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Rubrik: News
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Publiziert: 06.07.2004 06:00

54. Treffen der Nobelpreisträger – im Mittelpunkt: die Physik
Wissenschaft, Basis unserer Zukunft

(mib) Am Freitagabend ist das 54. Treffen der Nobelpreisträger in Lindau (1) am Bodensee zu Ende gegangen. Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr die Physik, vor allem die Astro- und Teilchenphysik. Besonders aufgefallen sind aber die teilweise brisanten Referate zu Themen aus der Wissenschaftspolitik.

Nicolaas Bloembergen von der Harvard University (Nobelpreis 1981 für Erkenntnisse über die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie) äusserte vorsichtige Kritik an der US-Forschung. Sie sei zu stark zielorientiert und vernachlässige deshalb die Grundlagenforschung. Je nach politischer Situation entferne sich die Wissenschaft vom eigentlichen Forschungsgegenstand – in seinem Fachgebiet zuletzt unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan, als dieser Laserkanonen für die Raketenabwehr plante.

Columbia-Unfall: kulturelle Ursachen haben Mitschuld

Douglas Osheroff von der Stanford University (Nobelpreis 1996 für die Entdeckung des widerstandslosen Strömens in Helium-3 bei sehr tiefen Temperaturen) informierte über den Columbia-Shuttle-Unfall vom 1. Februar 2003. Osheroff gehörte dem Columbia Accident Investigation Board an, das als Absturzursache den beschädigten Hitzeschild ausmachte. Auch Osheroff hielt mit seiner Kritik nicht zurück: Entscheidungen innerhalb der NASA seien bestimmt von engen Zeitplänen, knappen Finanzen und einem mangelhaften Sicherheitsprogramm – kurz: organisatorische und kulturelle Ursachen seien Mitschuld am Absturz.

Undifferenziert

Für besonderes Aufsehen sorgte das Referat von Robert C. Richardson (Nobelpreis 1996, zusammen mit Osheroff) von der Cornell University. „Der Mensch glaubt gerne an Zauberei. Seit der Frühzeit der Zivilisation haben Scharlatane immer wieder die Leichtgläubigkeit der Menschen ausgenutzt, um eine erstaunliche Vielfalt von betrügerischen Geräten an den Mann und an die Frau zu bringen“, sagte der Physikprofessor und nannte als aktuelles Beispiel Keramikchips, welche die elektromagnetischen Strahlen eines Mobiltelefons um 99 Prozent reduzierten (und falls es funktionieren würde, damit jedes Gespräch verhinderten). Die Debatte um die Grüne Gentechnologie bezeichnete Richardson als undifferenziert: „Da wird Angst verbreitet, wo wir keine haben müssen“ (siehe Skeptical Inquirer) (2).

Die Teilnehmer am 54. Treffen der Nobelpreisträger auf der Insel Mainau. Zum ersten Mal dabei: Riccardo Giacconi und Masatoshi Koshiba. Bilder: lindau-nobel.de gross

In eine ähnliche Richtung zielte Brian D. Josephson (Nobelpreis 1973 für Untersuchungen zum Tunneleffekt in Halb- und Supraleitern) von der britischen University of Cambridge. Auch er plädierte in seinem Referat „Pathologischer Unglaube“ für mehr Skepsis und meinte, dass beobachtbare Phänomene von der Wissenschaft nicht aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt werden dürfen. Er erinnerte an Alfred Wegener, der als erster die Kontinentalverschiebung beschrieb, in Fachkreisen aber auf viel Unbill gestossen ist.


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Robert C. Richardson, Professor an der Cornell University: In seinem Referat "Pseudowissenschaft, wunderbare Apparätchen und staatliche Aufsicht" forderte er zu mehr kitischem Denken auf. gross

Das gleiche gelte für Pons und Fleischmann, die 1989 behaupteten, ihnen sei die „kalte Fusion“ gelungen. „Ohne die Möglichkeit einzubeziehen, dass sich eine Ansammlung von Ionen in einer Matrix aus kondensierter Materie anders verhalten könnte als eine Ansammlung von frei bewegenden Ionen, wurde behauptet, eine Kernfusion könne für den angeblich erzeugten Wärmeüberschuss nicht verantwortlich sein“, kritisierte der 64-Jährige. Auch heute werde das Experiment noch immer belächelt. Eine vor zwei Jahren von Josephson gestartete Initiative zur Diskussion der „kalten Fusion“ in einem Physikerforum wurde von den Betreibern nicht zugelassen (nun sollen die Versuche von Pons und Fleischmann nochmals durchgeführt werden; siehe Physics Today, 2004, 57(4):27).

Bulmahn: Mehr Geld für die Forschung

Mit aktueller Forschungspolitik befasste sich das Referat von Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung. „Exzellente Forschung fällt nicht einfach vom Himmel, sie wächst auf dem Boden harter Arbeit. Damit Neues entstehen kann, müssen die Bedingungen stimmen“, sagte die Politikerin. „Die Politik kann dafür erstens den geeigneten Rahmen schaffen. Zweitens kann sie materiell unterstützend wirken. Und drittens kann sie dazu beitragen, dass die gesamte Gesellschaft Innovation als ihr eigenes Anliegen versteht.“ Ausser Frage stehe, „dass wir mehr Geld ausgeben müssen, um die Leistungsfähigkeit der Forschung zu erhöhen. Um die hierfür notwendigen Ressourcen frei zu bekommen, müssen wir umsteuern, weg von Vergangenheits-Subventionen hin zu Zukunfts-Investitionen.“ Dafür plädierten auch Thomas Goppel, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, und Lars Bergström, Physikprofessor an der Universität Stockholm und Sekretär des Nobelkomitees. Goppel sagte: „Zukunft braucht Forschung. Forschung und Wissenschaft sind im globalen Wettbewerb der Standorte um die besten Köpfe und Technologien, um Investitionen und Innovationen wichtiger denn je. Wissenschaft und Forschung sind die Basis unserer Zukunft.“


Lexikon der Nobelpreise

(mib) Der Blumenschmuck wird jedes Jahr eigens aus San Remo geordert, die Menüfolge ist bis zum letzten Moment ein wohlgehütetes Staatsgeheimnis: diese Beschreibung trifft nur auf einen Anlass zu, auf die Nobelpreisverleihung in Stockholm. Inzwischen sind mehrere Bücher über die höchste Wissenschaftsauszeichnung erschienen, eines sticht dabei besonders heraus: der „Brockhaus Nobelpreise“. Das 1104 Seiten starke Lexikon schildert anschaulich, packend und in chronologischer Reihenfolge die herausragenden Leistungen der Laureaten. Inzwischen ist das Buch in zweiter Auflage erschienen.

„Der Brochhaus Nobelpreise. Chronik herausragender Leistungen“, Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Mannheim 2004 (geb., sFr. 85.50).




Literaturhinweise:
Unter dem Titel „Um zu gewinnen, muss man Risiken eingehen“ berichtete ETH Life am 2. Juli 2003 über das letztjährige Treffen der Medizin-Nobelpreisträger: www.ethlife.ethz.ch/articles/nobellindau.html

Fussnoten:
(1) Treffen der Nobelpreisträger in Lindau: www.lindau-nobel.de/
(2) Skeptical Inquirer: http://www.csicop.org



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