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Rubrik: Montags-Porträts

Collegium-Gast Kalin Serapionov
Ich und die anderen

Published: 22.01.2001 06:00
Modified: 19.01.2001 20:40
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Als Videokünstler stösst der Bulgare Kalin Serapionov in seiner Heimat selbst über ein Jahrzehnt nach der Wende kaum auf Verständnis. Mit gutem Grund also durchziehen Reflexionen über das Anderssein wie ein roter Faden auch sein Schaffen. Seinen Collegiumsaufenthalt widmete Serapionov den "interaktiven Differenzen".



Von Bettina Spoerri

In einem kleinen Zimmer im Collegium Helveticum-Gebäude sitzt der 33 Jahre alte Videokünstler Kalin Serapionov vor einem grossen Computerbildschirm und zeigt mir seine Arbeiten. Wir unterhalten uns in Englisch, einer Sprache, die uns beiden fremd, weil nicht unsere Muttersprache, ist. Kalin Serapionov, in Bulgarien aufgewachsen, hält sich bereits zum zweiten Mal länger in der Schweiz auf. 1996 erhielt er einen Werkbeitrag von der Stiftung Binz 39 und lernte in Zürich die internationale Kunstszene kennen.

"Do you feel you are different?"

In der fremden Umgebung begann er über seine kulturelle Identität und seine künstlerische Motivation nachzudenken. Die Reflexion über Differenz und Identität steht seither im Zentrum von Serapionovs Kunst. Am Anfang einer Installation, die in Gruppenausstellungen in Sofia und München gezeigt wurde, stand die Frage: "Do you feel you are different?" ("Empfinden Sie sich als anders?"), die er zeitgenössischen Künstlern stellte. Dabei interessierte er sich für verschiedene Aspekte dieser Grundfrage: Anders-Sein als Lebensweise und in Beziehung zu einem Menschen oder einem Gegenstand, Anders-Sein in der eigenen Selbstwahrnehmung als Individuum mit einer persönlichen kulturellen Identität und in der Akzeptanz gegenüber allem Fremden.

Im Westen nicht beachtet

Die Umfrage ergab, dass sich viele Künstler-Kollegen Serapionovs aus dem Osten Europas - wie auch er selber - sich nicht nur als Künstler im gesamtgesellschaftlichen Kontext als anders empfinden, sondern auch innerhalb der internationalen Kunstszene - und zwar in einer negativen Weise. Sie fühlen sich von der internationalen Kunstszene nicht wahrgenommen, ja: nicht gewollt. Was sind die Hintergründe für dieses Desinteresse? Kalin Serapionov kennt die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstler in Bulgarien aus eigener Erfahrung. In der Staatlichen Kunstakademie in Sofia studierte er von 1989 bis 1995 Malerei.

Die Akademie ist bis heute äusserst traditionell ausgerichtet; über Video-, Installations- oder Multimedia-Kunst kann man hier auch mehr als elf Jahre nach der politischen Wende nichts erfahren. Serapionov informierte sich über die modernen technischen und konzeptuellen Möglichkeiten. Im post-kommunistischen Bulgarien brachte er sich nach seinem Studienabschluss die Videotechnik autodidaktisch und mittels Privatstunden bei und sog Informationen aus dem Westen auf. Als er vor mehr als fünf Jahren erstmals den Westen besuchte, konnte er nicht genug Museen und Galerien besuchen.

Skandalträchtiger Museumsbesuch

Eine seiner Arbeiten zeigt ihn in Fotomontagen auf den grossen Kunstmuseen Mitteleuropas stehend und sitzend - in ironischer Weise eine Eroberung andeutend. Er beschäftigte sich mit den Funktionen von Museen in kulturpolitischer und sozialer Hinsicht, eine Auseinandersetzung, die 1997 in dem Video "The Museum - Cause of Meeting and Acquaintance" resultierte.

Collegium-Gast Kalin Serapionaov
Fragen nach der Identität: Collegium-Helveticum-Gast Kalin Serapionov stellt sie.

Eine junge Frau und ein junger Mann betreten darin unabhängig voneinander die Nationale Kunstgalerie in Sofia. Zwischen den ehrwürdigen Gemälden begegnen sie einander, beginnen miteinander zu reden und zu flirten, um schliesslich gemeinsam auf dem Klo zu verschwinden, wo sie miteinander schlafen. Die Museumsdirektorin gab auf Grund der eingereichten Informationsunterlagen ihr Einverständnis für die Dreharbeiten. "Als sie dann aber das Video sah, war sie entsetzt und schrie mich an. Das Ganze wurde ein ziemlicher Skandal", erzählt Kalin Serapionov.

Kunst-Entwicklungshilfe aus der Schweiz

"Für Künstler wie mich gibt es in Bulgarien noch kaum Akzeptanz. Es existiert keine Basis, keine Struktur, auf der die Förderung zeitgenössischer Kunst stattfinden könnte. Wir müssen uns erst einen Platz in der Kunstszene schaffen". Bulgarien ist ein armes Land, in dem für zeitgenössische Kunst keine finanziellen Unterstützungen geleistet werden. Künstler wie Serapionov können sich nur an Stiftungen wie beispielsweise die Pro Helvetia wenden, um ihre Arbeit weiterführen zu können. Nun haben die zeitgenössischen Künstler in Bulgarien auch zur Selbsthilfe gegriffen: Sie haben gemeinsam mit Kunstkritikern, Kuratoren, Anwälten und Mode-Designern die Gruppe "Institution of Contemporary Art" gegründet, die sich Kontakte in der internationalen Kunstszene schafft und wichtige Informationen austauscht.

Als Gast des Collegiums stellte Serapionov auch seinen Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft in Seminarien und im Web-Archiv die Frage nach dem Anders-Sein und der Selbstwahrnehmung. Die Mehrheit der Antworten steht noch aus. Grundsätzlich, sagt Serapionov, beobachte er, dass die Wissenschaftler auf einem sehr viel theoretischeren Niveau an die Fragestellung herangingen. Doch das ist eigentlich auch nicht sehr verwunderlich. Serapionov möchte indes nicht einfach Antworten auf seine Fragen finden, sondern das Thema in einem kollektiven Prozess erarbeiten, der auf einer metaphorischen Ebene dargestellt werden kann. Metaphern der Differenz sind es denn auch, welche die Präsentation von Kalin Serapionov mit Peter Pakesch von der Kunsthalle Basel am Dienstag im Collegium Helveticum bestimmen werden.

Die von Kalin Serapionov konzipierte Präsentation "Interactive Differences - Concept für Artistic Practice", findet morgen Dienstag statt im Collegium Helveticum, Semper-Sternwarte, Schmelzbergstrasse 25, 8006 Zürich, 19 Uhr.

References:
•  Ein Selbstportrait von Kalin Serapionov finden Sie unter www.collegium.ethz.ch/english_pages/guests/seriapi_eng.htm


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