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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 20.02.2007 06:00

Nicholas Deichmann vom SED im Interview
„Basels Geothermie-Projekt hat Signalwirkung“

Der ETH-Wissenschaftler Nicholas Deichmann war mit dem Schweizerischen Erdbebendienst (SED) begleitend am Erdwärmeprojekt der Geopower Basel AG beteiligt. Nachdem im Dezember 2006 ein Erdbeben die Basler Bevölkerung erschreckt hatte, stand der Seismologe während zwei Monaten im Kreuzfeuer der Kritik. Die Nachbeben der Aufregung sind weitgehend verebbt, das Projekt ist bis auf unbestimmte Zeit sistiert. Im "ETH Life"-Interview trat Deichmann beim Entscheid über ein Weiterführen des Projekts für eine fundierte Risikoanalyse und eine rationale Güterabwägung ein. Der Entscheid liege aber schliesslich bei der Öffentlichkeit und nicht bei den Experten.

Interview: Samuel Schlaefli

Herr Deichmann, am 8. Dezember 06 war in Basel ein Erdbeben der Stärke 3.4 zu verspüren, begleitet von einem lauten Knall. Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung?

Es fanden an diesem Tag mehrere Beben statt. Zum Zeitpunkt des Bebens mit der Magnitude 3.4 habe ich mit einem Geophysiker der Betreiberfirma Geothermal Explorers in Pratteln telefoniert, um ihm die von uns gemessenen Erschütterungswerte eines früheren Bebens mitzuteilen. Das ganze Team vor Ort reagierte auf das spürbare Beben enorm überrascht, leitete jedoch sofort die im Voraus festgelegten Massnahmen ein. Nur wenige Minuten nach dem Telefonat riefen die ersten Journalisten und verängstigten Bürger bei uns an. Mir wurde sofort bewusst, dass die Bevölkerung zu wenig über ein Erdbebenrisiko informiert worden war.

Wie kam es zu diesem Beben?

Das Prinzip des in Basel angewandten Hot-Fractured-Rock-Verfahrens beruht darauf, dass man kaltes Wasser in Gesteinsschichten von circa fünf Kilometer Tiefe presst. Dort erwärmt es sich und der entstehende Dampf wird anschliessend über eine zweite Bohrung an die Oberfläche befördert, wo er zur kommerziellen Energiegewinnung genutzt wird. Damit dies möglich ist, muss das Gestein genügend wasserdurchlässig sein, was es von Natur aus normalerweise nicht ist. Um dies zu erreichen, werden über ein erstes Bohrloch grössere Mengen Wasser unter hohem Druck in das Gestein eingepresst. Je höher der Wasserdruck in diesen Schichten, desto geringer die Festigkeit des Gesteins. Die mehr als zehntausend Mikroerdbeben, die dadurch in Basel verursacht wurden, führten zu Gesteinsbrüchen und damit zur erwünschten Permeabilität der tiefen Gesteinsschichten. Das spürbare Beben war eine Folge dieser Vorgänge.

Welche Magnituden sind bei solchen induzierten Erdbeben zu erwarten?

Die Mikroerdbeben sind ein integraler Bestandteil des Hot-Fractured-Rock-Verfahrens. Die allerwenigsten sind für Anwohner spürbar. In Basel nahm die Bevölkerung zwischen Anfang Dezember und Anfang Februar etwa ein Dutzend Beben wahr, wovon vier sehr deutlich. Bei anderen ähnlichen Projekten hatten die stärksten Ereignisse Magnituden von 2.9 bis 3.7 erreicht.

Die vom SED verzeichneten Erdbeben während der Stimulationsphase des Geothermie-Projekts in Basel. Links oben im Eck: Das Beben vom 8. Dezember 2006 mit einer Magnitude von 3.4. (Grafik:SED) gross

Gab es in letzter Zeit vergleichbare Erdbeben in der Schweiz?

Ja, über die letzten 30 Jahre haben sich in der Schweiz und Umgebung durchschnittlich pro Jahr acht Beben mit Magnituden von 3 oder grösser ereignet. Jedoch waren uns bislang keine Schäden bekannt, welche durch Beben der Stärke 3 bis 3.5 verursacht worden sind. Die in Basel gemeldeten Schäden - vor allem Risse im Verputz - könnten auf die relativ geringe Herdtiefe zurückzuführen sein sowie auf die Tatsache, dass diese Beben unter einem ausserordentlich dicht besiedelten Stadtgebiet stattgefunden haben. Eine Beschädigung der tragenden Bauelemente ist bei dieser Stärke jedoch auszuschliessen.

Wie gross ist das Risiko in Basel durch Einwirkung des Menschen ein Grossbeben zu provozieren?

Genau dies ist die Einmillionen-Frage, die momentan für den konkreten Fall in Basel noch niemand beantworten kann. Wir wissen jedoch, dass Grossbeben durch Menschen verursacht werden können. So zum Beispiel geschehen beim Schürfen in Bergwerken oder dem Auffüllen von Stauseen, wo ebenfalls der Wasserdruck auf tiefliegende Gesteinsschichten erhöht wurde. In Colorado gab es ein Beispiel von Abfallentsorgung, wo das jahrelange Einpressen von Abfallflüssigkeiten in tiefe Gesteinsschichten zu einem Beben der Magnitude von über 5 geführt hat.

Und in der Erdölindustrie, wo das gleiche Verfahren wie in Basel zum Leeren der Ölreservoirs genutzt wird?

In diesem Gebiet hat man relativ viel Erfahrungswerte und es wird behauptet, dass bisher keine Schadenbeben in diesem Zusammenhang bekannt sind. Die Situation ist jedoch auch eine andere, da man das Wasser bei der Erdölgewinnung in Sedimentgestein einführt und nicht in kristallines Gestein wie in Basel.

Um auf die Einmillionen-Frage zurückzukommen: Was bräuchte es, damit man diese beantworten kann?

Die Frage wird auch nach einer eingehenden Riskoanalyse – wie sie derzeit zur Diskussion steht – nicht abschliessend zu beantworten sein. Ziel müsste es meiner Meinung nach sein, die Bandbreite des möglichen Risikos quantifizieren zu können, also ein Best- und ein Worst-case Szenario mit entsprechenden Wahrscheinlichkeiten zu erstellen.


Nicholas Deichmann vom SED: "Es ist nicht an den Experten, sondern an der Öffentlichkeit darüber zu bestimmen, ob sie ein Risiko zugunsten neuer Energieformen tragen will oder nicht". (Foto: SED) gross

Welche Daten müsste eine solche Risikoanalyse beinhalten?

Sicherlich muss man versuchen, die Brüche in den Gesteinsschichten so genau wie möglich zu kartieren. Weiter muss man Rechenmodelle erstellen, mit welchen sich der Wasserfluss im Gestein simulieren lässt. Für solche Modelle konnte man während des Projekts in Basel wichtige Daten sammeln. Auch von Interesse ist das seismologische Verhalten des Gesteins bei einer längerfristigen Abkühlung durch den Betrieb einer fertig gestellten Geothermie-Anlage. Und natürlich muss man auch Schadenszenarien für den Fall von weiteren Beben berechnen, um auch eine ökonomische Güterabwägung durchführen zu können.

An wem ist es, diese Abwägung abschliessend zu machen?

Die Experten müssen versuchen, gesammelte Daten richtig zu interpretieren und die Lage dadurch so objektiv wie nur möglich zu beurteilen. Der endgültige Entscheid über ein Fortführen des Geothermieprojekts muss jedoch die Öffentlichkeit treffen. Sie muss nach Veröffentlichung einer Risikoanalyse darüber bestimmen, ob sie das berechnete Risiko zugunsten neuer Energieformen tragen will oder nicht.

Welche Rolle wird der SED bei dieser Risikoanalyse spielen?

Im Moment ist das Projekt sistiert und der Grosse Rat wird im kommenden Sommer über die Durchführung einer solchen Studie befinden müssen. Wir hoffen vor allem, dass wir beim Pflichtenheft über den Inhalt einer Risikostudie mitreden können. Je mehr Experten an einem solchen Bericht mitarbeiten und je intensiver ein wissenschaftlicher Diskurs darüber geführt wird, desto besser sind auch die Chancen für eine fundierte Prognose. Die Leitung der Studie sollte dabei eine unabhängige Organisation übernehmen, die noch unbelastet von den bisherigen politischen Ereignissen ist.

Wann könnte ein neues Geothermieprojekt in Basel wieder in Angriff genommen werden?

Ich schätze frühestens in zwei Jahren.

Es wurden in der Öffentlichkeit Bedenken laut, dass sich die Verantwortlichen der Geopower Basel AG und der SED zurückgezogen hätten, und allfällige Nachbeben gar nicht mehr registriert würden. Stimmt das?

Die Überwachung der Seismizität durch den SED und Geopower Basel AG geht weiter, daran hat sich nichts geändert. Wir haben von Beginn an die Forderung gestellt, dass die Messeinrichtungen, welche Geopower in sechs Bohrlöchern unter Basel installiert hat, auch bei einem Projektabbruch weiter in Betrieb bleiben. Mit diesen Geräten können die Entwicklungen vor Ort genau beobachtet werden und sie liefern weiterhin wertvolle wissenschaftliche Daten.

Wie lautet Ihre persönliche Prognose: Hat die Geothermie in der Schweiz Chancen auf eine Weiterführung?

Die Basis fehlt für eine solche Einschätzung. Die Ängste der Bevölkerung müssen ernst genommen und die Risiken so gut als möglich quantifiziert werden. Es wäre jedoch schade, wenn das Projekt Geothermie bereits heute verworfen würde. Die sich nun bietende Chance und Verantwortung, die Energieoption Geothermie in Form einer detaillierten Risikostudie abzuklären, muss wahrgenommen werden. Basel hat dabei eine Signalwirkung, die weit über die Schweiz hinausreicht.


Rolle des SED: Beraten, beobachten und messen

Der SED wurde von der Geopower Basel AG im Dezember 2005, ein Jahr nach Erteilen der Baubewilligung durch den Kanton, zur Erörterung der erdbebenrelevanten Aspekte des Projekts beigezogen. Der SED hat daraufhin verschiedentlich in Berichten und Gesprächen zum Projekt Stellung bezogen und einen Vorschlag für die Überwachung der Seismizität während der Stimulationsphase des Geothermieprojekts erarbeitet. Eine offizielle Stellungnahme von Seiten des SED zum endgültigen Massnahmenbericht der Betreiber wurde weder vom Kanton noch von Geopower angefordert. Der SED hat vor Beginn der Stimulationsphase zur Messung der Erschütterungen von allfälligen stärkeren Beben zusätzliche Beschleunigungsmesser im Grossraum Basel installiert und hatte Zugang zu den Daten der sechs Bohrloch-Seismometern der Geopower vor Ort. Nach Beginn der Stimulationsphase übernahm der SED im Wesentlichen drei Aufgaben, um welche er sich weiterhin kümmern wird: Die detektierten seismischen Ereignisse werden vom SED ausgewertet, die Ergebnisse an Geopower weitergeleitet und die Daten zur Information der Öffentlichkeit auf einer eigens fürs Geothermieprojekt erstellten Website veröffentlicht (1). Zudem lieferten die Messungen des SED auch Daten für ein Warnsystem der Geopower-Pumpanlage vor Ort, zur Drosselung und Abschaltung der Wasserinjektion im Falle von starken Erdbeben.




Literaturhinweise:
(1)Informations-Website des SED zum Basler Geothermieprojekt : www.seismo.ethz.ch/basel



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