Hinsicht mit kritischen Stimmen zur Gentechnologie umgeht. Hier sind Spannungen und Konflikte programmiert, die wir in einer journalistischen Redaktion einer Medienorganisation nicht in der Schärfe antreffen.

Trotz all dieser theoretischen Einwände ist "ETH Life" in der Praxis mehr als ein Kuckucksei. Das macht die junge Jubilarin interessant. Hinter den grenzgängerischen Praktiken scheint ein robuster Wille des Redaktionsteams zu stecken, innerhalb der komplexen und hierarchisch strukturierten Organisation ETH so etwas wie einen öffentlichen Raum zu schaffen, der den Regeln der Öffentlichkeit gerecht wird. Dieses Anliegen macht "ETH Life" sympathisch und verdient Respekt. Es bleibt aber der Nachgeschmack, dass hier quasi über den Umweg der Journalismus-Imitation das Unmögliche möglich werden soll.

Wunsch nach weitem Auslauf

Als Jubiläumswunsch formuliert: Wenn "ETH Life" innerhalb der ETH die Öffentlichkeit organisiert, bringt sie Regeln in Anschlag, die für jede Art von Kommunikation gelten: sei informativ, wahrhaftig, relevant und kurz! Zur Ausübung dieser zentralen Rolle braucht es weder eine Scheinidentität als journalistische Einheit noch eine Instrumentalisierung der Presserats-Regeln. Zu wünschen ist also, dass "ETH Life" ihre mediale Sonderstellung bewusst und transparent macht. Das schliesst nicht aus, dass sie wie bisher professionell kommuniziert und auch als Instrument der glaubwürdigen Organisationskommunikation auch mal ein Tabu thematisiert.

Ein weiterer Wunsch geht an die Schulleitung: Lassen Sie "ETH Life" weiten Auslauf – glaubwürdig kommuniziert, wer frei kommuniziert.


Vinzenz Wyss

Vinzenz Wyss ist Professor für Journalistik und Medienforschung am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Hochschule Winterthur. In der Lehre ist er zuständig für die Fächer Journalismustheorie und Medienforschung. Vinzenz Wyss ist zudem Lehrbeauftragter am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich sowie am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern.




Literaturhinweise:
Homepage von Vinzenz Wyss: www.zhwin.ch/ueberuns/person_detailanzeige.php?kurzz_person=wys
Website des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft: www.iam.zhwin.ch/
Von Vinzenz Wyss geführte Fallstudie zum Medienwirbel, den ein "ETH Life"-Artikel zum Thema Plutonium verursachte: http://home.zhwin.ch/~wys/mks/sycom/fallstudie_journalismusforschung/fallstudie_journalismus/index.html



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