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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 25.10.2004 06:00

Neues Kompetenzzentrum Uni/ETH: „Geschichte des Wissens“
Cyber-Soldaten

Im Rahmen einer Vortragsreihe des in Gründung begriffenen Zentrums „Geschichte des Wissens“ sprach der deutsche Soziologe Stefan Kaufmann über Formen der High-Tech-Kriegführung, wie sie von der US-Army derzeit unter Hochdruck vorangetrieben wird. Diese nährt die Illusion eines „neuen“, dank totaler Vernetztheit jeder Lage gewachsenen „Kriegers“.

Norbert Staub

Sie heissen „Blitzkrieg“, „Desert Strom“ oder „Battlefield 1942“. Kriegerische PC- und Videospiele gehören zu den Bestsellern der Spiele-Industrie. Das Motto lautet: je Wirklichkeits-näher, desto begehrter. Das führt mitunter auch zu Imageproblemen. So liess sich der Elektronikriese Sony erst nach öffentlichen Protesten davon abhalten, noch während des Irak-Kriegs die Namensrechte für ein Spiel namens „Shock and Awe“ zu reservieren. Damit (deutsch etwa: „Schock und Lähmung“) versah die US-Armee ihre Taktik, Saddam Hussein mit massiven Bombenangriffen in die Niederlage zu zwingen.

Vernetzt gegen diffuse Bedrohung

Längst aber findet auch die umgekehrte Annäherung statt, von der Realität hin zur Cyberwelt. Dies verdeutlichte der Soziologe Stefan Kaufmann vergangenen Donnerstag in seinem Vortrag über "Kriegskonzepte der Informationsgesellschaft" anlässlich des Kolloquiums „Geschichte und Philosophie des Wissens“ am neu entstehenden Zentrum für die Geschichte des Wissens (s. Kasten). So plane die US-Armee, den künftigen Soldaten (informations-)technologisch so weit aufzurüsten, dass er in Echtzeit und überall mit der nötigen Information für seinen Einsatz versorgt wird (1). Wie Kaufmann ausführte, sprechen Militärs der Supermacht und die Ingenieure in deren Dienst inzwischen von einer „Revolution“ im Militärbereich. Deren zentrale Metapher laute „Network Centric Warfare“.

Die vernetzte Kriegführung akzentuiere sich zunächst im militärischen Handeln an sich: Sicherheitsexperten orten die gefährlichsten Konfliktpotentiale nicht erst seit dem 11. September 2001 in zunehmend diffusen, abseits des staatlichen Gewaltmonopols wirkenden und höchst effizient kommunizierenden Gruppierungen. Die Aktionen von Guerilla- und Terror-Gruppen können laut den Verfechtern der neuen Doktrin nur netzwerkartig gekontert werden. So sei das „Schwärmen“ – die ad-hoc-Massierung kleiner Zellen für einen Angriff und die anschliessende Auflösung der Gruppe – eine Taktik, die sich auch staatliche Verbände aneignen müssten. Eine (harmlosere) Variante seien etwa konzertierte elektronische Attacken von NGOs auf die Server missliebiger Ministerien.


Wissen – von der Entstehung bis zum Verfall

(nst) Derzeit entsteht an der Rämistrasse 36 in Zürich (ETH Zentrum, Gebäude RAC) ein Kompetenzzentrum "Geschichte des Wissens". Die Initiative kam von den ETH-Professoren für Technikgeschichte (David Gugerli), Wissenschaftsforschung (Michael Hagner) und Philosophie (Michael Hampe) sowie von Philipp Sarasin und Jakob Tanner, Professoren für Geschichte an der Uni Zürich. Das gemeinsam von Universität und ETH geplante Zentrum ist ein Netzwerk mit dem Zweck der Förderung und Koordination von kulturwissenschaftlicher Forschung und Lehre über Wissenssysteme. Es fokussiert Entstehung und Verfall insbesondere von wissenschaftlichem Wissen und seine Relevanz für die Lebenswelt. Die ETH hat eine Anschubfinanzierung für drei Jahre bereit gestellt. Nächstes Referat: Sabine Maasen (Uni Basel): "Ratgeber, Wellnesstempel, Kosmetische Chrirugie: Gouvernementalisierung der Schönheit." Weitere Informationen bei der Koordinatorin des Zentrums, Barbara Orland (3).




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Analysiert die kulturellen Konsequenzen des kommenden Technologieschubs in der militärischen Rüstung: der Soziologe Stefan Kaufmann, derzeit Akademischer Gast der ETH-Technikgeschichte. gross

Für die militärische Organisation heisse „Network Centric Warfare“: Flache Hierarchie, informelle (Befehls-)Struktur und hervorragende Kommunikation – womit sakrosankten militärischen Normen wie dem starren Befehlsschema oder der fixen Verbandsstruktur plötzlich der Boden entzogen wäre.

Einst angefeindet, heute als überlegen taxiert

Was also aus staatlich-militärischer Sicht einst dem Generalverdacht des Subversiven unterlag, wird auf den Kopf gestellt und erhält nun das Label „taktisch überlegen“. Kern all dessen ist ein mächtiges zentrales „Gehirn“, wie Kaufmann ausführte. Es speichert sämtliche relevanten Daten zur Situation, bereitet diese individuell und bedarfsgerecht auf und verteilt diese blitzschnell an jede involvierte Person.

Aufs Individuum übertragen schliesslich heisst das: Der Soldat wird, wie Kaufmann es ausdrückte: „rekonfiguriert“ zur Schnittstelle zwischen Netz und Aussenwelt – zum Beispiel durch eine ins Gewehr integrierte Videokamera. Und sein Blick auf das Ziel wird technologisch präzisiert, indem etwa detaillierte Information direkt auf sein Helm-Display eingespielt wird. Im so genannten „Land Warrior“-Programm der US-Armee (übrigens ebenfalls der Name eines „Ego-Shooter“-Spiels) ist diese futuristische Vision vom „elektronischen“ Soldaten schon zu einem guten Teil verwirklicht.

High-Tech-Heroen

Aufschlussreich war Kaufmanns soziologische Analyse dieser Entwicklung. Die US-Propaganda für den Netzwerkkrieg kombiniere den strategisch-technologischen Wandel mit einem archaischen Gemeinschaftsdiskurs (2). So würden in offiziellen Reden und Dokumenten die einfachen Soldaten konsequent zu einer „Bruderschaft“ von heldenhaften High-Tech-„Kriegern“ aufgeladen. Auch darin gleiche sich die offizielle Tonlage der Videogame-Kultur an.

In der ans Referat anschliessenden Diskussion wurde in „Network Centric Warfare“ viel „Selbstversicherungs-Fiction“ erblickt und angeregt, diese noch stärker zu durchleuchten. Auch inhaltlich sei sicher noch manches Wunschdenken. Bezweifelt wurde insbesondere die Konsequenz, dass durch optimale Information die militärischen Befehlsstrukturen wesentlich flacher oder gar beseitigt würden. Kaufmann hielt denn auch fest, dass sein Fokus das Programmatische sei, welches sich aber – siehe "Land Warrior“ – bereits in Projekten niederschlage. Im übrigen sei der Irak-Krieg bereits Versuchsfeld für die neuen Entwicklungen gewesen. Es habe sich zum Beispiel gezeigt, dass der Aufbau mobiler Informationsnetze nicht mit dem Tempo der vorstossenden Invasionstruppen Schritt halten konnte.


Fussnoten:
(1) Dies etwa im Rahmen eines aufwendigen Entwicklungsprogramms des Verteidigungsministeriums mit dem sprechenden Namen „Land Warrior“. Mehr dazu unter: www.fas.org/man/dod-101/sys/land/land-warrior.htm
(2) Kaufmann machte diesbezüglich auf den so berüchtigten wie hellsichtigen deutschen Schriftsteller Ernst Jünger aufmerksam. Jünger hat einen vergleichbaren Diskurs in seinen Kriegsmemoiren „In Stahlgewittern“ (1920) ins Kultische getrieben und diesen in den dreissiger Jahren („Der Arbeiter“) zu einer technologisch geprägten Gesellschaftsvision entwickelt. Diese weist verblüffende Parallelen zum Konzept „Land Warrior“ auf.
(3) Website von Barbara Orland: www.tg.ethz.ch/forschung/mitarbeiter/BarbaraOrland.htm



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