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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 05.04.2002 06:00

Islamexperte Bassam Tibi an der ETH
Islam und Terrorismus

Er ist bekennender Muslim, gehört zu den international ausgewiesensten Islamexperten – und ist wegen seiner pointierten Stellungnahmen schon mit dem Tod bedroht worden. Bassam Tibi sprach am Mittwoch vor überfülltem Hörsaal über den "Djihad-Terrorismus".

Von Norbert Staub

Der Hörsaal E 3 im ETH-Hauptgebäude war bis auf den letzten Platz besetzt: der Eröffnungsvortrag von Bassam Tibi zur Reihe "Zeitgeschichtliche Hintergründe aktueller Konflikte" (1) stand unter dem Titel "Djihad-Terrorismus: eine Gefahr für den Weltfrieden?" und hätte angesichts der Eskalation im Nahen Osten kaum aktueller terminiert werden können. Der von Andreas Wenger, Assistenzprofessor für Sicherheitspolitik, vorgestellte Referent zeigte sich darüber sichtlich bewegt, gehörte er doch zu den Initianten des israelisch-palästinensichen Dialogs. Doch nicht die nahöstliche Gewalt stand im Zentrum des Referats; es kreiste um die Urheber und Motive der Taten vom 11. September.

Streitbar und umstritten

Bassam Tibi ist ein streitbarer Islamexperte, der seine Thesen nicht nur in Göttingen und Harvard als Professor, sondern immer wieder als Publizist und Buchautor der Öffentlichkeit präsentiert.(2) In Damaskus geboren, kam Tibi zum Studium 1962 nach Deutschland. Adorno und Horkheimer gehörten zu seinen Lehrern. Als bekennender Muslim verkörpert er gewisse Aspekte seiner Forschung gleich selbst - vielleicht verleiht dies (neben dem Umstand, dass er stets frei spricht) seinen Ausführungen den auffallend persönlichen Zug.

Der Begründer der "Islamologie", einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Islam-Forschung, hat keine Angst vor einer klaren Sprache und davor, sich damit Feinde zu machen. Die unheimlichsten sind seine Glaubensgenossen fundamentalistischer Richtung, die er ungeschminkt als irregeleitete Fanatiker bezeichnet - und die dem Wissenschaftler schon mit dem Tod gedroht haben: "Sie predigen das Töten, statt es zu verbieten. Das ist zutiefst unislamisch", hielt Tibi fest.

Irregulärer Krieg

Djihad ist ein alltägliches arabisches Wort. Es heisst "Anstrengung". "Doch es bedeutet auch ’Eroberungskrieg‘ zur Ausbreitung des Islam", so Tibi. Hier beginnen die Deutungsprobleme - und der Disput: wenn die historischen islamischen Schriften die gewaltsame Bekehrung für legitim erklärten, wie das Christentum ja bekanntlich auch, dann banden sie diese an strikte Regeln. Dazu gehört das Verbot der Gewalt gegen Unbewaffnete und nicht Vorgewarnte. Dieses Prinzip, als dessen letzter Ausfluss, so Tibi, der Clausewitzsche Krieg gesehen werden müsse, sei heute "am Ende".

In den 90-er Jahren habe sich in Krisengebieten wie Kaschmir und Palästina der "irreguläre Krieg" etabliert. Dieser operiere aus dem Hinterhalt, ohne jede Rücksicht auf das Leben Unbeteiligter. Und genauso seien die Täter des 11. September verfahren: sie hätten den Djihad als Deckmantel für blanken Terror benützt. Dies müsse man als "Djihad-Terrorismus" bezeichnen.


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bassam tibi
Den Islam nicht verteufeln, aber dem Terrorismus entschieden die Stirn bieten: dies die Haltung des Islamexperten Bassam Tibi. gross

Dessen Wurzeln reichen, wie Tibi erläuterte, bis ins Jahr 1928 zurück. Damals gründete der Ägypter Hassan al Banna die Muslimbruderschaft zwecks Errichtung eines islamischen Gottesstaates. Al Bannas Schriften würden noch heute in den islamischen Schulen, auch in Europa, stark rezipiert.

Islam kontra Islamismus

"Ich bin Muslim", wurde der Wissenschaftler nicht müde zu betonen, "doch ich trenne scharf zwischen Islam und Islamismus als politische Ideologie". Letztere wolle die Welt ihren Vorstellungen anpassen. Das mache sie zwingend zum Gegenstand der Sicherheitspolitik.

"Amerika hat sich seit dem 11. September verändert", so Tibi, "die Europäer aber haben noch nicht verstanden, was geschah". Dabei scheint die logistische Basis der Attentäter, wie man weiss, hauptsächlich Westeuropa gewesen zu sein. So habe Deutschland mit seiner permissiven Ausländerpolitik einen idealen Unterschlupf geboten. Die Deutschen seien eben "erpressbar"; wegen ihrer Nazi-Vergangenheit. Islamische Fundamentalisten, die die Zerstörung der Demokratie forderten, könnten dies in Deutschland unbehelligt tun. Nicht so in Frankreich: Trotz rigoroser Ausländerpolitik (militante Islamisten würden nicht toleriert) werfe dem Land niemand vor, es sei undemokratisch. - In der Tat: starke Worte gegenüber seiner Wahlheimat von einem, der einst selbst als Migrant nach Europa kam.

Dialog der Zivilisationen

Doch auf das Plakative folgte immer auch Differenziertes. Die globale Migration müsse politisch viel besser begleitet werden. Sie dürfe keine Waffe in der Hand der Terroristen mehr sein. Die wirksame Politik gegen den Terrorismus finde allerdings in den Köpfen statt. Sie heisse "Integration" und "Dialog der Zivilisationen". Bedenkenswertes sagte Tibi auch in der abschliessenden Fragerunde: Ursache für den 11. September sei unter anderem eine Sinnkrise des Islam. Es gebe ein weit verbreitetes Gefühl, die einst unkritisch betriebene "Verwestlichung" beseitigen zu müssen. Hinzu komme die diffuse Hoffnung, mit einer islamischen Ordnung die in der arabischen Welt nicht zuletzt aufgrund explodierender Bevölkerungszahlen grassierende Armut beseitigen zu können. Ein Beitrag des Westens zur Bekämpfung des Terrorismus sei demzufolge langfristige Wirschafts- und Entwicklungshilfe.


Fussnoten:
(1) Die Reihe wird von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse zum neunten Mal veranstaltet: zum detaillierten Programm vgl.: www.fsk.ethz.ch/teaching/. Homepage des Center for International Studies: www.cis.ethz.ch .
(2) Bassam Tibis aktuelles Buch zum Thema heisst "Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt". Goldmann, München 2001.



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