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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 16.06.2004 06:00

Wie sieht die Schweizer Energiezukunft aus? – ETH Life im Gespräch mit Wolfgang Kröger
„Kernkraft ist eine Option, die man diskutieren muss“

Trotz Winterflaute haben die Schweizer im vergangenen Jahr so viel Strom verbraucht wie nie zuvor. Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, dass der Stromdurst abnehmen wird. Das wirft Fragen auf. ETH-Life im Gespräch mit Wolfgang Kröger, ETH-Professor für Sicherheitstechnik und ehem. Leiter des Forschungsbereiches „Nukleare Energie/Sicherheit“ am Paul Scherrer-Institut (1).

Interview: Michael Breu

In den nächsten 17 Jahren werden im Minimum drei der bestehenden fünf Kernkraftanlagen vom Netz genommen. Das sieht das neue Kernenergiegesetz vor. Das Stromangebot reduziert sich dann um rund 16 Prozent. Wie geht es weiter?

Wolfgang Kröger: Die Schweiz muss sich überlegen, wie sie die Stromversorgung sicherstellen will. Es gibt einige Fragen, die man beantworten muss. Allerdings drückt man sich davor…

Was sind die brennenden Fragen?

Kröger: Eine Frage ist: Wollen wir den Strom, den wir in der Schweiz verbrauchen, innerhalb der Landesgrenzen produzieren. Das ist heute möglich mit Wasser- und Kernkraft. Andere Energieträger spielen mengenmässig keine grosse Rolle. Das heisst: Wir müssten mit diesen Technologien weitermachen.

Eine realistische Alternative sind gasbefeuerte Kraftwerke. Diese werfen neue Fragen auf: Wollen wir unsere weitgehend CO2-freie Energieversorgung mit CO2-Emissionen behaften? Und wollen wir uns – neben dem Öl im Verkehrs- und Wärmesektor – auch von Gas abhängig machen?

Eine andere Möglichkeit wäre, Strom aus dem Ausland zu kaufen. Wenn man davon ausgeht, dass Frankreich bei seiner Politik der nuklearen Stromerzeugung bleibt und die Schweiz unideologisch Strom aus dem europäischen Netz bezieht, dann wird ein grosser Teil weiterhin nuklear sein. Will man dies?

Der abtretende Atel-Chef Alessandro Sala forderte kürzlich den Bau eines neuen Kernkraftwerks. Brauchen wir ein neues KKW?

Kröger: Die Kernkraft ist eine Option, die man diskutieren muss. Aber aus dem Kopf, nicht aus dem Bauch. Und dringend: Für die Realisierung eines neuen Kernkraftwerks müssen wir mit zehn bis zwölf Jahren rechnen; fünf bis sieben Jahre für die Planung und Genehmigung, fünf Jahre für den Bau.

Die Rahmenbewilligung eines neuen KKW untersteht gemäss Kernenergiegesetz dem fakultativen Referendum. Zwar wurden die Moratoriums- und die Strom-ohne-Atom-Initiative vor einem Jahr vom Schweizervolk abgelehnt, trotzdem: So wie sich die aktuelle politische Situation präsentiert, wäre eher mit einem Nein an der Urne zu rechnen. Wie beurteilen Sie die Chance?

Kröger: Das ist nicht einfach zu beantworten. Das Volk hat bei beiden Vorlagen über eine allfällige Stilllegung von wirtschaftlich produktiv arbeitenden Anlagen entscheiden müssen, letztlich also über die Vernichtung von Kapital. Es ging nicht um den Neubau einer Anlage.

Ich möchte nochmals darauf hinweisen: Es braucht in der Gesellschaft einen tief greifenden Diskurs über die Art der zukünftigen Stromerzeugung. Wir müssen uns klar werden, wieviel Strom wir brauchen wollen und wie wir ihn erzeugen. Letztlich ist es ja der Bürger, der den Stromschalter betätigt.

Das „Wall Street Journal“ berichtete kürzlich: „Kein Bankier, der bei Verstand ist, würde heute in Amerika ein neues Kernkraftwerk finanzieren.“ Wer soll es bezahlen?

Kröger: Ein Neubau wäre eine Investition von mehreren Milliarden Franken. Die Anlage könnte nur ein Konsortium der heutigen Stromunternehmen bauen.

Und wo würde das Konsortium die Anlage hinstellen?

Kröger: Ich gehe davon aus, dass eine neue Anlage an einem der bestehenden Standorte geplant und errichtet würde. Die Standorte liegen so, dass Kühlwasser zur Verfügung steht, dass sie sich ins Netz einbinden lassen; die ganze Infrastruktur ist da. Auch wird die Kerntechnologie in diesen Gemeinden besser akzeptiert als anderswo.


Kernkraftwerk Gösgen, im vergangenen Jahr zu 95 Prozent ausgelastet um den gestiegenen Stromhunger zu stillen. Die Schweizer Kernkraftanlagen produzieren rund 40 Prozent des Stroms - Tendenz steigend. Bild: atomenergie.ch gross

Angenommen, wir planten ein neues KKW für das Jahr 2025, welche Art von Reaktor wird dies sein?

Kröger: Wahrscheinlich der Europäische Druckwasserreaktor (EPR). Der EPR setzt vom Prinzip her an beim Typ „Beznau“. Er ist ein wassergekühlter Reaktor, der von Framatom und Siemens entwickelt wurde. Der EPR ist übrigens die Anlage, die in Finnland realisiert wird und die Frankreich in Serie bauen will.

Ein anderer Anlagentyp ist der gasgekühlte Hochtemperaturreaktor. Diese Technologie ist aufgrund ihrer Sicherheitseigenschaften und Einsatzmöglichkeiten sehr viel versprechend. Ein Reaktor dieses Typs wäre meiner Meinung nach in zehn bis fünfzehn Jahren realisierbar.

Wenn man weiter in die Zukunft schaut, werden die Reaktoren der „Generation IV“ interessant. Sie wären ein möglicher Ersatz für die Anlagen in Gösgen und Leibstadt.

Wie sicher sind heutige Kernanlagen?

Kröger: Die neuen Kernanlagen sind vom Standpunkt des Risikos, der Sicherheit und des Schutzes der Bevölkerung eindeutig sicherer als die heutigen Anlagen. Zwar besteht in der Öffentlichkeit die Meinung, die Kerntechnologie sei tot, da werde nichts mehr entwickelt, das sei alles alte Technik. Dem ist aber nicht so. In den USA wird beispielsweise die nukleare Wasserstofferzeugung massiv vorangetrieben.

Wie schätzen Sie die Kernkraft bezüglich Nachhaltigkeit ein?

Kröger: Wenn man Kohlendioxid oder ökonomische Aspekte als Indikatoren nimmt, dann ist die Kenenergie eine sehr gute Option. Auch wenn man den Lebenszyklusansatz wählt, kommt die Kernenergie gut weg (2).

Ein Thema rund um die Kernenergie ist der anfallende Atommüll. Gibt es eine Möglichkeit, die Müllmenge zu reduzieren?

Kröger: Die Kernenergie erzeugt Abfall in sehr geringen Mengen. Das Problem ist: Der Abfall muss über unvorstellbare Zeiträume aus der Biosphäre herausgehalten werde, damit wir nicht künftige Generationen belasten. Indem man die langlebigen Spaltprodukte durch Transmutation in kurzlebige umwandelt, kann man diese Lagerzeiten um den Faktor hundert auf historische Zeiträume reduzieren (3). Das ist technologisch möglich. Das Problem, dass wir den Abfall über längere Zeiten hüten und Endlager realisieren müssen, bleibt aber bestehen. Ein Beitrag zur Reduzierung von Mengen und Lagerzeiten, besteht darin, dass man das Plutonium abtrennt, aufbereitet und als MOX-Brennstoff wieder einsetzt.

Wie wird die Energiegewinnung aus Kernenergie von anderen europäischen Ländern beurteilt?

Kröger: In Finnland hat man nach einer sehr sorgfältigen Evaluation die Notwendigkeit eines neuen Kraftwerks beurteilt und sich für den Bau einer neuen Anlage entschieden. Auch in Schweden gibt es Hinweise, dass man den Ausstiegsbeschluss überdenken will. Und Frankreich wird den EPR-Typ weiterentwickeln und wahrscheinlich neue Anlagen bauen; der politische Entscheid steht an (4).


Literaturhinweise:
Mit der Geschichte der Kernenergie befasste sich der Beitrag „Der Traum vom eigenen Reaktor“ in ETH Life vom 17. Mai 2004: www.ethlife.ethz.ch/articles/atom_buch.html. Ebenfalls dem Thema Energiezukunft ist der Artikel „Hat die Atomenergie eine Zukunft“ gewidmet, erschienen in ETH Life vom 26. November 2002: www.ethlife.ethz.ch/articles/RTG_Energie.html.

Fussnoten:
(1) Labor für Sicherheitsanalyse der ETH Zürich: www.lsa.ethz.ch/
(2) Internationale Länderkommission Kerntechnik: „ILK-Stellungnahme zur Bewertung der Nachhaltigkeit der Kernenergie und anderer Technologien zur Stromerzeugung“, ILK-16 D: http://www.ilk-online.org
(3) Internationale Länderkommission Kerntechnik: „ILK-Stellungnahme zur Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente“, ILK-07 D: http://www.ilk-online.org
(4) Hintergrundinformationen zur Kernenergie, Schweizerische Vereinigung für Atomenergie: http://www.atomenergie.ch



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