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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 09.07.2001 06:00

Forschungsplatz Baltikum
"Arme Profs - reiche Absolventen"

Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit suchen die baltischen Unis den Anschluss an den westlichen Universitätsstandard über Forschungskooperationen und erzielen erste Erfolge. Zwar sind die KGB-Offiziere aus den baltischen Universitäten verschwunden, die Geräte stammen aber vielfach noch aus sowjetischer Zeit. Ein ETH-Gerät wird nächstens in Tallinn installiert. Ein grosses Problem ist der Lehrkörpernachwuchs, der wegen der tiefen Löhne abwandert.

Von Richard Brogle

"Als ich hier 1991 Rektor wurde, hatte auf dem gleichen Stock noch der KGB-Verbindungsoffizier sein Büro", meint Professor Edmundas Kazimieras Zavadskas, Rektor der Technischen Universität Gediminas in Vilnius. "Das hat sich dann aber schnell geändert." Vieles hat sich seither an den Universitäten der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in der Forschung geändert. Gewisse Forschungsgebiete können heute betrieben werden, die anscheinend früher aus ideologischen Gründen ganz tabu waren. Jaan Penjam, Direktor des Institutes für Cybernetics an der Technischen Universität von Tallinn: "Das Gebiet des "automatic control of systems" war für die Informatikerinnen und Informatiker lange Zeit ein verbotenes Forschungsfeld, da nichts ausser dem Kommunismus die wahre Kontrolle sein konnte". Wie sagte Genosse Lenin noch: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."

Baltikum
Blick in ein Schwerpunktlabor an der Technischen Universität Tallinn. gross

Industrie ist viel lukrativer

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich aber auch die Situation der Professoren und der Doktoranden massiv verändert. Heute müssen die Professoren mitansehen, wie ihre Studenten gleich nach der Diplomfeier in der Industrie einen Lohn erhalten, von dem sie nur träumen können. Der Rektor der Technischen Universität in Riga, Professor Ivaris Knets: "Bei uns verdient ein Assistenzprofessor nicht einmal einen Drittel verglichen mit einem Uni-Absolventen in der Industrie, ein ordentlicher Professor nur gerade etwas mehr als die Hälfte." Noch prekärer sieht es bei den Doktoranden aus. Diese erhalten nur zwischen 10 und 20 Prozent des Gehaltes, mit dem ein Uni-Absolvent in der Industrie rechnen kann. "Das reicht nicht zum Leben", meint Knets. Viele der Doktorierenden arbeiten daher halbtags noch in der Industrie. Kein Wunder, dass der Nachwuchs mehr als spärlich ist, sowohl bei den Doktoranden wie bei den Professoren. Bereits verzichtet man darauf, bei der Vergabe eines Lehrstuhles eine Habilitation zu fordern.

Geschenk aus der ETH

Nicht nur bei den Gehälter sind die baltischen Unis im Rückstand, auch der Gerätepark ist oft noch aus sowjetrussischer Zeit. Um das beschränkte Budget möglichst effizient einzusetzen, sind in vielen Unis sogenannte Schwerpunktlabors eingerichtet und mit den neuen, westlichen Geräten ausgestattet worden. Dort sieht es aus wie an der ETH, wenn auch die ganz teuren Geräte fehlen. Bei solchen Geräten ist man auf Occasionen aus dem Westen angewiesen, der die zweit- oder drittneuste Generation oft nach wenigen Jahren Betrieb bereits wieder abstösst.


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Baltikum
Steuereinheit eines chemischen NMR-Analysegerätes schenkte die ETH der Technischen Universität Tallinn. gross

Die Technische Universität Tallinn hat vor kurzem ein Geschenk der ETH erhalten: die Steuereinheit (Konsole) eines chemischen NMR-Analysegerätes. Der Transport wurde von der Gebert Rüf Stiftung übernommen, die sich mit ihrem "Swiss Baltic Net" für den Wissenschaftsaustausch zwischen der Schweiz und den baltischen Staaten einsetzt. Max Schweizer, Delegierter Baltikum der Gebert Rüf Stiftung (1): "Wir fördern sowohl den Austausch von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie auch den Wissenstransfer mit gezielten Projekten. Der Stiftungsrat hat soeben der Äufnung eines Fonds für die Wissenschaftskontakte zwischen der ETH und den baltischen Staaten zugestimmt."

Schwerter zu Pflugscharen

Aber der Wissenstransfer läuft nicht einseitig. Auch die ETH hat schon von Entwicklungen im Baltikum profitiert. In Tallinn wurde eine Turbine zur Messung von schnell rotierenden NMR-Proben entwickelt. Dafür haben die Konstrukteure eine Technik verwendet, die sie vom Bau von Flugzeugturbinen her kannten - Rüstungskonversion praktisch. Professor Beat Meier vom Laboratorium für Physikalische Chemie: "Mit 50'000 Umdrehungen pro Sekunde ist die Turbine fast doppelt so schnell wie das schnellste kommerzielle Produkt. Das ist eine Superleistung."

Erste Reise in den Westen

Es fällt auf, dass fast alle Forscher im Gespräch mit glänzenden Augen von ihrem ersten Kongressbesuch im Westen erzählen. Viele von ihnen durften vor der Unabhängigkeit das Land nie verlassen, da sie als Forscher vom Militär als Geheimnisträger eingestuft wurden. Dabei geht vergessen, dass vor über hundert Jahren ein reger Austausch zwischen der Schweiz und den baltischen Staaten bestand. Der Schweizer Professor Wilhelm Ritter beispielsweise lehrte fast ein Jahrzehnt in Riga, bevor er 1887 Rektor an der ETH Zürich wurde. Der Austausch fand um die Jahrhundertwende ein Ende, als die Russifizierung der Universitäten immer weiter vorangetrieben wurde und Vorlesungen in Deutsch ganz verboten wurden. Im Baltikum selbst sind die engen Beziehungen aber noch sehr präsent, wurde doch fast in jedem Gespräch der Wunsch geäussert, das verbindende Band wieder neu zu knüpfen. Ein erster Schritt wird zweifellos am ETH-Tag 2001 möglich sein, wenn Rektoren aus den drei baltischen Staaten als spezielle Gäste der ETH anwesend sein werden.


Fussnoten:
(1) www.swissbaltic.net



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