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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 25.05.2005 06:00

Modell für Wachstum von Kapillaren
Gefässwachstum im Computer

Biologische Prozesse sind nicht allein durch die Gene bestimmt, sondern auch durch physikalische Kräfte. Einen Beleg dafür liefert ein ETH-Forscher mit einer Computersimulation des Wachstums feiner Gefässstrukturen. Das Modell basiert ausschliesslich auf physikalischen Interaktionen und kommt realen Mustern sehr nahe.

Von Christoph Meier

Die Erscheinung beziehungsweise der Phänotyp eines Lebewesens ist immer das Produkt von Veranlagung und Umwelt. In Folge der Entschlüsselung des menschlichen Genoms geriet aber der zweite Faktor etwas in Vergessenheit. So gab es wohl viele Untersuchungen, bei denen anhand des Ausschaltens der Gene das Funktionieren eines Lebewesens ergründet wurde. Weniger häufig versuchten Wissenschafter, die physikalischen Prozesse in einem Organismus mit Hilfe einer anspruchsvollen Mathematik zu beschreiben.

Am Anfang war ein Ei

Diese Schwierigkeiten schrecken den ETH-Forscher Dominik Szczerba vom Institut für Bildverarbeitung des Departements Informationstechnologie und Elektrotechnik nicht ab (1). In der Literatur stiess der Forscher auf Bilder, die ein experimenteller Biologe vom Gefässwachstum in einem Hühnerembryo gemacht hatte. Dabei wurde auch erwähnt, dass die abgebildeten Strukturen, feine Kapillaren, eine Folge einer physikalischen Interaktion zwischen dem Blutfluss und dem Gewebe sein könnten. Wenn dem so ist, dachte sich Szczerba, dann müsste man das mathematisch auch ausdrücken können.

Für sein Modell zur Entstehung von Kapillaren, also Blutgefässen mit einem Durchmesser kleiner als 10 Mikrometer, betrachtete der Forscher das Gewebe als regelmässigen Schwamm (2). In diesem fliesst das Blut ohne Turbulenzen und Pulsation. Die Durchschnittgeschwindigkeit des Blutes bestimmte Szczerba, indem er diese in Filmsequenzen mass, die auch in Hühnerembryonen aufgenommen worden waren. Die entstehende Scherspannung zwischen Gewebe und Blut, sollte in dem Modell dann zu Neuanordnungen führen. Das heisst, je nach Spannung werden Zellen eingefügt oder herausgerissen. Mathematisch beschrieb der Forscher die Situation, indem er die durch den Blutfluss erzeugten Kräfte mittels abgewandelten Navier-Stokes Gleichungen erfasste, und beim Gewebe von einem Netz diskreter zellulärer Einheiten ausging.

Pfeiler am Ort des geringsten Widerstandes

Als Szczerba den Schwellenwert variierte, bei dem Zellen eingefügt oder herausgerissen wurden, zeigte sich erstaunliches. Bei gewissen Werten stimmte die Form der entstehenden Gefässe fast mit der realen Situation bei den Hühnerembryonen überein. Das erste Indiz für die Validität des Modells war erbracht. Die Simulation ging aber noch weiter. Denn das Modell des ETH-Forschers lieferte auch eine Erklärung für ein bisher kaum verstandenes Phänomen. Bei Gefässverzweigungen war beobachtet worden, dass zuerst eine Art Gewebepfeiler gebildet wird, bevor sich der Winkel der Verzweigung ändert. Szczerbas’ Modell zeigte auf, dass sich die Pfeiler immer dort bilden, wo die Scherspannung am kleinsten ist. Die mechanische Interaktion scheint also zu entscheiden, wie stark sich der Winkel einer Verzweigung ändert.


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Virtuelles Gefässwachstum: Eine numerische Simulation zeigt den Einfluss der Scherspannung auf die Gefaässentwicklung. Links oben, die Ausgangssituation, die auf einem realen Foto basiert. Die drei Reihen zeigen die Entwicklung bei verschiedenen Schwellenwerten. (Bilder: Reprinted from J Theor Biol. 234(1), Szczerba D, Szekely G, “Computational model of flow-tissue interactions in intussusceptive angiogenesis“. 87-97, Copyright (2005) with permission of Elsevier) gross

Zukünftig Einfluss der Radioaktivität simulieren

Der ETH-Forscher betont, dass trotz der grossen Ähnlichkeiten mit der Realität seine Simulation noch verbessert werden sollte. So entstünden bei ihm Muster, die im Vergleich mit natürlichen Strukturen zu symmetrisch seien. Szczerba will sein Modell verbessern, indem er zusätzliche, biologische Faktoren ins Modell integriert. Zudem könnten auch die Gleichungen, die der Simulation zugrunde liegen, mathematisch verbessert werden.

Fragt man den Forscher nach der praktischen Bedeutung seiner Forschung, verweist er auf seine Hauptarbeit am Institut für Bildverarbeitung. In dieser ist Szczerba an der Entwicklung eines virtuellen makroskopischen Gefässsystems beteiligt. Dieses soll Chirurgen dienen, um virtuell Operationen üben zu können, vergleichbar einem Piloten, der im Flugsimulator trainiert. In Bezug auf das mikroskopische Gefässmodell hofft der Forscher, dass es vielleicht nach einer entsprechenden Verfeinerung dazu dienen kann, beispielsweise die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf die Kapillaren zu untersuchen.

Simulation einer Pfeilerbildung bei einer Gefässverzweigung. Die Struktur in a entspricht einem Foto einer realen Struktur. Die Farben codieren die Stärke der Scherspannung. gross


Fussnoten:
(1) Institut für Bildverarbeitung des D-ITET: www.vision.ee.ethz.ch/
(2) Die Arbeit wurde publiziert unter: Szczerba D, Szekely G.: “Computational model of flow-tissue interactions in intussusceptive angiogenesis“. J Theor Biol. 2005 May 7;234(1):87-97.



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