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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 02.12.2003 06:00

Aluminium-Nanocluster in Schieferabbaugebieten
Ein trügerisches Idyll

Von Christoph Meier

Die mit Schiefer bekleideten und gedeckten Häuser schimmern im ersten Morgenlicht silbrig schwarz. Die Luft ist kalt, als wir von Lehesten (1) losfahren. Zwischen den sanften Hügeln des Schiefergebirges in Thüringen lösen sich die Morgennebel auf. Wir fahren in einen Wald, parkieren den Wagen und laufen das Fahrsträsschen weiter bis zu einem Viadukt, das unterhalb des Zusammenflusses zweier kleiner Bächlein steht. Das Viadukt erinnert an die alte Schieferbahn, deren Betrieb 1951 als Folge der Grenzsicherungsmassnahmen der DDR endgültig eingestellt wurde. Sonnenstrahlen dringen durch das Blätterdach, lassen die alten Zeiten vergessen und bringen die Schönheit des grünen Bandes, wie man den Streifen relativ unberührter Natur entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze nennt, zur Geltung. Hier sollen noch die Orchidee „das rote Waldvögelein“, die vom Aussterben bedrohte Korallenflechte und der Kartäusertrüffel vorkommen. Auch Tiere haben ihren Platz: die Ringelnatter, die Libelle „Nordische Moosjungfer“ oder der Uhu finden hier eine Heimat.

An weissen Bächen

Versunken schauen wir vom Viadukt in den Fluss hinunter. Etwas stimmt nicht. Doch was? Der Grund für die Irritation tritt plötzlich wie bei einem Vexierbild hervor: das Wasser ist milchig statt durchsichtig oder bräunlich und das Flussbett ist mit einer weissen Schicht bedeckt. Gerhard Furrer ist beeindruckt. Zum ersten Mal sieht der ETH-Geochemiker hier im Schiefergebirge ein Experiment, dessen Grundlagen er im Labor analysiert hat. Zusammen mit seinem Forschungskollegen Kai-Uwe Ulrich vom Forschungszentrum Rossendorf in Dresden, der ihn auf die weissen Bäche aufmerksam machte und ihm Proben zur Analyse schickte, und einem Fernsehteam steht er nun an den leise gurgelnden Bächen. Ulrich erläutert, was geschieht. Der eine Bach sei sauer und enthalte gelöste Schwermetalle und Aluminium. Trifft er auf einen unbelasteten Bach ändert sich der Säuregehalt. In einem bestimmten pH-Fenster bilden sich Aluminium-13-Nanocluster. Das sind anorganische Komplexe, die dreizehn Aluminium-Atome enthalten und an deren Peripherie Schwermetalle binden können. Sie sind auch die Bausteine der weissen Flocken im Bach.

Steinbach an der Haide, ein typisches Dorf mit den mit Schiefer gedeckten Häusern. gross

Reger Austausch

Ortswechsel, einige Kilometer weiter weg: Wir sind an der Rehbachhalde. Über zwei Kilometer türmt sich hier der Schieferabraum sechzig Meter hoch auf. Die Gegend hat eine 500 Jahre alte Bergbautradition, wobei heute nur noch an einer Stelle Schiefer abgebaut wird. Die einzelnen hellen Birken an den steinigen Abhängen bilden einen reizvollen Kontrast zum dunklen Schiefer. Hier auf dem Kolonnenweg sind wir direkt am ehemaligen innerdeutschen Grenzzaun. Das Fernsehteam filmt die Wissenschaftler, wie sie durch die ehemalige Agentenschleuse, ein Tor im Zaun, treten und auf die in der Gegend lauernde Gefahr aufmerksam machen. Augenfällig wird diese, als wir am Fusse der Schieferhalde erneut auf einen weissen Bach treffen. Kai-Uwe Ulrich erklärt, dass der Sauerstoff den Schwefelkies im nassen Gestein zu Schwefelsäure oxidiert. Diese wiederum zersetzt das Gestein, giftige Schwermetall- und tödliche Aluminium-Ionen werden herausgelöst. Die entstehenden Aluminium-13-Komplexe verschliessen die Kiemen der Fische und löschen sämtliches tierisches und pflanzliches Leben im Bach aus.


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Idyllische Landschaft im Thüringer Schiefergebirge, doch das weisse Flüsschen Loquitz ist praktisch tot. gross

Sanierungsversuche verlanden

Tote Bäche sind aufgrund der langen Geschichte des Schieferabbaus im Gebiet nichts Neues. Bereits um die vorletzte Jahrhundertwende führten einige Gemeinden Prozesse gegen einen Besitzer der grossen Brüche, nachdem viele Fische verendet waren. Der Bau eines Kalkungsteiches war die Folge. Erst viel später, 1997, entstand in der Nähe von Lehesten eine moderne Pilotanlage zur Sanierung der sauren Bergbaugewässer. Im Testbericht aus dem Jahre 2000 wird festgehalten, dass mit der naturnahen Anlage das Wasser erfolgreich neutralisiert und die Schwermetalle sowie das Aluminium ausgefällt werden konnten. - Wir stehen am Rande des Reinigungsbeckens besagter Anlage. Wenig Wasser ist noch zu sehen, die Verlandung schreitet fort. Aus Geldmangel wird die Anlage nicht weiter betrieben. Die Behandlung eines Kubikmeters Wasser würde 75 Eurocents kosten, ist die Schätzung im Testbericht. Gerhard Furrer ist betrübt. Er gibt zu bedenken, dass die Aluminium-Nanocluster Schwermetalle über hunderte von Kilometern weit verschleppen können. Der Geochemiker erinnert daran, dass weltweit eine Fläche von rund 240’000 Quadratkilometern durch den Bergbau betroffen ist. In der kleinen Welt im Süden Thüringens scheint die Zeit stillzustehen.

Gefahr und Chance

Früh am nächsten Morgen fahren Gerhard Furrer und ich zurück Richtung Schweiz. Das Schiefergebirge mit seinen schmucken Dörfern ist wie ausgestorben. Die Abwanderung sei gross, die Ausgleichszahlungen gebe es nicht mehr, erinnere ich mich an Aussagen von Ulrich. Furrer sinniert über das Gesehene. Obwohl er bereits letztes Jahr zusammen mit Ulrich in einem Science-Paper die Situation wissenschaftlich verarbeitet hat, wühlt ihn die direkte Begegnung mit den mit Aluminium-Flocken beladenen Bächen auf (2)(3). Der Schiefer, in Thüringen auch als blaues Gold bezeichnet, ist in mancher Hinsicht schillernd. Das gilt auch für die Aluminium-Komplexe. Blickt Furrer in die Zukunft, so erkennt er in ihnen nicht nur verhängnisvolle Schlepper-Reagenzien für Schwermetalle in Fliessgewässern, sondern auch Bindemittel, die, richtig eingesetzt, bei der Sanierung von schadstoffbelasteten Böden gebraucht werden können. Thüringen liegt hinter uns. Es ist Tag.

Entnimmt an einem belasteten Bächlein eine Probe: der ETH Geochemiker Gerhard Furrer. gross


Literaturhinweise:
Die Sendung "Nano" brachte letzten Freitag einen Bericht zu den Aluminiumflocken: www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/nano/cstuecke/53333/index.html

Fussnoten:
(1) Information zu Lehesten: www.slatecity.de/Lehesten___Thuringer_Wald/hauptteil_lehesten___thuringer_wald.html
(2) Vgl. „ETH Life“-Bericht „Belastete Flocken“: www.ethlife.ethz.ch/articles/Nanopartikel.html
(3) Furrer et al. "The Origin of Aluminum Flocs in Polluted Streams", Science 297 (2002): www.sciencemag.org/cgi/content/abstract/297/5590/2245



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