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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 20.03.2006 06:00

Ultraschnell drehender Antrieb
ETH-Hilfe für Piccard?

ETH-Ingenieure haben mit einem neuen elektrischen Antriebssystem einen Meilenstein gesetzt: eine halbe Million Umdrehungen pro Minute. Das ist Weltrekord. Und vielleicht verhilft dieses System Bertrand Piccard und seinem Projekt "Solar Impulse" zu einer weiteren Weltumrundung.

Peter Rüegg

Das Sirren schmerzt in den Ohren. Durchdringt das ganze Labor des Instituts für Leistungselektronik. Auf dem Tisch steht ein Prüfstand, der ein Minimotörchen festhält. Auf Knopfdruck hat dessen Rotor soeben eine halbe Million Umdrehungen erreicht, ja sogar überschritten. „Der schneidende Ton stammt von der Beanspruchung der Kugellager“, sagt Christof Zwyssig, Doktorand am Institut für Leistungselektronik. Er hebt eine Holzschachtel aus dicken Brettern vom Boden auf und deckt damit den Prüfstand ab. Sollte das Motörchen auseinander fliegen, dann sause der Rotor mit 150 Metern pro Sekunde – beinahe halber Schallgeschwindigkeit – wie ein Geschoss durchs Labor.

Miniatur aus teurem Material

Das würde man dem Miniteil kaum zutrauen. Der Rotor ist kaum dicker und länger als ein Streichholz, der Stator halb so gross wie ein Daumen. Die Kügelchen des Rotor-Kugellagers sind so winzig, dass sie kaum mit Daumen und Zeigefinger zu greifen sind. Eine spezielle Kupferwicklung kleidet den Stator auf seiner Innenseite aus. Im Rotor sind Magnete eingelassen, die aus Samarium und Cobalt bestehen. Teure Materialien mit dem Vorteil, dass die Magnete stärker sind als solche aus Ferrit. Auch der Mantel des Rotors, aus Titan gefertigt, muss der extremen Belastung widerstehen können. Gesteuert wird das System von einer digitalen Hochleistungselektronik, welche Studierende gebaut haben. Die Steuerung hätte in einer Zigarettenschachtel Platz.

Mit diesem neuen Antriebssystem haben die ETH-Elektroingenieure Ende Februar für Furore gesorgt. Das Mini-Antriebssystem, das mit 500'000 Umdrehungen pro Minute laufen kann und damit bisherige industriell eingesetzte Systeme in den Schatten stellt, ist Weltrekord (1).

Von portabler Stromquelle zum Zahnarzt-Bohrer

Das Projekt sei mit den Maschinenbauern gestartet worden, sagt Zwyssig. Als erste Anwendung ist ein Ministromgenerator als portable Energieversorgung vorgesehen. Also die klassische Umwandlung von chemischer Energie in elektrische. Eine Gasturbine, ebenfalls miniaturisiert, treibt die elektrische Maschine an, und das System liefert mit seiner hohen Umdrehungszahl rund 100 Watt Leistung über 10 Stunden. Dieses System kommt als Stromquelle für mobile Anwendungen zum Einsatz. „Uns schwebte eine Konkurrenz zu herkömmlichen Batterien vor“, sagt Zwyssig. Die Energieausbeute bezogen auf das Gewicht oder das Volumen der Anlage ist bis zehnmal höher als bei herkömmlichen Batterien.

Bei näherer Betrachtung haben sich den ETH-Ingenieuren jedoch weitere Anwendungen erschlossen. So kann die Werkstoff-Bearbeitung Motörchen brauchen, die mit solch hohen Umdrehungszahlen Bohrer antreiben. Die Bohrer werden immer kleiner und feiner. Sie liegen im Mikrometer-Bereich, müssen daher aber viel schneller drehen können, um mit gleich bleibender Produktivität zum Ziel zu kommen.

Auch in der Zahnmedizin sind solche ultrahoch drehenden Werkzeuge gefragt. Kein Wunder, erinnert der ätzende Ton des Antriebs an das, was man als Patient auf dem Zahnarztstuhl zu hören bekommt. Dort werden Bohrer eingesetzt, die mit bis zu 200'000 Umdrehungen pro Minute rotieren, durch Luftspindeln angetriebene schaffen sogar 400'000 Umdrehungen.

Einsatz in 12'000 Metern Höhe?

Interesse am Antriebssystem der ETH haben jedoch nicht nur Alltags-Anwender, sondern auch Ballonfahrer Bertrand Piccard. 2009 will er für das Solar Impulse Team mit einem Solarflugzeug die Erde umrunden (2).


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Glückliche Hand gehabt: Elektroingenieur Christof Zwyssig mit den Bestandteilen des neuen ultraschnell drehenden Antriebssystems. Links die Steuerungselektronik, rechts der Rotor und der daumendicke Stator. gross

Für die Konstruktion und Einrichtung des Cockpits - das Flugzeug soll auf 12'000 Meter aufsteigen können - werden die modernsten Technologien beansprucht, unter anderem für den Druckausgleich in der Kabine. Dabei könnte auch das ultrahoch drehende Antriebssystem zum Einsatz kommen.

Mittlweile ist es im Labor wieder ruhig geworden. Der Antrieb steht still. Den Lärm müssen die Wissenschaftler noch in den Griff bekommen. „Möglich wäre dies mit einem Magnet- oder Luftlager statt mit Kugellagern“, sagt der Doktorand. Will der junge Ingenieur also in den Markt mit Zahnarzt-Instrumenten vordringen, muss er erst das Lärmproblem in den Griff kriegen.

Weitere Rekordmarke ins Auge gefasst

Eineinhalb Jahre seiner Doktorarbeit sind vorbei, in denen Christof Zwyssig ausschliesslich an diesem ultraschnelldrehenden Antrieb gearbeitet hat. Das ist nur ein Zwischenschritt. Das nächste Ziel hat er bereits vor Augen: ein Antriebssystem mit einer Million Umdrehungen pro Minute. „Das ist die nächste Grenze“, so der Elektroingenieur.

Dazu kann er jedoch nicht einfach beim bestehenden Antriebssystem den Regler hochfahren. Der Rotor muss noch stabiler werden, um den extremen Fliehkräften, die bei solchen Drehzahlen auftreten, zu widerstehen. Es brauche deshalb eine neue Rotorkonstruktion. Das Material müsse ebenfalls noch einmal geprüft werden. Ein Schlüsselelement für diese neuerliche Drehzahlsteigerung stellt die Lagerung dar. Hier sollen neue Konzepte wie Magnet- oder Luftlager helfen, welche die ETH-Forscher zurzeit untersuchen. " Das Ganze wird eine neue Maschine geben", weiss Zwyssig schon jetzt. Er rechnet mit einer Entwicklungszeit von rund zwei Jahren. Dann wird sein Doktorat zu Ende sein – und der Transfer der Technologie (und des dazu gehörigen Kopfes) am Anfang stehen.


Fussnoten:
(1) vgl. ETH Life-Artikel "Kraftwerk in Zündholzschachtel": www.ethlife.ethz.ch/articles/news/neuerantrieb.html
(2) Mehr Info zum Projekt Solar Impulse: www.solar-impulse.com



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