ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Science Life
English Version English Version
Print-Version Drucken
Publiziert: 22.08.2005 06:00

Abschluss der zweiten Ittingen Summer School
Wissenschaft als Eingriff

„Shaping the future“: Wie Wissenschaft unser Leben prägt, und wie dieses umgekehrt das Tun und Lassen der Wissenschaft reguliert – das war das Generalthema der zweiten, vom 13. bis zum 20. August in Ittingen durchgeführten Summer School der Universitäten Konstanz und Tel Aviv, des Collegium Helveticum und erstmals der Pädagogischen Hochschule Kreuzlingen. An der Schlussveranstaltung skizzierte Forschungsminister Pascal Couchepin seine Sicht des Verhältnisses Forschung - Politik.

Norbert Staub

„Wir wollen junge Wissenschaftler für die gesellschaftlichen und politischen Implikationen ihres Tuns sensibilisieren“, umriss Daniel Strassberg von der Lion-Stiftung, welche die Woche initiiert hatte, den Sinn dieser Sommerschule unter dem Titel „Shaping the Future – Science as Intervention“. Vor gut 200 Gästen sagte Strassberg an der Abschlussfeier, es sei entscheidend, sich bewusst zu werden, inwieweit unser Alltag und unsere demokratische Willensbildung „imprägniert“ seien von wissenschaftlichem Denken. Solch untergründige Abhängigkeiten müssen nota bene nicht nur die in Ittingen versammelten 20 jungen Forschenden aus neun Ländern und verschiedensten Disziplinen beschäftigen, sondern sind natürlich auch von allgemeinem Interesse. So war es im 20. Jahrhundert der Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki, welcher der Forschung die Unschuld nahm und schlagartig erkennen liess, welch schreckliche Folgen in bestimmten Konstellationen so genannter Fortschritt zeitigen kann. Die nachfolgenden Generationen von Physikern kamen nicht umhin, fortan das Dilemmatische - die möglicherweise zerstörerischen Folgen - ihres gut gemeinten Tuns mit zu bedenken.

Folgenreiches Wissen

Zu ihnen zählt sich auch ETH-Präsident Olaf Kübler; und in seinem Referat nahm er diesen Faden auf. Die Chance zur Selbstreflexion habe ihm als jungem Forscher eher die Kultur als das engere Umfeld geboten. In Heinar Kipphardts Dokumentartheater „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ (1964) etwa seien in der Figur des „Vaters“ der Atombombe Forscherdrang und ethischer Zweifel in paradigmatischer Weise aufeinandergeprallt, was Stoff für zahlreiche Diskussionen bot. Die Philosophin Hannah Arendt, so Kübler, habe dazu einen der prägnantesten Kommentare geliefert: „Die Zeit des Homo Faber ist zu Ende“.

In der Tat würden durch die Wissenschaft, ob wissentlich oder nicht, immer Prozesse angestossen, und deren Reichweite und Gefahrenpotential gelte es verstärkt in der Folgenabschätzung von Forschungsaktivitäten zu bedenken. Ist gewährleistet, dass durch unser Erkenntnisinteresse das damit konfrontierte System im Gleichgewicht bleibt? Heute, so der ETH-Präsident, würden wohl die Life Sciences die Agenda des Disputs um Forschung und Verantwortung bestimmen. Als Beispiel dafür erwähnte er den von der ETH durchgeführten und unter anderen von Greenpeace bekämpften Freisetzungsversuch mit Gentechweizen.

Politische Prioritäten

Wie präsentiert sich das Verhältnis Wissenschaft – Gesellschaft aus der Sicht der Politik, und vor allem: wo setzt diese den Akzent? Auf die (wie er betonte, selbst verfassten) Ausführungen von Bundesrat Pascal Couchepin dazu durfte man gespannt sein. Er setzte an mit der Beobachtung, dass Versuche, einen Staat mittels einer einzigen Denkrichtung zu führen, immer gescheitert seien. Couchepin verwies auf das antike Beispiel Platon, der mit seinem Plan, seine Staatsidee umzusetzen, scheiterte. Im Lauf der Geschichte hätten sich uniforme – oder anders ausgedrückt: totalitäre –- Staatsorganisationen, seien sie religiös oder ideologisch motiviert, stets als Fehlschläge erwiesen. Diese Skepsis gegenüber hermetischen, allein seligmachenden Gedankengebäuden hat laut Couchepin nicht nur in der Politik, sondern gerade auch für die Wissenschaft selbst zu gelten.


weitermehr

Plädierte zum Abschluss der Summer School für eine gesellschaftlich bewusste und engagierte Wissenschaft: Bundesrat Pascal Couchepin, Vorsteher des Departements des Innern. gross

Ihr attestiert er, dass sie im Grundsatz immer humanen Zwecken und dem Gemeinwesen dient – welches wiederum nicht ohne Wissenschaft bestehen könnte. Ein hoher, in der Verfassung verankerter Grad an Freiheit widerspiegle ihre Bedeutung und das in sie gesetzte Vertrauen. Aber klar sei für ihn: Gerade weil Wissenschaft sich in- und nicht ausserhalb der Gesellschaft bewege, müssten ihre grossen Fragen in öffentlichen Debatten entschieden werden.

Zu diesem demokratischen Vorgehen gebe es, so Couchepin, zumal in der Schweiz keine Alternative. Das wiederum heisst: Gesellschaft und Politik müssten letztlich entscheiden, welche Forschung ihnen dienlich sei. Diese Aufgabe lässt sich laut dem Innenminister übrigens nicht an Ethikkommissionen delegieren, sondern muss im Endeffekt vom Souverän selbst übernommen werden.

Maschine prägt Menschenbild

Lässt sich die Sicht des Politikers mit den Resultaten der Summer School in Einklang bringen? Daniel Strassberg deutete zum Schluss an, dass die Teilnehmenden zu weniger optimistischen Schlüssen gekommen sind. Zuvor hatte er geschildert, an welchen konkreten Fragen die Wechselwirkungen von Wissenschaft und Alltag studiert worden sind. So berichtete der Berliner Neurologe Gabriel Curio von der Arbeit seiner Gruppe, die das menschliche Gehirn direkt an einen Computer anschliessen konnte, so dass allein durch die Kraft eines Gedankens ein Cursor, eine Armprothese oder ein Rollstuhl bewegt werden kann. Doch bleibt es nicht bei dieser segensreichen Implikation. Wenn sich der Arm eines Probanden auf dem Bildschirm schneller bewegt als sein wirklicher Arm, weil die Maschine den Gedanken schneller liest als der Muskel, hat das etwas Unheimliches. Denn in der Konsequenz stellt sich die Frage nach unserem Menschenbild, wenn Gedanken lesende Maschinen die Konzepte „freier Wille“ und „persönliche Verantwortung“ ad absurdum führen können.

Die Politik aushebeln?

Als weniger verstörend, aber als nicht weniger wirkungsvoll, wurde der Einfluss der Ökonomie auf unser Leben bewertet. Eine einzige Theorie, jene des freien Handels, habe eine so dominierende Stellung erlangt, aus welcher sie der Politik die Regeln vorgibt, nach denen der Handel zu organisieren sei, sagte Strassberg. Weitere Aufschlüsse über die Beziehung zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft versprach beim Fokus „Kommunikation und Wissenschaft“ der Vergleich zweier Hollywood-Filme. „Gorillas in the Mist“ zeigt die Kontaktaufnahme mit Berggorillas, „Contact“ jene mit Ausserirdischen. Der Sprachwissenschaftler Johannes Fehr vom Collegium und die Historikerin Gesine Krüger von der Uni Zürich hielten fest, dass beide Filme einen Wissenschaftsoptimismus spiegeln, der nicht nur die grossen Probleme der Menschheit lösen verspricht, sondern dafür auch eine universale Sprache zur Verfügung stellt. - Die Woche scheint gezeigt zu haben, dass eine solche Aushebelung des Politischen ein trügerisches Unterfangen wäre.


Literaturhinweise:
Website der zweiten Ittingen Summer School: www.uni-konstanz.de/zwn/summerschool-ittingen/
„ETH Life“-Bericht über die Ittingen Summer School im Jahr 2004 zum Thema „List in der Wissenschaft“ vom 8.9.2004: www.ethlife.ethz.ch/articles/campuslife/ittingenss04.html



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!