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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 24.07.2006 06:00

ETH-Ökologen erforschen Rotationsbrachen
Rettungsinseln im Ried

ETH-Forscher untersuchen am Greifensee, wie die letzten grossflächigen Riedwiesen der Schweiz gemanagt werden müssen, damit ihre grosse Biodiversität erhalten bleibt. Ihre Zauberformel lautet Rotationsbrachen.

Peter Rüegg

Die seltene Sumpfschrecke zirpt. Eine Zebraspinne lauert in ihrem Netz, Käfer brummen und Schmetterlinge flattern über die Riedwiese nahe bei der Badeanstalt Egg am Greifensee. Die grosse Arten- und Individuenfülle bleibt selbst einem Laien nicht verborgen. Selbstverständlich ist sie jedoch nicht. Vegetationsstreifen mitten im Ried, die im Herbst zuvor nicht gemäht wurden, tragen massgeblich dazu bei, dass in dem einige Hektaren grossen einheitlichen Streueried die 1'500 Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Mikroorganismenarten erhalten bleiben.

Brache wandert

Ried-Rotationsbrachen heissen diese Streifen in der Fachsprache: Sie sind eine neue Methode, mit welcher der Naturschutz die Artenvielfalt von Riedwiesen erhalten will. Die Rotationsbrache ist ein 10 mal 50 Meter grosser Flecken Ried, den die Bewirtschafter ein Jahr lang stehen lassen und im darauf folgenden Herbst wieder schneiden; seitlich daneben bleibt aber ein neuer Streifen stehen. So wandert der Brachestreifen über eine bestimmte Riedfläche hinweg und kehrt nach drei bis fünf Jahren an den Ursprung zurück. Ziel ist es, Insekten, Spinnen und andere Kleintiere zu fördern, die bei einer grossflächigen Mahd um Refugien und Nahrung gebracht werden.

„Früher“, sagt ETH-Professor Andreas Gigon vom Institut für Integrative Biologie, Initiant der Rotationsbrachen-Versuche am Greifensee, im Reusstal und am Oberen Zürichsee „haben Bauern die Streue gemäht, meist auf kleinen Parzellen und selten zum gleichen Zeitpunkt.“ Manchmal sei die Streue auch stehen geblieben. Das habe ein Mosaik verschiedener Vegetationsstadien ergeben, von dem viele verschiedene Insekten und andere Kleintiere profitiert hätten. Doch die Maschinen der Bewirtschafter wurden - wie die Parzellen auch - immer grösser. Heute mähen Bauern die meisten Riedwiesen meist kurz nach dem 1. September, dem Stichtag, den die Direktzahlungsverordnung des Bundes setzt, grossflächig ab. Mit dem Schnittgut, der Streue für den Stall, werden auch Puppen, Kokons, Larven und Adulttiere der Arthropoden abtransportiert - und damit wird, trotz gut gemeinter Naturschutzarbeit, die Artenvielfalt vermindert.

Refugium für Spezialisten

Bereits 1988 brachte der ehemalige ETH-Professor Frank Klötzli die Idee auf, mit Brachestreifen die Artenvielfalt in Riedwiesen zu fördern. Verschiedene Studien zeigten, dass dies möglich ist. Auf Initiative von Andreas Gigon und in Zusammenarbeit mit der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon untersuchten in den letzten vier Jahren mehrere Diplomanden und eine Doktorandin experimentell die Wirkung solcher Rotationsbrachen in neun Riedern (1), (2). Mit verschiedenen Fangmethoden erfassten sie in zwei Jahren über 120’000 Insekten und Spinnen aus 15 Ordnungen. Die Vegetation wurde in 108 Dauerquadraten mehrfach quantitativ aufgenommen und für 14 Pflanzenarten erfolgten Detailuntersuchungen.


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An zwei Informationsveranstaltungen Anfang Juli stellte der ETH-Professor für Pflanzenökologie, Andreas Gigon, den Landwirten und der Bevölkerung am oberen Greifensee die Forschungsergebnisse vor. (Bild: M. Gigon) gross

Die Untersuchungen zeigen, dass in Brachstreifen signifikant mehr Individuen von Bienen, Wespen, Käfern und Wanzen überwintern als in benachbarten Mähflächen. Seltene, spezialisierte Arten finden zahlreicher Refugien als in den gemähten Teilen. Besonders den Spinnen haben es die Rettungsinseln im Ried angetan. Man findet von ihnen 20% mehr Spezialisten für Ried- und Extensivwiesen sowie 30% mehr Arten, die gemäss der Roten Liste Deutschlands gefährdet sind. Die Fläche eines Brachestreifens von fünf Aren- genügt, damit auch bei seltenen Arten die Individuenzahl grösser ist als jene der minimalen überlebensfähigen Population.

Rosetten-Pflanzen chancenlos

Allerdings haben diese Brachestreifen auch einen Nachteil. Die stehen gelassene Vegetation, nach dem Winter oft durch Schnee kompakt zusammengedrückt, lässt kaum mehr Licht auf den Boden. Das behindert kleinwüchsige Pflanzen, wie etwa das Sumpf-Herzblatt. Auch das Kleine Knabenkraut erträgt die Beschattung im Brachestreifen nicht. Nach nur einem Jahr ist kaum mehr eine Blüte anzutreffen. Die Blattrosette dieser Orchidee, die über dem Boden überwintert, erhält im Frühling zu wenig Licht und die Pflanze hat keine Möglichkeit, den über ihr liegenden Filz aus abgestorbenem Pflanzenmaterial zu durchbohren. Brachestreifen sind also nicht anzulegen, wo kleinwüchsige, konkurrenzschwache Pflanzenarten vorkommen.

Intakte Natur als Tourismusmagnet

Rotationsbrachen sind für den ETH-Professor dennoch ein gutes, aber kein allgemein gültiges Rezept, um in Riedflächen der Schweiz generell die Artenvielfalt zu erhalten oder zu fördern. „Feuchtgebiete muss man wie praktisch alle Naturschutzgebiete individuell beurteilen und pflegen – analog wie man auch Menschen im Falle einer Erkrankung individuell behandelt", sagt der Pflanzenökologe, dessen Wissen mittlerweile stark gefragt ist. „In Europa sind wir die Einzigen, die solche Prinzipien systematisch erforschen“, sagt Gigon. Forschung auf diesem Gebiet sei nötig, denn der Schutz von Natur und Landschaft sei in einem Tourismusland wie der Schweiz wichtig und nicht zuletzt auch ein gesetzlicher Auftrag. „Die Erhaltung der Biodiversität soll nicht bloss ein Lippenbekenntnis sein“, betont Gigon. Für die Kosten des mittlerweile um ein Jahr verlängerten Projekts sind die Kantone Aargau, Zürich und St. Gallen aufgekommen.


Fussnoten:
(1) Poster über tierökologische Fragestellung: www.stiftung-reusstal.ch/poster_fauna.pdf
(2) Poster zu pflanzenökologischen Fragen: www.stiftung-reusstal.ch/poster_veg.pdf



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