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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 23.01.2003 06:00

Interview mit ETH-Professor Thomas Bernauer zum World Economic Forum
„Weltpolitische Begleitmusik“

Heute beginnt in Davos das World Economic Forum (WEF). Im Gespräch mit "ETH Life" erklärt ETH-Professor Thomas Bernauer die Hintergründe und die Bedeutung dieses Treffens von Politikern und Managern aus aller Welt.

Von Jakob Lindenmeyer und Ralph Mrowietz

Was treibt jedes Jahr Tausende von CEOs und Politikern ans Weltwirtschaftsforum (WEF) nach Davos?

Hier spielen Netzwerkeffekte eine bedeutende Rolle. Je mehr Prominenz sich an einem Ort konzentriert, desto mehr Leute möchten auch dabei sein.

Was genau machen denn all die Manager und Politiker in Davos?

Wichtig am WEF sind primär das Knüpfen von geschäftlichen und politischen Kontakten sowie das Diskutieren von Themen an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik. Eine Mischung aus “sehen-und-gesehen-werden", gegenseitigem Schulterklopfen, “Networking" und Gedankenaustausch abseits der Alltagshektik.

Welchen Einfluss hat das WEF auf die Weltwirtschaft und Weltpolitik?

Praktisch keinen. Konkrete wirtschafts-, sozial-, oder sicherheitspolitische Probleme werden in Davos weder substantiell verhandelt noch gelöst. Das WEF ist ein privater Verein, der mittels Konferenzen versucht, Weltanschauungen zu entwickeln bzw. zu stärken und öffentliche Meinungsbildung zu betreiben. Etwas pointiert gesagt, handelt es sich weitgehend um weltwirtschaftliche und weltpolitische Begleitmusik. Die wichtigen Entscheidungen in der Weltwirtschaft werden beispielsweise bei G-8 Treffen, Weltbank-, IWF-, WTO-, OECD- und UNO-Konferenzen, in der EU oder in bilateralem Rahmen getroffen. In den Medien wird die Bedeutung des WEF oft überbewertet.

Trotzdem: Könnte das WEF den drohenden Irak-Krieg verhindern?

Da spielt das WEF überhaupt keine Rolle. Die Entscheidungsprozesse in der Irakfrage laufen im UNO-Sicherheitsrat und bilateral ab. Unsere Aussenministerin wird in Davos ihrem amerikanischen Kollegen allenfalls einige mahnende Worte auf den Heimweg mitgeben. Der Effekt wird jedoch marginal sein.


Das Weltwirtschaftsforum WEF

WEF steht für World Economic Forum. Vom 23. bis zum 28. Januar treffen sich in Davos zum 33. Mal Staatsoberhäupter, Minister, Wirtschaftsführer und Politiker aus aller Welt. Gegründet wurde das WEF 1971 vom Wirtschaftsprofessor und ETH-Alumnus Klaus Schwab, der dazu auch schon an der ETH referierte (1), (2), (3). Neben dem eigentlichen Weltwirtschaftsforum organisiert das WEF dieses Jahr mit dem “Open Forum" in Davos erstmals begleitend eine öffentliche Pubilkumsveranstaltung statt (www.weforum.org). Zudem gibt es heute Donnerstag auch in Zürich weitere öffentliche Veranstaltungen zu WEF und Globalisierung (www.otherdavos.net).



Was halten Sie vom neuen Programm "Open Forum"?

Bei der Öffnung “fürs Volk" wurde von den WEF-Organisatoren aus dem Zwang eine Tugend gemacht. Bei einer solchen Dauerkritik, wie sie das WEF in den letzten Jahren erfuhr, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man kapselt sich völlig ab, oder man öffnet sich. In Bezug auf den PR-Effekt war es sicher schlauer, dass sich die WEF-Organisatoren für den zweiten Weg entschieden haben.

Wieso schliessen sich zahlreiche Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) den Globalisierungskritikern an?

Meist versuchen NGOs ihre Anhänger mit Themen zu mobilisieren, die ein grosses Empörungspotential aufweisen. Empörte Menschen lassen sich leichter für politische Ziele und Aktionen einspannen. Dazu eignet sich die Globalisierung vortrefflich. Sie beinhaltet Risiken, ist anonym und verunsichert dadurch viele Menschen. Die Globalisierung bietet eine ideale Projektionsfläche für persönliche Unzufriedenheiten und Benachteiligungen aller Art. Genau dies geschieht beim WEF. Allerdings sind die Anti-WEF-Proteste ein Schuss ins Leere, weil am WEF gar keine wirtschaftspolitisch massgebenden Diskussionen und Entscheidungen zu finden sind.

Um die Globalisierungskritiker scheint es eher ruhiger geworden zu sein...

...da bin ich anderer Meinung. Die gesamte NGO-Aktivität ist immer noch sehr gross. Allerdings scheint die Protestbewegung momentan etwas weniger gewalttätig zu sein. Wahrscheinlich auch, weil Konferenzveranstalter überall auf der Welt ihre Sicherheitsvorkehrungen massiv verschärft haben. Die Medien vermitteln übrigens oft das verzerrte Bild, dass die Globalisierungskritiker umso aktiver seien, je gewalttätiger die Ausschreitungen ausfallen. Ich möchte betonen, dass sich der weitaus grösste Teil der globalisierungskritischen NGOs schon immer gewaltfrei und sachbezogen verhalten hat.

Haben vielleicht auch die massiven Polizeieinsätze in Genua die Kritiker eingeschüchtert?

Ich hatte eher die Befürchtung, dass sie die Gewaltbereitschaft noch anheizen würden. In der Regel ruft Gewalt Gegengewalt hervor. Gerade radikale Gruppierungen könnten sich dadurch zum Einsatz von Gewalt legitimiert fühlen. In welche Richtung der Effekt geht, werden wir ja übermorgen Samstag in Davos, Zürich oder anderswo sehen.


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Das Weltwirtschaftsforum lockt auch die Kritiker nach Davos, wie hier im Jahr 2001. (Bild: oxo.li) gross

Ist die Kritik an der Globalisierung berechtigt?

Nicht jede. Der Vorwurf beispielsweise, dass der Welthandel und das internationale Finanzsystem die Entwicklungsländer ärmer machen, ist in dieser radikalen Form falsch. Meistens sind es innenpolitische Probleme und wirtschaftspolitische Fehlleistungen, welche die Entwicklung hemmen, wie beispielsweise in einigen Staaten Lateinamerikas und Schwarzafrikas. Länder wie Südkorea und Taiwan betreiben seit langem eine offene Wirtschaftspolitik und haben sich in die Weltwirtschaft bestens integriert. Auch die Schweiz hat sich dadurch von einem Armenhaus zu einem reichen Industriestaat entwickelt.

Welche Kritik ist für Sie zulässig?

Die Weltbank hat beispielsweise während vielen Jahren Staudamm- und Energieprojekte finanziert, die aus ökologischer und humanitärer Sicht äusserst fragwürdig sind. Durch den verstärkten internationalen Handel wächst der Verkehr. Die von Weltbank und IWF verordneten wirtschaftspolitischen Rezepte haben sich in einigen Entwicklungsländern als kontraproduktiv erwiesen. Allerdings darf man nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. Untersuchungen belegen beispielsweise, dass Wirtschaftswachstum, Welthandel und Demokratisierung in vielen Bereichen den Umweltschutz begünstigen. Insgesamt bringt die Globalisierung mehr Vor- als Nachteile, für reiche und für arme Staaten.

Was verstehen Sie unter dem diesjährigen WEF-Motto "Building trust"?

Vertrauen schaffen. Einerseits in die Weltwirtschaft und eine liberale Wirtschaftspolitik, anderseits in die Manager. Nach den zahlreichen Wirtschaftsskandalen ist insbesondere die Reputation der Wirtschaftskapitäne stark angeschlagen. Politiker sind heute in der Schweiz um einiges populärer als Wirtschaftsführer. In der Vergangenheit war dies oft umgekehrt. Wie das Vertrauen durch das WEF wieder hergestellt werden soll, ist mir jedoch schleierhaft. Die Schweizer oder gar die “Welt"-Bevölkerung ist ja in Davos nicht mit dabei. Die Wirtschaftsführer versuchen sich dort wohl Mut zu machen; Mit Blick auf die Lohnkosten der Beteiligten eine recht teure Art von Gruppentherapie.

Kontrolliert die Wirtschaft heute die Politik oder ist es umgekehrt?

Der Umsatz einiger Gross-Unternehmen wie Microsoft ist grösserer als das Bruttoinlandprodukt vieler Staaten. Deshalb wird oft befürchtet, die Global Players aus der Wirtschaft könnten vor allem kleinere Staaten erpressen. Wie ich in meinem Buch “Staaten im Weltmarkt" gezeigt habe, sind diese Befürchtungen kaum berechtigt. Der Markt hat den Staat nicht entmächtigt.

Wer steht dieses Jahr im Mittelpunkt? Bill Gates, Colin Powell, Bill Clinton oder die neue Bundesrätin?

Am diesjährigen WEF scheint mir keine Teilnehmerin und kein Teilnehmer das Charisma eines Nelson Mandela zu besitzen, der sich im Jahr 1992 am WEF mit Frederik Willem de Klerk traf, dem letzten Präsidenten des Apartheid-Regimes in Südafrika. Bill Clinton ist zwar sehr eloquent und sachkundig, aber er ist nun mal nicht mehr Präsident und als Privatmann in Davos. Am ehesten wird uns dieses Jahr vielleicht der neue brasilianische Staatspräsident Lula da Silva überraschen.

Was könnte die ETH zu einer "gerechten" Globalisierung beitragen?

Die ETH könnte beispielsweise neue umweltverträgliche Technologien und politisch-ökonomische Lösungsmodelle entwickeln, primär für Entwicklungsländer, damit diese von der Globalisierungsdynamik stärker profitieren können und nicht zunehmend abgehängt werden. Den Aufbau des Netzwerks für Internationale Entwicklung und Zusammenarbeit (NIDECO) sehe ich als einen wichtigen Beitrag der ETH in diese Richtung.

ETH-Professor Thomas Bernauer zum WEF: "Mit Blick auf die Lohnkosten der Beteiligten eine teure Art von Gruppentherapie." gross


Der Globalisierungs-Spezialist
Thomas Bernauer ist seit 1995 Professor für Politikwissenschaft (Schwerpunkt Internationale Beziehungen) im D-GESS und am Zentrum für Internationale Studien (CIS) der ETH und Uni Zürich. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Fragen der internationalen Wirtschafts- und Umweltpolitik. Sein Buch “Staaten im Weltmarkt" (4) befasst sich mit den Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung auf staatliche Handlungskapazitäten.



Literaturhinweise:
Offizielle Website des WEF und des "Open Forums" in Davos: www.weforum.org
Website von Gegen-Konferenzen, z.B. heute Donnerstag in Zürich: www.otherdavos.net

Fussnoten:
(1) "ETH Life"-Bericht über die Rede von WEF-Gründer Schwab an der ETH: www.ethlife.ethz.ch/articles/Schwab.html
(2) "ETH Life"-Bericht über die Anti-Globalisierungs-Proteste an der ETH: www.ethlife.ethz.ch/articles/Krawall.html
(3) "ETH Life"-Bericht über eine WEF-kritische Kleberaktion an der ETH: www.ethlife.ethz.ch/articles/AntiWEFPropagandaET.html
(4) Rezensionen zu Bernausers Buch “Staaten im Weltmarkt": www.amazon.de



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