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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 23.11.2006 06:00

Paläoseismische Untersuchungen im Zürichsee
Unerwartet starke Erdbeben

Geologen der ETH Zürich haben entdeckt, dass drei grosse prähistorische Erdbeben in der Innerschweiz sogar im Zürichsee Sedimentrutschungen auslösten. Die Beben erreichten demnach eine Stärke, die vergleichbar war wie diejenige des Erdbebens von Basel im Jahre 1356.

Felix Würsten

Als im Jahre 1601 ein schweres Erdbeben die Innerschweiz erschütterte, begann das Wasser im Vierwaldstättersee während mehreren Stunden hin und her zu schwappen. Ausgelöst wurde diese zerstörerische Flutwelle, die eine Höhe von bis zu vier Metern erreichte, durch Unterwasserrutschungen von Seesedimenten. Im Rahmen einer gross angelegten paläoseismischen Untersuchung haben Forscher des Geologischen Instituts der ETH Zürich (1) und des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH gezeigt, dass das Erdbeben von 1601 nicht das Einzige war, das in den Sedimentschichten des Vierwaldstättersees Spuren hinterlassen hatte. Die Wissenschaftler konnten fünf weitere Ereignisse ausfindig machen, die sich in den letzten 15'000 ereignet haben mussten. (2) Im Rahmen einer weitergehenden Arbeit haben die Geologen nun eine ähnliche Studie im Zürichsee durchgeführt. Wie sie in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Geology" (3) berichten, zeigte sich nun, dass drei der fünf grossen prähistorischen Erdbeben nicht nur im Vierwaldstättersee, sondern auch im Zürichsee Sedimente in Bewegung setzten.

Gute Übereinstimmung

"Rutschungen nach Erdbeben erkennt man an den gestörten Schichten in den Seesedimenten", erklärt Michael Strasser vom Geologischen Institut, der als Doktorand die Ablagerungen im Zürichsee untersuchte. Mit Hilfe von reflexionsseismischen Untersuchungen konnten die Forscher genau ermitteln, wo die Sedimente in Bewegung gerieten. Um die Ereignisse zeitlich genau einordnen zu können, entnahmen die Forscher an den kritischen Stellen Sedimentproben und datierten die entsprechenden Schichten anschliessend mit der C-14-Methode.

Die drei Ereignisse im Zürichsee fanden gemäss diesen Analysen vor 2200, 11'500 und 13'800 Jahren statt. "Diese Zahlen stimmen sehr gut mit den Werten von drei Ereignissen im Vierwaldstättersee überein", erklärt Strasser. "Schwere Erdbeben ereignen sich in der Schweiz nicht so häufig, deshalb sind wir ziemlich sicher, dass die Rutschungen in den beiden Seen durch die gleichen Erdbeben ausgelöst wurden."

Auf Grund von historisch bekannten Erdbeben haben die Forscher die Stärke dieser drei prähistorischen Ereignisse rekonstruiert. "Wenn in einem See durch ein Erdbeben Rutschungen ausgelöst werden, dann erreicht diemakroseismische Intensität die Stufe VII", erläutert Strasser die Rekonstruktion. "Würde sich heute ein solches Beben ereignen, dann würde man an Gebäuden deutlich sichtbare Schäden feststellen, vereinzelt gäbe es gar einstürzende Dächer."

Erdbebenherd in der Zentralschweiz?

Nimmt man nun als einfachste Hypothese an, dass sich die Zentren der drei prähistorischen Beben irgendwo zwischen den beiden Seen befanden, dann resultiert eine minimale Magnitude von 6,5 – das ist immerhin ein ähnlicher Wert wie beim grossen Erdbeben von Basel im Jahre 1356, dem grössten historisch bekannten Ereignis in Mitteleuropa welches die Magnitude 6,9 erreichte. "Dass sich in der Region Zürichsee derart schwere Erdbeben ereigneten, war nicht bekannt", so Strasser. "Bisher wusste man nur von einem Erdbeben in der Nähe von Thalwil, das im Jahre 1674 eine Magnitude von 5,4 erreichte."


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Von dieser Plattform aus entnahmen die ETH-Geologen Sedimentproben, um die Ereignisse zu datieren. gross

Michael Strasser (l.) und sein Betreuer Flavio Anselmetti bereiten die Probenentnahme vor. gross

Wo genau die drei prähistorischen Erdbeben ausgelöst wurden, ist noch nicht restlos geklärt. "Geologisch gesehen ist es eher unwahrscheinlich, dass die Beben tatsächlich zwischen den beiden Seen ausgelöst wurden", meint Strasser. "Wahrscheinlicher ist, dass sie von einem Herd östlich des Vierwaldstättersees ausgingen." Allerdings hätten die Beben in diesem Fall eine Magnitude von deutlich mehr als 6,5 erreicht, da sie sonst im Zürichsee keine Rutschungen ausgelöst hätten. Strasser vermutet, dass die Erschütterungen an der Basis der alpinen Gesteinsdecken entstanden. "Dort könnten sich durchaus Erdbeben bilden, welche die geforderte Magnitude von 6,5 bis 7 erreichen."

Reales Restrisiko

Die neuen Erkenntnisse sind für die Beurteilung der Erdbebengefährdung des Schweizer Mittellandes (4) sehr wichtig. Versicherungen stützen sich bei ihren Berechnungen auf Ereignisse mit einer Wiederkehrrate von 500 Jahren. Ereignisse mit einer grösseren Wiederkehrperiode - und dazu gehören die drei nun entdeckten Erdbeben - gelten als Restrisiko. Die neue Studie zeigt, dass für die Region Zürichsee dieses Restrisiko eine reale Grösse ist. Im weiteren beeinflussen die Resultate auch die Einschätzung des längerfristigen Risikos für kritische Infrastrukturanlagen.


Fussnoten:
(1) Homepage des Limnogeologischen Labors am Geologischen Instituts: www.limnogeology.ethz.ch/
(2) Siehe dazu auch "ETH Life"-Artikel "Spuren eines Bebens": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/erdbeben2.html
(3) Strasser, M., et.al.: Magnitudes and source areas of large prehistoric northern Alpine earthquakes revealed by slope failures in lakes. Geology, Vol. 34, No 10, S. 1005–1008 (December 2006). Der Artikel kann von Zugriffsberechtigten unter folgender Adresse herunter geladen werden: www.gsajournals.org/perlserv/?request=get-abstract&doi=10.1130%2FG22784A.1
(4) Siehe dazu auch "ETH Life"-Artikel "Basel und Wallis bleiben kritisch": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/Erdbebenkarte.html



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