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Rubrik: Tagesberichte |
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Ab heute begegnen sich in Zürich Science und Cité Wissenschaft für alle |
Die Forschung gehe "extra muros", formulierte die NZZ im Hinblick auf das nationale Festival Science et Cité, das heute Im Zürcher Hauptbahnhof von Bundesrätin Dreifuss, dem Zürcher Regierungsrat Ernst Buschor und Staatssekretär Charles Kleiber eröffnet wird. Ein echter Dialog: Nicht nur das Publikum, auch die Forschenden betreten dabei Neuland. Von Norbert Staub So richtig wachgerüttelt wurden die (Natur-) Wissenschaftler, als 1998 die Abstimmung über die Genschutz-Initiative breite Bevölkerungskreise in einen Zwiespalt zwischen Machbarem und Wünschbarem stürzte. Der Ausgang war alles andere als ein sicheres Rennen für die freie Forschung. Die Initiative wurde für diese zwar nicht zum Waterloo, aber zur Stunde der Wahrheit für die Forschungskommunikation. Es war gleichzeitig der Startschuss zur Schaffung der landesweit operierenden Stiftung "Science et Cité", deren Präsidium Staatssekretär Charles Kleiber übernahm. Eine neue Art der Aufklärung Mit Science et Cité wurde wird auch in der Schweiz realisiert, dass die Entwicklungssprünge innerhalb der Wissensproduktion in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Stadien erreicht haben, die weit jenseits des gesellschaftlich Kommunizier- und Erfassbaren liegen. Jenseits des - wenn man so will - "bürgerlichen" Verstandes.
Lange Zeit ging das gut und wurde politisch und ökonomisch sanktioniert. Aber mit Signalbegriffen wie Tschernobyl, Gentech, BSE, MKS und GVO verbinden heute breite Bevölkerungskreise Bedrohungen, die eine ausser Rand und Band geratene Forschung zu verantworten habe. Den Unversöhnlichen geht es um Fundamentalopposition gegen selbstreferentielles Forschen und den Nachweis, dass der Weg, den moderne Wissenschaft eingeschlagen hat, ein Holzweg sei. Die Versöhnlichen wollen den für beide Seiten heilsamen Schritt einer neuen Aufklärung wagen. Noch nie war der Bedarf dafür so gross: viele naturwissenschaftliche Berufe (nicht nur die Informatik) verzeichnen heute einen besorgniserregenden Nachwuchsmangel, der mindestens zum Teil auf ein Imageproblem zurückzuführen ist. Die Forschung ist vielleicht zu lange der Illusion aufgesessen, es mit der Fokussierung auf das Machbare automatisch allen, auch der gesellschaftlichen "Basis" recht zu machen. "Wissenschaftliche Kommunikation muss (...) weltanschaulichen Auseinandersetzungen und der Wissenschafts- und Technologieskepsis Rechnung tragen", schreibt die Stiftung Science et Cité zu ihrem Auftrag, und weiter: "Wissenschaft im Zeitalter ihrer Demokratisierung muss zudem eine Sprache sprechen, welche einen partnerschaftlichen Dialog mit der Bevölkerung ermöglicht." Wissenschaft kann nicht (mehr) Selbstzweck sein; sie wird sich jetzt ihrer Bringschuld gegenüber der sie tragenden - und finanzierenden - Gesellschaft bewusst. Lernwillige Forscher Dass dies von den Forschenden nicht nur als lästige Pflicht verstanden wird, bestätigt Kommunikationsberater Matthias Erzinger von der Technologietransferstelle ETH-Transfer, Mitorganisator des Zürcher Wissensfestivals. An der ETH habe man nicht aktiv Teilnehmende akquirieren müssen: "Ich habe niemanden gross zu Überreden versucht", erklärt Erzinger, "das Programm zeigt, dass kaum Bereiche auszumachen sind, die überhaupt nicht beteiligt sind." Das angebotene Kommunikations- und Präsentationstraining sei von vielen WissenschaftlerInnen dankbar genutzt worden: "Das Projekt hat sich für sie nur schon darum gelohnt - viele wollen selbst etwas lernen."
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Miriam Dahme, Festivalorganisatorin von Uniseite, ergänzt: "Auch wenn der eine spontan begeisterter war als der andere, bleibt es natürlich für viele eine Zeitfrage. Auch wegen unserer Anforderung, präsent zu sein für den Dialog." Es sollten eben nicht einfach Plakate da sein, "sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Deshalb schätze ich es auch, wie sich alle daran beteiligen", so Miriam Dahme, die am Innovationszentrum z-link von ETH, Uni und Fachhochschule arbeitet. Benachteiligte Geisteswissenschaften? Um einen Dialog in Gang zu bringen, muss etwas da sein, worüber man sprechen kann, am besten ein sinnlich erfahrbarer Gegenstand. Die Frage liegt auf der Hand, ob bei diesem Begegnungskonzept die eher schwierig zu kommunizierenden Geistes- und die Grundlagenwissenschaften (Literatur und Mathematik etwa) nicht von vornherein benachteiligt sind. "Das 'Problemkind' der Uni waren etwas die Geistes- und Sozialwissenschaften", bestätigt Miriam Dahme. Für Fächer wie die Literaturgeschichte sei es schwierig, sich anders als im Schreiben und Reden auszudrücken, weshalb man sie auch eher in der Kategorie "Vorträge" stark vertreten finde. "Aber auch bei den Geisteswissenschaften gibt es gelungene Wege, eine Fragestellung verständlich zu machen", so Miriam Dahme, "zum Beispiel die aus dem Lexikon nachgekochte Armensuppe. Das kann man geniessen, im wahrsten Sinne des Wortes." Matthias Erzinger betont, dass gerade die theoretische Physik mit hervorragenden Angeboten vertreten sei, etwa einer "Zeitreise zum Urknall". Die Projekte seien speziell auch für Schulen attraktiv aufbereitet. "Etwas anders liegt der Fall bei der Mathematik", so Erzinger. Hier habe aufgrund der knapp bemessenen Vorbereitungszeit (sechs Monate) die Zeit gefehlt, eine wirklich geeignete Präsentationsform zu finden. Theater mit ungewissem Ausgang Die Idee, zu den Menschen zu gehen, besticht: Aber wie sollen die in der Regel eiligen Bahnhofspassanten für so komplexe Geschichten wie "Bakterien als Metallfresser" oder "Asexuelles Klonen von Pflanzen" gewonnen werden? "Der ganze Anlass ist ja eine Art Premiere", sagt Miriam Dahme, "Und wie bei einem Theaterstück weiss der Regisseur bis zum Ende nicht, ob das Publikum applaudieren wird." Projekte, bei denen es raucht und lärmt, hätten in der speziellen Bahnhofsumgebung sicher einen Vorteil, weil sie mehr Sinnesreize auslösen. "Aber vielleicht können ja die weniger spektakulären gerade davon profitieren, das die anderen Projekte die Passanten schon mal 'entschleunigt' haben." Eine wichtige Gruppe haben die Organisatoren schon einmal für sich einnehmen können: die Schülerinnen und Schüler. Gut 700 haben sich bereits für die speziellen Schulangebote angemeldet.
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