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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 05.07.2004 06:00

Zum 100. Geburtstag von Ernst Mayr
Jahrhundert-Biologe

Am 5. Juli wird Ernst Mayr 100 Jahre alt. Der Biologe war einer der Architekten der synthetischen Theorie der Evolution und lieferte entscheidende Beiträge zur Artentstehung und –definition. Eine Würdigung zusammen mit ETH-Professor Paul Schmid-Hempel.

Von Christoph Meier

Kann man von der Lehre des Lebens, der Biologie, etwas für das lange Leben lernen? Betrachtet man Ernst Mayr, ist man versucht, die Frage mit ja zu beantworten. Denn der Biologe wird am 5. Juli 100 Jahre alt. Doch abgesehen vom hohen Alter bieten Mayrs Leben und Werk viele Möglichkeiten, etwas über die belebte Welt zu erfahren. Diese Ansicht teilt auch Paul Schmid-Hempel (1). Der ETH-Professor für Experimentelle Ökologie erwähnt, dass Mayr zurecht darauf hingewiesen habe, wie wichtig es auch heute noch sei, Lebewesen in ihrem natürlichen Umfeld zu beobachten.

Gucken und päng

Der in Kempten im Allgäu geborene Ernst Mayr machte schon früh mit einer Naturbeobachtung auf sich aufmerksam. Kurz nach seinem Abitur entdeckte er 1923 in der Nähe von Dresden eine Kolbenentenart, die seit Jahrzehnten nicht mehr in Mitteleuropa gesichtet worden war. Daraus ergab sich der Kontakt mit dem Ornithologen Erwin Stresemann, der sein Mentor wurde. Bereits 1926 promovierte Mayr am Zoologischen Museum in Berlin, wobei er zuerst noch das Medizin-Studium bis zum Physikum absolviert hatte. 1928 begab sich der als Assistent immer noch in Berlin tätige Biologe auf eine Sammelexkursion nach Neuguinea und auf die Solomon-Inseln. „Gucken und päng. Ich habe über 4000 Vogelhäute zurückgeschickt“, schilderte Mayr gegenüber einem Journalisten seine damalige Exkursionsarbeit.

Architekt der synthetischen Evolutionstheorie

Die dabei gewonnenen Kenntnisse halfen dem Biologen bei seinen weiteren theoretischen Überlegungen. Wichtig dabei ist für Paul Schmid-Hempel die Definition der Art als einer Gruppe von Populationen, die sich miteinander kreuzen können und von anderen Gruppen reproduktiv isoliert sind, auch wenn sich diese Definition nicht auf alle Lebewesen anwenden lässt. Zudem habe Mayr auch erstmals aufgezeigt, wie neue Arten entstehen können, beispielsweise durch geographische Isolation. Die vielleicht wichtigste Arbeit von Mayr sei aber sein Beitrag zur „Synthetischen Theorie der Evolution“ gewesen. Diese verband Darwins Evolutionstheorie mit der Populationsgenetik. Der Biologe stellte dar, wie ungerichtete, zufällige Rekombinationen und Mutationen zu vielen Varianten führen, die danach aufgrund ihrer Tauglichkeit im natürlichen Umfeld einem Selektionsprozess unterworfen werden. Damit entdeckte die Biologie die einheitlichen Gesetze, die dem Geschehen in Populationen, in der Genetik und für die Beschreibung und Einteilung von Arten in der Systematik zugrunde liegen

Diese bedeutenden Arbeiten verfasste Ernst Mayr in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, als er als Kustos am American Museum of Natural History in New York arbeitete. 1953 ging der Wissenschaftler an die Harvard University als Direktor des Museums of Comparative Zoology (2). An dieser Forschungsstätte, der Mayr auch nach seiner Emeritierung 1975 treu blieb, traf er auch auf andere Grössen der Biologie, sei es Edward Wilson oder Richard Lewontin. Hier verfasste er auch die meisten seiner mehr als ein Dutzend Bücher. Als letztes erschien 2001 „What is evolution“ (3).


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Als ein "gewaltiges Kaliber" schätzt Paul Schmid-Hempel (rechts) den 100 Jahre alten Ernst Mayr ein.

Grundlegende Fragen gestellt

In seinen Büchern befasst sich Ernst Mayr immer wieder mit historischen und philosophischen Fragen, die aus der Auseinandersetzung mit der Biologie entstehen. „Die Feststellung von Mayr, dass es in der Biologie keine Prototypen existieren, sondern nur Individuen, macht biologisch eminent Sinn“, findet Paul Schmid-Hempel. Denn erst durch die Vielfalt der realen Individuen sei überhaupt eine Entwicklung beziehungsweise Evolution möglich. Für den ETH-Forscher beschreibt Mayr damit einen wichtigen Unterschied der Biologie zur Physik, in der beispielsweise die einzelnen Elektronen nicht individualisiert werden. Eine weitere Meinung, die Schmid-Hempel mit dem Evolutionsforscher teilt, ist, dass unser Denken auch durch die Biologie bestimmt wird. „Natürlich kann man anhand der Biologie nicht erklären, wie einzelne Ideen wie der Kreationismus entstehen“, führt der ETH-Biologe aus, doch lege die Evolution die Strukturen unseres Denkens fest.

Einmalige Karriere

Gibt es auch Auffassungen, die Paul Schmid-Hempel mit Ernst Mayr nicht teilt? „Mayr hat gewisse wichtige Entwicklungen der Neuzeit nicht mitgemacht“, antwortet Schmid-Hempel. So habe er nie richtig den Zugang zu den Ideen von Bill Hamilton oder zu Motoo Kimuras neutraler Evolution gefunden. Er sei auch gegenüber der quantitativen Populationsgenetik oder Molekularbiologie immer sehr skeptisch gewesen. „Das hängt vielleicht aber damit zusammen, dass Mayr befürchtete, dass zu häufig nur einfach Gene gezählt oder analysiert werden ohne ins Feld zu gehen oder nach dem adaptiven Wert der Gene zu fragen.“ Einige pointierte Standpunkte könnten laut Schmid-Hempel auch daher rühren, dass Mayr sich im Umfeld der vielen „Primadonnen“ in Harvard profilieren wollte, vor allem wenn er sich mit deren ideologischem Standpunkt schwer tat.

Trotz einiger Differenzen in der Sache stellt die Persönlichkeit Mayrs für Schmid-Hempel aber ein „gewaltiges Kaliber“ mit einem spannenden Leben dar. Wäre eine solche Laufbahn nochmals denkbar? „Kaum“, meint der ETH-Wissenschaftler. Die heutzutage bedenkliche Entwicklung mit den vielen administrativen Verpflichtungen und dem starken ökonomischen Druck auf die Wissenschaftler erschwere vielen hellen und individualistischen Köpfen eine Hochschullaufbahn. „Ein Mann wie Mayr, der nach der Doktorarbeit in den Pazifik aufbricht, würde heute wahrscheinlich in kein Tenure-Track-Programm aufgenommen.“


Fussnoten:
(1) Experimental Ecology: www.eco.ethz.ch/index.html
(2) Vgl. die Ernst Mayr Library an der Harvard-Universität: http://library.mcz.harvard.edu/
(3) Ernst Mayr "Das ist Evolution" (Übers.: Sebastian Vogel) 320 Seiten - Bertelsmann, München, 2003, ISBN: 3570120139



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